Schuld währt ewig
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2011
- 13
- Berlin: Ullstein, 2011, Seiten: 432, Originalsprache
Menschliche Dramen unter der Oberfläche
Ein junger Architekt kommt nach Feierabend aus seinem Büro, tritt mit dem Handy am Ohr auf die Straße und wird brutal überfahren – von einem Auto, das offensichtlich auf ihn gewartet hat. Zwei Zeugen haben den Mord beobachtet, können aber keine Einzelheiten nennen. Einzig Frührentner Eugen Voigt hat Fotos von dem Vorfall, was er der Polizei jedoch verschweigt. Der verbitterte Mann, der täglich mit seiner Spiegelreflexkamera auf verkehrliche Verfehlungen seiner Nachbarn und Mitbürger lauert, will Geld aus der Sache rausholen. Als dann eine junge Frau in einem flachen Teich ertränkt wird, ahnen Kommissar Tino Dühnfort und seine Kollegen zunächst nicht, dass es Zusammenhänge zwischen den beiden Morden gibt. Voigt, der nochmals befragt werden soll, bleibt verschwunden, und die fieberhaften Ermittlungen bringen nur stückweise neue Erkenntnisse. Als sich zeigt, dass hier ein Täter unterwegs ist, der seine Opfer gezielt umbringt, ist das nächste Ziel des Killers bereits ausgewählt worden. Es geht offenbar um Menschen, die schuldlos am Tot anderer Personen beteiligt waren – und auf die gleiche Weise werden sie ihrerseits umgebracht. Bis zum gnadenlos Showdown müssen Leser und Ermittler noch einiges überstehen.
Schuld währt ewig ist bereits Inge Löhnigs vierter Fall mit Tino Dühnfort und seinem Team. Dabei ist es auch für Neueinsteiger kein Problem, in die Reihe hinein zu kommen. Es wird so gut wie kein Wissen aus den Vorgänger-Bänden voraus gesetzt, wenn man nach einigen Seiten die Akteure sortiert hat, ist die Geschichte überaus flüssig zu lesen. Inge Löhnig verzichtet auf überlange Satzgebilde, die Dialoge sind prägnant und pfiffig. Das neue Buch der Autorin ist zudem ungemein fesselnd, sie baut von Beginn an einen guten Spannungsbogen auf, der erst im ebenso dramatischen wie überraschenden Finale aufgelöst wird. Kommissar Dühnfort ist dabei ein akribischer Ermittler, der von seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn getrieben wird. Daneben muss er sich ständig Gedanken wegen der privaten Beziehung zu seiner Kollegin Gina machen, wodurch die Arbeit in der Mordkommission immer wieder belastet wird. Die Autorin schildert diese Aspekte ihrer Geschichte in angenehmem Plauderton, und baut geschickt einen Vorfall ein, der auch für den Fortgang der Ermittlungen wichtig ist.
Neben dem Kommissar und seinem Team gibt es einige auffallende, ja sogar skurrile Figuren. Da ist der von seinen Nachbarn "Knöllchen-Eugen" genannte Frührentner Voigt. Eine wirklich abstruse Figur, die es in ähnlicher Ausprägung wohl in vielen Wohnsiedlungen und Nachbarschaften geben dürfte. Und es gibt im Harz tatsächlich so einen Menschen, im Januar 2012 wurde bundesweit in den Medien darüber berichtet – er hat sogar 30.000 Anzeigen auf den Weg gebracht. Die Roman-Figur Eugen ist wegen einer Früh-Verrentung äußerst verbittert, und findet Befriedigung darin, Nachbarn oder auch unbekannte Passanten bei Gesetzesverstößen zu fotografieren und anschließend anzuzeigen. Das Verhalten ist extrem überzeichnet, aber in seiner piefigen Kleinbürgerlichkeit wiederum typisch und eben auch amüsant. Zudem spielt "Knöllchen-Eugen" in dem Fall eine wichtige Rolle.
Eine diffizile Figur ist Susanne - eine Art Aussteigerin, die ihr Leben nach einem dramatischen Zwischenfall, bei dem ein Kind ums Leben kam, völlig umgekrempelt hat. Sie macht sich ständig Selbstvorwürfe, hat nahezu täglich Alpträume – und passt so bestens in das Opferprofil des Killers. Susanne steht als Typ für die Personen, um die es dem Mörder geht. Alle haben psychische Probleme, suchen in Selbsthilfegruppen einen Weg aus ihrer Misere. Inge Löhnig greift hier ein Problem auf, dass in der Gesellschaft relativ unbekannt sein dürfte. Wie kommen Menschen damit zurecht, dass sie am Tod eines anderen beteiligt waren, ohne wirklich Schuld daran zu haben? Bei den potenziellen und tatsächlichen Mordopfern spielen sich menschliche Dramen ab, sie sind latent Suizid-gefährdet – das Thema ist ein wirklich heißes Eisen. Man fragt sich unwillkürlich, wie viele solche Menschen unauffällig unter uns leben?
Der sympathische Ermittler Dühnfort wird als Figur gut weiter entwickelt, bei dem Mordversuch durch einen entlassenen Gewalttäter zeigt er Gefühle, was ihn für den Leser als Menschen noch begreifbarer macht. Eine große Stärke des Romans ist die enorme Spannung, die von der Autorin in kleinen Häppchen gesteigert wird. Zuweilen ist das schon fast quälend, weil man wissen will, wie es denn nun weitergehen wird. Es gibt viele falsche Fährten, mehrfach glaubt man den Mörder identifiziert zu haben, nur um wieder zu sehen, dass es doch anders ist. Ermittler und Leser werden bis zum dramatischen Finale in Atem gehalten – ein wirklich spannendes und lesenswertes Buch.
Inge Löhnig, Ullstein
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