Geisterfjord
- Fischer
- Erschienen: Januar 2011
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- Reykjavik: Veröld, 2010, Titel: 'Ég man þig ', Seiten: 317, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Fischer, 2011, Seiten: 368, Übersetzt: Tina Flecken
Kein Krimi, aber ein packender Thriller
Katrin und Gardar sind hoch verschuldet und versuchen durch die Renovierung eines alten Hauses als Gästehaus in Hesteyri einen letzten Neuanfang. Gemeinsam mit ihrer Freundin Lif nutzen sie die Schulferien, um sich an die Arbeit zu machen. Doch Hesteyri ist eine kleine Ansiedlung in einem abgelegenen Fjord, dessen letzte Einwohner bereits 1952 den einsamen Ort verließen. Recht bald merken die drei jungen Leute, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Katrin findet in einer Senkgrube auf dem eigenen Grundstück zwei Friedhofskreuze, unter der morschen Terrasse finden sich überraschend Tierknochen und in der Wohnung entdecken sie plötzlich Muscheln, die zu dem Wort "Tschüs" zusammengelegt wurden. Schnell finden Sie heraus, dass sie nicht allein in Hesteyri sind &
In Isafjördur versucht derweil die Kriminalkommissarin Dagný herauszufinden, was es mit der Verwüstung eines Kindergartens auf sich hat. An ihrer Seite befindet sich der Psychiater Freyr, der zu den Ermittlungen herangezogen wurde, da man von einem psychisch gestörten Täter ausgeht. Bei der Untersuchung eines sehr alten Patienten erfährt Freyr von der Verwüstung einer Grundschule vor über 60 Jahren, deren Ablauf den aktuellen Ereignissen nahezu identisch ist. Damals hinterließ der Täter ein Klassenfoto, bei dem einige Schüler unkenntlich gemacht wurden. Darunter sechs Kinder, die in den letzten drei Jahren verstorben sind. So auch die inzwischen 69-jährige Halla, die sich aktuell in der Kirche von Sudavik erhängte, jener Kirche, welche seinerzeit nach dem Verlassen der letzten Einwohner von Hesteyri versetzt wurde. In einem wirren Abschiedsbrief schreibt Halla an Bernodus, einen früheren Klassenkameraden der 1953 spurlos verschwand, dass sie Benni nicht finden konnte.
Benni ist der Sohn von Freyr, der als Sechsjähriger vor drei Jahren ebenfalls spurlos verschwand&
Um es vorwegzunehmen, Geisterfjord ist kein (!) neuer Fall aus der Dóra-Guðmundsdóttir-Reihe, sondern ein sogenannter Stand-alone-Thriller. Auch der Begriff Thriller ist wichtig zu betonen, denn anders als ihre bisherigen Romane, denen ein klarer Krimiplot zugrunde lag, spielen hier andere Effekte eine dominierende Rolle. Ähnlich wie bei Sebastian Fitzeks "Therapie" passieren zahlreiche Ereignisse, die eigentlich gar nicht passieren können. Dinge verschwinden, Stimmen sind zu hören, obwohl niemand anwesend ist und so weiter. Die Geschichte pendelt ständig zwischen den Ereignissen in Hesteyri und Isafjördur hin und her, bevor beide Erzählstränge nicht ganz überraschend am Ende zusammen geführt werden.
Er musste damit warten, bis er ihr das Handy zeigen und ihr Bennis schwache Stimme vorspielen konnte. Eine Stimme, die Freyr aufgenommen hatte, obwohl es keine Stimmbänder und keine Zunge und kein zentrales Nervensystem gab, das die Worte bilden konnte. Aber am Himmel gab es auch nichts Sichtbares, das die Nordlichter einschaltete. Wie konnte er darüber urteilen, was möglich war und was nicht?
Geisterfjord ist ein packender Thriller, in dem die Autorin mit etlichen glänzenden Cliffhangern zum sofortigen Weiterlesen animiert, so dass man den Roman recht schnell ausgelesen hat. Gekonnt werden die drei Leute im abgelegenen Fjord beschrieben, die schon recht bald ein ums andere Mal aneinander geraten, da zu viele unheimliche Dinge um sie herum geschehen. Doch auch auf dem Festland geht es alles andere als beschaulich zu, denn nach und nach findet Freyr heraus, was es mit den Geschehnissen Anfang der 1950er Jahre und dem Verschwinden seines Sohnes auf sich hat. Natürlich ist dies alles von vorne bis hinten konstruiert und am Ende wird auch nicht jede Spur sauber aufgelöst, dennoch ist "Geisterfjord" ein empfehlenswerter Roman nicht nur, weil Island zurzeit als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse vertreten ist.
Yrsa Sigurðardóttir, Fischer
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