Never Knowing - Endlose Angst
- Argon
- Erschienen: Januar 2011
- 16
- Berlin: Argon, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Laura Maire
Oops, she did it again.
Sara Gallagher wurde als Baby adoptiert, das weiß sie. Das, und die Tatsache, dass sie ihre schwerkranke Adoptivmutter zwar über alles liebt, aber mit ihrem "Dad" ein gelinde ausgedrückt angespanntes Verhältnis hat – ganz zu schweigen von ihren Schwestern Lauren und Melanie, die unterschiedlicher nicht sein könnten – reicht aus, um sie in depressive Verstimmungen verfallen zu lassen, die sie mit Hilfe einer Therapeutin im Griff hat. Und eigentlich ist auch alles ein herrliches Idyll, steht doch in Kürze die Hochzeit mit ihrer großen Liebe Evan an, was das Konzept Haus-Kind-Hund-Mann komplett macht. Und doch: Wer sind eigentlich ihre leiblichen Eltern? Ein Privatdetektiv fördert schier unglaubliches zu Tage und plötzlich ist Saras Welt ein wahrer Albtraum.
Stevens' zweiter Roman nach Still Missing lässt sich auch ohne Kenntnis des Erstlings lesen, haben doch die beiden Geschichten gar nichts miteinander zu tun. In Never Knowing schickt sie ihre Protagonistin Sara auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern. Vielleicht die Tatsache, dass sie mittlerweile selber Mutter ist, oder dass sie bald ihren Traummann heiraten wird, oder ein Kombination aus beidem, lässt ihr einfach keine Ruhe und so recherchiert sie selbst und engagiert schließlich einen Privatdetektiv. Mit dessen Hilfe findet sie Julia, eine Professorin für Kunstgeschichte, die beim Anblick ihrer Tochter panisch und abweisend reagiert. Kein Wunder, ist Sara doch das "Produkt" einer Vergewaltigung und der damit einhergehenden Ermordung Julias Eltern durch den berühmten Campsite-Killer, der seit nunmehr dreißig Jahren immer noch auf freiem Fuß ist und Julia das einzige seiner Opfer, das jemals überlebt hat.
Uff. Reicht. Wie auch in ihrem ersten Roman, könnte Stevens an dieser Stelle die Story schon beenden. Aber durch einen dummen Zufall verbreitet sich das dunkle Geheimnis via Internet wie ein Lauffeuer, wird die wahre Identität von Julia bekannt und dass diese eine Tochter, respektive der Campsite-Killer eine Tochter hat – und so ein perfider Serienkiller hat schließlich eine beachtliche Fangemeinde. Deshalb dauert es auch nicht lange, bis John von seinem Familienglück erfährt und Kontakt mit Sara aufnimmt. Schließlich möchte der stolze Papa sein einziges Kind nun auch kennenlernen, was die örtliche Polizei auf den Plan ruft, die ihm noch nie so nahe kommen konnte und mit Saras Hilfe hofft, ihm nun endlich das Handwerk legen zu können. Ihre Telefone werden angezapft, vereinbarte Treffen mit John bis ins kleinste Detail geplant und überwacht, aber letztlich können sie den Killer nicht fassen. Erst als John Saras Tochter Ally in seine Gewalt bringt und sie somit zwingt ihm zu folgen, begegnen sich Vater und Tochter das erste Mal - und gleichzeitig auch das letzte Mal.
Die größte Parallele, die Chevy Stevens' Thriller gemein haben, ist Erzählstil und -perspektive. Wir erleben ein Wiedersehen mit der Therapeutin Nadine, die schon in Still Missing die ewig stumme "Beisitzerin" der Monologe der Protagonistin war. Auch dieses Mal beschreiben die einzelnen Kapitel die 24 Therapiesitzungen, in denen Sara Nadine das Geschehen erzählt, allerdings hier während es geschieht und nicht, wie im ersten Werk, nachdem. Auch dieses Mal gibt es widersprüchliche Gefühle für den Täter, sucht Sara doch eigentlich ihr ganzes Leben schon nach einer Vaterfigur, die sie letztlich in einem brutalen Serienkiller- und vergewaltiger findet, der - wie sollte es auch anders sein - als Neunjähriger von seiner Mutter verlassen und von seinem eigenen Vater zu "Lernzwecken" regelmäßig im Wald ausgesetzt oder zur Abwechslung verprügelt wurde. Durch die Schilderungen des harmonischen Familienlebens mit ihrem Verlobten Evan, ihrer Tochter Ally und ihrem Hund Elch, schafft die Autorin angenehme Erholungsphasen für den Leser, nur um ihn sogleich wieder mit in den Abgrund zu reißen, wenn John droht einen weiteren Mord zu begehen, sollte Sara sich weigern mit ihm zu telefonieren oder ein Treffen ausschlagen.
Stevens versteht es zu "erzählen", man hat alles genau vor Augen, fühlt mit Sara, findet Evan tatsächlich hinreißend und würde ihn auch heiraten wollen und möchte andererseits manchmal förmlich in das Buch springen und ihr helfen, sie aus diesem Horrortrip retten. Aber diesmal ist alles irgendwie ein wenig zu viel Rosamunde-Pilcher-like, ist alles ein bisschen zu viel Happy-ending, Evan ein wenig zu perfekt, Ally ein wenig zu nervig und die Ermittler ein bisschen zu viel Klischee. Bleibt zu hoffen, dass in diesem Fall hier nicht "aller guten Dinge drei" sind, und Chevy Stevens uns mit ihrem nächsten Psychothriller wieder zu überraschen weiß. Denn eine dritte Patientin dieser Art mag man Nadine nun wirklich nicht an den Hals wünschen.
Chevy Stevens, Argon
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