Der Mordfall Benson
- Heyne
- Erschienen: Januar 1971
- 4
- London: Ernest Benn, 1926, Seiten: 346, Originalsprache
- Köln: DuMont, 2000, Titel: 'Der Mordfall Benson', Seiten: 314, Übersetzt: Manfred Allié, Bemerkung: DuMonts Kriminal-Bibliothek; Band 1089. Mit einem Nachwort von Volker Neuhaus
- München: Heyne, 1971, Titel: 'Mordakte Benson', Seiten: 143, Übersetzt: Robby Lohmer & Leni Sobez, Bemerkung: Mit einem Vorwort von Chris Steinbrunner
Spannend wie ein Kreuzworträtsel für Akademiker
Bestseller-Autor in den 30ern in den Vereinigten Staaten, hierzulande weitgehend unbekannt: S.S. van Dine alias Willard Huntington Wright gilt als derjenige Autor, der den klassischen britischen Detektivroman in den USA kultitiviert hatte und damit große Erfolge erzielen konnte - aber eben nur auf der anderen Seite des großen Teichs. Was ist also dran an diesem Autor und seinem eigenwilligen Protagonisten Philo Vance, dass er als einer der ganz großen des "Golden Age" gilt? Nun, um eins vorwegzunehmen: Van Dines Schattendasein in Deutschland ist neben aller historischen Begründung auch literarisch zu erklären.
Erschossen - ohne Toupet und falsche Zähne
Worum geht´s im Mordfall Benson? Klar, Mr. Benson wird ermordet. Genauer: erschossen. Ohne Toupet und falsche Zähne, dafür mit Pantoffeln und Nachtgarderobe allein in seinem Haus mitten im New York der 20er Jahre. Wie im Krimi des Golden Age gewohnt, erweist sich der Fall als äußerst knifflig. Ein Schuss direkt in den Kopf aus kurzer Entfernung genügte, um das Leben des Spekulanten vorzeitig zu beenden. Natürlich gibt es keinen Zeugen, dafür einige Verdächtige, wenige Indizien und eine bekannt hilflose Polizei. Ihr Auftritt, Mr. Vance!
Philo Vance, ein Snob wie er im Buche steht, amerikanischer Aristokrat, Kunstliebhaber und Intellektueller, reich bis zum geht nicht mehr, springt seinem Freund John F.X. Markham, leitender Staatsanwalt, gerne zur Seite und nimmt sich gemeinsam mit seinem Adlatus, Rechtsbeistand und ständigem Begleiter van Dine des Mordfalls Benson an. Und wie kann es anders für einen zukünftigen Meisterdetektiv sein: Fünf Minuten nach der Besichtigung des Tatorts (Seite 54 von guten 300) kennt der gute Philo Vance bereits den Mörder. Leser, Polizei und Staatsanwaltschaft gucken dumm in die Röhre.
Dröge, humorlos und völlig ohne Esprit
Dies soll sich auch die nächsten 250 Seiten nicht ändern. Vance zaubert einen Verdächtigen nach dem anderen aus dem Hut, jeder könnte es auf seine Art gewesen sein, bei genauerem Hinsehen auch wieder nicht. Wer jetzt dahinter eine spannende Detektivgeschichte vermutet, ist allerdings völlig flasch gewickelt. Dröge, humorlos und völlig ohne Esprit werden Indizien in Frage gestellt, Alibis überprüft, und Freisprüche erteilt bis der wahre Täter überführt ist. Die Tätersuche ist dabei quälend langweilig, Vance´ rechthaberische Überheblichkeit und seine ständigen besserwisserischen Exkurse in Kunst und Wissenschaft nervig und das Geheimhalten seiner Theorien lässt den Plot mehrmals im Kreis laufen.
"Verflucht nochmal", fuhr er Vance an, "jetzt habe ich ihre hochnäsige Art aber wirklich satt. Entweder wissen Sie etwas, oder Sie wissen nichts. Wenn Sie nichts wissen, dann tun Sie mir den Gefallen und hören Sie damit auf, so zu tun als ob. Und wenn Sie etwas wissen, dann kann ich von Ihnen erwarten, dass Sie es mir sagen."'
Ganz recht, Mr. Markham. Das Lesen des Mordfalls Benson kostet Geduld. Geduld und Nerven. Denn dieser Vance ist nun wirklich ein wahrer Kotzbrocken, trotz (oder gerade wegen?) seiner offensichtlichen Intelligenz und Kultiviertheit. Leider fehlt van Dines Erstling mit Philo Vance aber auch sonst jeder Sympathieträger. Staatsanwalt Markham ist Vance als Sparringpartner völlig unterlegen, leider auch nicht in der Lage, wenigstens sprachlich zu kontern. Ein blasser Vertreter seiner Art, der den Fall komplett an einen Kunstsammler abgibt und sich von dem ohne wirkliche Widersprüche sogar direkt in der Arbeit behindern lässt. Und die Verdächtigen? Teils zwar schillernde Figuren, aber völlig eindimensional.
Deutliche Anleihen bei Doyle und Sayers
Dazu kommt, dass Wright mit seinen Charakteren deutliche Anleihen bei Conan Doyle und Dorothy Sayers nimmt. Vance ist ein Abklatsch von Sayer´s Lord Peter, nur unsympathischer. Von Doyle stammt die Erzählperspektive des Dr. Watson, nur treibt es Wright auf die Spitze und verfasste seine Detektivgeschichten sogar unter dem Namen des Chronisten. Außerdem: Wie wunderbar waren die Dialoge zwischen Holmes und Watson im Vergleich zum stummen Protokollanten van Dine, der zwar überall dabei ist, jedoch nie ein Wort sagt und kritiklos alles wiedergibt!
Ganz nebenbei: Wright, der zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten aufstellte, hält sich im Mordfall Benson selbst nicht an eine seiner zentralsten Thesen. Jederzeit sollte der Leser nämlich auf dem gleichen Wissensstand des Detektivs sein. Vance begründet seinen Anfangsverdacht, der sich nach 300 Seiten als stimmig herausstellen wird, damit, dass er den Täter aufgrund dessen Psyche überführt habe. Das mag sein, kennt Vance den Täter doch schon seit einiger Zeit vor dem Mord - dem Leser ist der Mörder zu dieser Zeit jedoch nur als Randfigur aufgetaucht. Weitaus zuwenig, um daraus ein Charakterbild herzuleiten, um ihn überhaupt als Täter in Betracht zu ziehen.
Anspruchsvoll, aber sehr zäh
Mag William Huntington Wright mit der Adaption der britischen Detektivgeschichte in die Staaten auch ein Novum gelungen sein, mag er unbestritten intelligent einen verzwickten Mordfall gestrickt haben - ein guter Unterhalter ist er nicht. Der Mordfall Benson ist so spannend wie ein Kreuzworträtsel für Akademiker, anspruchsvoll aber eben doch sehr zäh.
S.S. van Dine, Heyne
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