Blutiges Eis
- Droemer Knaur
- Erschienen: Januar 2005
- 25
- New York: G. P. Putnam’s Sons, 2003, Titel: 'The Delicate Storm', Seiten: 301, Originalsprache
- München: Droemer Knaur, 2005, Seiten: 396, Übersetzt: Anke Kreutzer
- Augsburg: Weltbild, 2006, Seiten: 395
- Berg: AME hören, 2009, Seiten: 6, Übersetzt: Olaf Pessler, Bemerkung: gekürzt
- München: Knaur, 2010, Seiten: 395
Toter Mann + hungriger Bär = viel Arbeit für die Polizei
In Algonquin Bay, einer Kleinstadt in der kanadischen Provinz Ontario, staunt man über einen ungewöhnlich milden Januar. Für einen US-amerikanischen Urlauber war dies fatal; man findet seine von hungrigen, vorzeitig aus dem Winterschlaf gerissenen Bären zerfetzte Leiche. Detective John Cardinal und seine Kollegin Lise Delorme ermitteln allerdings rasch, dass der Pechvogel schon tot war, als ihn sein Schicksal ereilte; tatsächlich ist er ermordet worden.
Mischt die Mafia mit?
Die Polizisten verdächtigen einen Trapper, dem sie Verbindungen zur örtlichen Unterwelt nachsagen. Die Mafia hat ihre Tentakel längst bis Kanada ausgestreckt. Allerdings gibt es noch eine weitere Spur: Der inzwischen identifizierte Tote erweist sich als ehemaliges Mitglied der CIA, das vor vielen Jahren unrühmlich mit dem "Canadian Security Intelligence Service" (CSIS) zusammenarbeitete. Der Geheimdienst gedenkt sich keineswegs von zwei "Außerstehenden" in die Karten schauen zu lassen und bemüht sich nach Kräften Cardinal und Delorme in die Irre zu führen. Dabei scheint es um die Vertuschung eines Skandals aus den frühen 1970er Jahren zu gehen, als diverse kanadische Separatistengruppen systematisch infiltriert und provoziert wurden. Cardinal und Delorme lassen es auf einen Konflikt mit den Schlapphüten ankommen, als eine zweite Leiche gefunden wird. Wer hat die junge Ärztin Winter Cates ermordet? Gibt es eine Verbindung zwischen beiden Verbrechen? Harte Zeiten brechen vor allem für Cardinal an, den zusätzlich ein dunkles Geheimnis quält: Vor Jahren ließ er bei einer Razzia Geld eines Drogenbosses verschwinden. Inzwischen hat er sein Gewissen erleichtert und es zurückgezahlt. Leider imponiert dies dem eigentlichen "Besitzer" wenig. Der wird bald aus dem Gefängnis entlassen und hat bereits seinen Besuch in Algonquin Bay angekündigt ...
"Idyllisch" bedeutet längst nicht "friedlich"
Viel Ungemach also im scheinbar so idyllischen kanadischen Norden. Dabei hat die Zivilisation auch das Land der endlosen Wälder und Eisfelder längst erreicht. Die Realität sieht nicht nur was das Wetter angeht trübe aus: Skrupellose politische Blender und ihre Hintermänner nutzen ihre Ämter zur persönlichen Bereicherung. Ihre Macht setzen sie ein, um ihnen Unerfreuliches unter den Tisch kehren zu lassen. Separatistischen führen einen absurden Kampf um die Teilung Kanadas in einen "englischen" und einen "französischen" Teilstaat. Der Geheimdienst spioniert nicht mehr den Russen, sondern Terroristen hinterher, die Nordamerika über den Pol angreifen könnten. Drogenbarone schmuggeln ihre "Ware" in großem Stil via Kanada ein. Die Grenze zum Nachbarn USA ist zumindest für das organisierte Verbrechen durchlässig geworden. Zwischen den kanadischen Ordnungshütern herrschen Misstrauen und Konkurrenz. Besonders die einst so glorreiche "Royal Canadian Mounted Police" wird von immer neuen internen Skandalen erschüttert. Dieses Chaos bildet die viel versprechende Kulisse für das zweite Abenteuer der Detectives Cardinal & Delorme. Seit sie ihr geistiger Vater Giles Blunt in Gefrorene Seelen zum ersten Mal auf Mörderfang schickte, haben sie bzw. er viel gelernt. "Blutiges Eis" - den blöden deutschen Titel wollen wir gnädig ignorieren - bietet nichts wirklich Neues. Wir lesen "nur" einen sauber geplotteten, mit glaubhaften Figuren besetzten Thriller, der sich geschickt des kanadischen Schauplatzes bedient. Der ist noch nicht so bekannt, die politischen Verhältnisse und Gesellschaftsstrukturen sind andere als in den USA. Kanada ist britisch und französisch, aber auch amerikanisch: eine interessante Mischung, welche deutlich die Handlung beeinflusst.
Krimi-Spannung & Humor - eine gelungene Synthese
Enorme Fortschritte hat Verfasser Blunt als Schriftsteller gemacht. Kam "Gefrorene Seelen" dem tristen Thema entsprechend bierernst daher, fällt nunmehr ein humorvoller Unterton positiv auf. Blunt verfügt über einen trockenen Humor, den er gut dosiert einzusetzen vermag (und der die Übersetzung gut überstanden hat). Obwohl die Geschichte wiederum recht düster ausfällt, büßt sie ihre Spannung und innere Dramatik dadurch keineswegs ein. Der Autor stellt bizarre Typen, Tücken des Objekts und kuriose Episoden vor, setzt auf originelle Wortspiele und Situationskomik, was er verblüffend gut beherrscht Die eigentliche Kriminalhandlung wird trefflich ergänzt durch Cardinals Privatprobleme. In "Gefrorene Seelen" machten ihm die psychisch labile Gattin und ein kapriziöses Töchterlein sowie sein schlechtes Gewissen zu schaffen; noch mehr galt das freilich für den Leser, den diese seifenoperlichen Zwischenmenschlichkeiten irgendwann langweilten. Dieses Mal geht Blunt geschickter vor. Er knüpft an Cardinals keineswegs gelöstes Problem mit unterschlagenem Gangstergeld an und führt dies plausibel weiter, indem er ihn in das kriminalistische Geschehen integriert: Der bestohlene Schurke will sein Geld zurück und bedroht Cardinal und vor allem dessen Familie. Ein ungewöhnliches Finale, das mit sattsam bekannten Klischees spielt, um sie dann sämtlich zu ignorieren, vollendet den Eindruck eines gelungenen Thrillers.
Figuren wie aus dem Leben gegriffen
In Sachen Figurenzeichnung hat Verfasser Blunt einige behutsame Veränderungen vorgenommen. Cardinal wird nicht mehr so arg von seinen Seelennöten gepeinigt. Seiner Gattin geht es gut, die Tochter taucht überhaupt nicht auf. Dieses Mal verursacht der störrische Vater die familiären Probleme, doch auch diese Wendung ist Teil der eigentlichen Handlung, denn es ist ausgerechnet die behandelnde Ärztin des alten Mannes, die eine der Leichen dieser Geschichte repräsentiert. Ansonsten kann sich Cardinal auf die aktuellen Ermittlungen konzentrieren, was dem Roman sehr zu Gute kommt. Lise Delorme verzehrt sich nicht mehr in unausgesprochener Sehnsucht nach ihrem Kollegen. Das Duo tritt hier als Kollegen und Freunde auf - auch dies eine uneingeschränkt positiv zu bewertende Blunt-Entscheidung. Delorme profiliert sich dieses Mal als erfahrene Ermittlerin, die hervorragend mit Cardinal zusammenarbeitet, aber oft auch im Alleingang tätig wird. Um die beiden Hauptpersonen gruppieren sich Kollegen, Konkurrenten, Verdächtige und Opfer. Es ist erstaunlich, welche Dynamik Blunt den genretypischen Kompetenzstreitigkeiten, Verhören oder Laborgesprächen abgewinnen kann. Man kennt diese Szenen alle, aber sie lesen sich trotzdem frisch und flott. Außerdem ist Blunt souverän genug geworden, die Darstellerschar durch echte Originale zu bereichern. Da liefert ausgerechnet Wudky, der "Welt dümmster Krimineller", den entscheidenden Tipp, der die Handlung erst in Gang setzt. Ein skurriler Trapper im bodenlangen Pelzmantel entpuppt sich als örtlicher Vollstrecker eines Mafiabosses, der sich nur schriftlich verständigen kann, weil ihm nach exzessivem Zigarrengenuss der Kehlkopf entfernt wurde. Ehemalige Terroristen leiten einen Kinderhort. Die Kette solcher und anderer Einfälle ist erfreulich viel länger, auch sie fügen sich nahtlos in die Story ein. Auf den nächsten Fall von Cardinal & Delorme kann man sich nur freuen!
Giles Blunt, Droemer Knaur
Deine Meinung zu »Blutiges Eis«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!