Der Ahnhof
- List
- Erschienen: Januar 2010
- 4
- Berlin: List, 2010, Seiten: 284, Originalsprache
Brutale Morde in idyllischer Umgebung
Der Bauernhof von Martin Korbach, der seit gut einem Jahrhundert im Besitz der Familie ist, soll verkauft werden. Eine junge Bäuerin möchte das Gehöft kaufen und gemeinsam mit ihrem Mann wiederbeleben. Sie bittet ihre Cousine Mathilde – die findige und ungewöhnliche Haushälterin des Journalisten Robert Walcher – um spirituellen Rat. Bei einem Rundgang über den Hof hat Mathilde den nachhaltigen Eindruck, dass hier etwas nicht stimmt. Und Mathildes Gefühl trügt nicht. Zwar erwirbt ihre Cousine den Hof, aber bei ihren Recherchen über die Geschichte des Hofes stößt Mathilde bei der Polizei auf Vermisstenanzeigen, die weit zurückreichen. So sollen sieben junge Frauen und Männer über die Jahrzehnte im Umfeld des Korbach-Hofes spurlos verschwunden sein.Martin Korbach ist ein jähzorniger und gewalttätiger Bursche – und es geht das Gerücht um, dass die Vermissten von den Korbach-Männern ermordet wurden. Walcher und Mathilde recherchieren weiter und stoßen auf eine Familiengeschichte, die offenbar zahlreiche Opfer gefordert hat – und geraten selbst ins Visier des Täters.
"Ein Allgäu-Krimi" – es gibt genug Rezensenten-Kollegen hier bei der Krimi-Couch, die einen Roman mit diesem Aufdruck erst gar nicht in die Hand nehmen. Da bin ich anders, bei mir überwiegt die vorurteilsfreie Neugier – glücklicherweise. Sonst wäre mir ein wirklich lesenswertes Buch entgangen. Nun reizt mich natürlich die Geschichte um einen Journalisten besonders, schließlich bin ich selbst so ein Schreiberling. Und diese ist nun auch noch spannend und doch amüsant geschrieben, mit Charakteren, die man gerne ein Stück auf ihrem Lebensweg begleitet. Wobei man sich durchaus darüber streiten kann, wer in diesem Buch eigentlich die Hauptperson ist.
Die 69-jährige Mathilde hat besondere spirituelle Fähigkeiten. Sie ist mit einer Art Wahrnehmungsfähigkeit ausgestattet, und diese soll sie nun auf dem Korbach-Hof auf Bitten ihrer Cousine einsetzen. Die Schilderung ihres Rundgangs erinnert augenzwinkernd ein wenig an "Spökenkiekerei", wie wir das in Norddeutschland nennen. Aber immerhin stellt Mathilde fest, dass es auf dem Hof reichlich Unrecht und handfeste Gewalt gegeben hat – und so wird der Ball ins Rollen gebracht. Schon auf den ersten Seiten versteht es Joachim Rangnick, den Leser für die Geschichte zu interessieren, die er wortgewandt zu erzählen hat. Da spielt allerdings auch der Prolog eine wichtige Rolle, in dem ein Verbrechen vor über 100 Jahren geschildert wird. Dieser Einstieg ist insgesamt außerordentlich gelungen.
Hoch amüsant ist zu lesen, wie die findige Haushälterin den zunächst äußerst skeptischen Journalisten Walcher in ihre privaten Ermittlungen einspannt. Sie führt ein charmantes Regiment im Walcher-Haushalt, und der gerade in frische Liebes-Wirren gestürzte Hausherr wird von ihrem Enthusiasmus mitgerissen. Ein wenig Action streut der Autor auch noch ein, denn der ehemalige Besitzer des Korbachhofs taucht auf, und zeigt eindrucksvoll , dass er wie seine Vorfahren gewaltbereit ist. Und das müssen die Protagonisten dann auch am eigenen Leib spüren. Die Figur des brutalen und rücksichtslosen Bauern ist überaus gelungen und wirkt sehr authentisch.
Robert Walcher als eigentlicher Protagonist bleibt nicht wirklich farblos, aber durch die starke Persönlichkeit seiner Haushälterin streitet er mit ihr um die Hauptrolle in der Geschichte. Er ist ein typischer Journalist, mit berufsmäßiger Neugier ausgestattet, und daher der ideale Partner für Mathildes Nachforschungen. Die beiden Figuren ergänzen sich mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften hervorragend, man freut sich schon auf weitere Romane mit diesem Duo.
Joachim Rangnick arbeitet mit häufigen Perspektiv-Wechseln, die allerdings nicht immer gelungen sind – ein Minuspunkt. Aber das ist eine kleine Schwäche, die den Erzählfluss nur jeweils kurzfristig durcheinander bringt. Angenehm fällt auf, dass bei diesem "Allgäu-Krimi" die Beschreibungen von Land und Leute nicht aufdringlich oder aufgesetzt wirken. Der Autor baut diese Passagen gekonnt in den Text ein, und auch die Mischung aus Mundart und Hochdeutsch fällt gemäßigter aus, als bei anderen Allgäu-Romanen. Der Anfangsschwung aus den ersten Seiten des Buches geht unterwegs etwas verloren, aber es bleibt durchgehend eine lesenswerte Geschichte, mit einem – für mich jedenfalls – durchaus überraschenden Finale. Joachim Rangnick ist ein Autor, den ich jedenfalls im Auge behalten werde, denn seine Figuren haben noch einiges an Entwicklungspotenzial.
Joachim Rangnick, List
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