Schwarzer Schwan
- Grafit
- Erschienen: Januar 2011
- 8
- Dortmund: Grafit, 2011, Seiten: 352, Originalsprache
- Dortmund: Grafit, 2013, Originalsprache
Mutti und der goldene Füller
Dominik Roth ist bei der Düsseldorfer Polizei für unendlich langweilige Betrugsdelikte zuständig - und deshalb total unzufrieden. Als eine langjährige Lobbyistin der Deutschen Börse auf offener Straße ermordet wird, darf er endlich in der Mordkommission mithelfen, denn dort bricht Personalmangel aus. Die Polizei hat nämlich einen weiteren Fall zu bearbeiten, als in einem ausgebrannten Polo eine Leiche gefunden wird. Zeitgleich sieht sich die ehrgeizige Investmentbankerin Hanna Kaul schon fast am Ziel ihrer beruflichen Träume. Endlich ist sie mit einem heißen Deal um die Übernahme eines börsennotierten Unternehmens beschäftigt. Als sie glaubt, alles in trockenen Tüchern zu haben, sagt der Vorstand der RheinBank das Geschäft ohne Begründung ab. Als Hanna auch noch erfährt, dass sie offenbar überwacht wurde, und ihre Nichte verschwunden ist, gerät sie in einen Kriminalfall hinein, der ungeahnte Dimensionen annimmt. Und der Dominik Roth in eine echte Zwickmühle bringt, denn er selbst hat an der Beschattung der Bankerin mitgewirkt. Weil das eine nicht genehmigte Nebentätigkeit für die Firma eines Freundes war, verschweigt Dominik zunächst, was er weiß, und begibt sich auf verdammt dünnes Eis.
Horst Eckert wird in Schwarzer Schwan seinem Ruf als perfekt recherchierender Schriftsteller erneut gerecht. Er liefert seinen Lesern eine Mischung aus Kriminalroman und gut geschriebenem Sachbuch. Zwar sind Personen und Institutionen geschickt verschlüsselt, aber wer sich nur ein wenig mit Politik und Wirtschaft in Deutschland beschäftigt, wird die Parallelen zur realen Welt mühelos erkennen. Es geht um Firmen-Übernahmen, die mit Insiderwissen gesteuert werden, um Fonds in Offshore-Steueroasen, und um Manager, die das ganz große Rad drehen – oder drehen wollen. Bei skrupellosen Managern sind korrupte Politiker, die vom Absahnen und der großen Karriere träumen, in der Regel nicht weit. Im zweiten Handlungsstrang, der mit dem ersten im Laufe der Geschichte immer mehr Berührungspunkte bekommt, geht es um brutalen Mord und kaltblütige Kindesentführung.
Der Titel des Buches ist dabei Programm. Der Begriff Schwarzer Schwan gründet auf der Annahme, dass Schwäne weiß sind. Schwarze Schwäne waren bis zum 17. Jahrhundert das Sinnbild für etwas das nicht vorstellbar ist. Mit der Entdeckung von schwarzen Schwänen im 18. Jahrhundert in West-Australien wurde diese Annahme über den Haufen geworfen. Der schwarze Schwan blieb als Metapher für extrem seltene Ereignisse, die kaum vorhersehbar sind, im Sprachgebrauch. Zu großer Bekanntheit gelangte der Schwarzer Schwan durch das gleichnamige Buch des Wertpapierhändlers und Essayisten Nassim Nicholas Taleb. Und so wie Horst Eckert den Titel des Buches bewusst gewählt haben dürfte, so scheint es ihm durchaus gewollt, dass man Figuren und Institutionen - trotz der pflichtschuldigen Dementis am Ende des Buches - bestens wiedererkennt.
Die Finanzkrise findet real statt, die große Bank mit der enormen Macht ist leicht identifizierbar, und selbst die prominenten Politiker können realen Personen zugeordnet werden. Zuweilen greift der Autor zu plakativ wirkenden Klischees, aber er setzt sie so gekonnt ein, dass sie der Geschichte noch mehr Authentizität geben. Denn es ist sicher ein Klischee, das die mächtigen Banker mit einem Mont Blanc-Füllfederhalter schreiben, der eine goldene Feder hat. Aber es passt in die Situation und in die Geschichte – und ist der Realität eben so nahe, dass man das Klischee schon wieder vergessen kann. Aber auch bei der Beschreibung seiner verschiedenen Protagonisten dürfte der Autor nahe an der Wahrheit liegen, schließlich kann er in Düsseldorf problemlos beobachten, wie sich Jung-Banker bei ihren Altbier-Partys so geben. Die Groupies, die die Anzugträger umschwirren, hat Eckert wahrscheinlich schon live erlebt – und das macht seine Geschichte so erfrischend lebensnah, bis hin zu den faden Dialogen, die an den Stehtischen in der Altstadt geführt werden.
Die bis zur Selbstverleugnung ehrgeizige Investmentbankerin Hanna Kaul verkörpert einen Typ der Managerin, wie er heute häufig zu finden ist. Um sich im Haifischbecken der Finanzwelt durchzusetzen, ist sie männlicher und perfider in ihren Methoden, als die Konkurrenten. Ihr geschicktes und knallhartes Pokern nützt ihr jedoch nichts, da sie in der Nahrungskette eben noch zu weit unten steht, und schlicht von größeren Fischen gefressen wird – zunächst sogar ohne es zu merken. In ihrer Hilflosigkeit wird sie dann wieder menschlich, was sie für den Leser sympathisch macht.
Der durch eine unabsichtliche Tötung im Dienst schwer traumatisierte Polizist Dominik Roth will mit allen Mitteln zurück in die nach seiner Auffassung richtige Polizeiarbeit. Seine nicht genehmigte Nebentätigkeit für seinen Ex-Kollegen bringt ihn an den Rand des Rauswurfs. Dennoch findet er zu absoluten Loyalität gegenüber den Menschen die ihm wichtig sind, und trägt schließlich maßgeblich zur Lösung der verschiedenen Fälle bei – und trifft dabei auf seinen persönlichen Schwarzer Schwan. Eine Art Politiker-Karikatur ist der überaus flexible MdB Mierscheid. Ein Hinterbänkler wie er im Buche steht, und doch als Lobbyist auf dem Sprung in die oberen Ränge. Aber er muss Wohlverhalten zeigen – sonst wird er nicht in den Club der Mächtigen aufgenommen.
Klasse ist die Szene, in der vom Chefbanker von Mutti – so nennen die Abgeordneten die Kanzlerin – gefordert wird, Mierscheid zum Staatssekretär zu machen. Mutti stellt knallharte Gegenforderungen, aber am Ende haben sich alle lieb. Ganz beiläufig wird bei all den Intrigen auch gemordet, verbrannt, verwanzt und ermittelt. Bankencrash und Rettungspaket, Atomausstieg und Griechen-Pleite werden vom Politikwissenschaftler Eckert en passant mit abgehandelt – und zwar auf wirklich gekonnte und spannende Art und Weise. Da braucht man keine Vorbildung, der Autor vermittelt auch so, warum die Finanzmarktkrise eben ein Schwarzer Schwan ist.
Perfide ist schon, dass die Schurken in Politik und Wirtschaft kein Unrechtsbewusstsein haben, sondern im guten Glauben handeln, sich das zu holen, was ihnen wirklich zusteht. So wie auch der Mörder und Entführer sich seiner Taten nicht wirklich bewusst ist. Im Grunde präsentiert Horst Eckert seinen Lesern ein modernes Sittengemälde – und jagt ihnen dabei reichlich kalte Schauer den Rücken hinunter. Ein überaus spannendes und zugleich lehrreiches Buch – eine Traumkombination wie eine Ballstafette von Ribery und Robben, wie sie dem Bayern-Fan Horst Eckert so sehr gefallen. Seinen Lesern wird das Buch gefallen, und wer es zweimal liest, versteht auch noch die letzte Nuance.
Horst Eckert, Grafit
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