Böses Blut
- Piper
- Erschienen: Januar 2003
- 32
- Höganäs: Bra böcker, 1999, Titel: 'Ont Blod', Originalsprache
- München, Zürich: Piper, 2003, Seiten: 368, Übersetzt: Wolfgang Butt
- Schwäbisch Hall: steinbach sprechende bücher, 2005, Seiten: 6, Übersetzt: Hagen, Till
Überambitioniert, manchmal arg bemüht und dennoch unterhaltsam
"Commando Cool" war die interne Bezeichnung einer Spezialeinheit im Vietnam-Krieg. Direkt dem Präsidenten unterstellt war es ihre Aufgabe, den Feind im Feld Geheimnisse zu entlocken - und das mit allen Methoden. Die Perversität einer Folter wurde hochtechnisiert mit einer Zange, mit der das Commando Cool dem Gepeinigten die Stimmbänder abklemmen konnte. Stumme Schmerzen, perfekt für den Einsatz auf feindlichem Terrain.
Der gleichen Technik bedient sich seit Jahren der "Kentuckymörder", ein Serienkiller, der seine Opfer auf bestialischte Weise foltert und umbringt. Im New Yorker Flughafen erwischt er den schwedischen Literatur-Kritiker Lars-Erik Hassel und die Anzeichen verdichten sich, dass der Kentuckymörder mit Hassels Ticket auf dem Weg nach Schweden ist. Ein Fall für Paul Hjelm & Co. von der Spezialeinheit des Reichskriminalamts, genannt die "A-Gruppe".
Der Blick in den Abgrund einer Verschwörung
Doch die stellen sich am Stockholmer Flughafen wenig geschickt an, der potenzielle Serienmörder entwischt ihnen und kann so anonym auf schwedischem Gebiet weiter morden. Erste Spuren erweisen sich als zu offensichtlich, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Und so bleibt der A-Gruppe nichts anderes übrig, als gemeinsam mit dem FBI in New York den komplexen Fall nochmals unter die Lupe zu nehmen. Und tatsächlich stößt Hjelm auf einen Umstand, den FBI-Agent Ray Larner trotz jahrelanger Untersuchung der Fälle übersehen hat. Die schwedische Polizei blickt in den Abgrund einer Verschwörung, die sie zu überfordern droht...
Klingt nicht schlecht? Ist es auch nicht. Aber Vergleiche mit anderen Krimi-Schweden kann man bei Böses Blut nicht nur stellen - sie drängen sich förmlich auf. Und zwar mehr als deutlich und schon auf Seite 22:
"Es war ein glasklarer Spätsommertag, durchwirkt von schwer beschreibbaren Einfärbungen der Vorwarnung von Herbst. Der Sommer ist zu Ende, dachte Hjelm schicksalsschwer. Herbst über Schweden, fuhr seine innere Stimme mit pathetischem Beben fort."
Diese von Henning Mankell mehr als bekannte Wettermetaphorik zieht sich wie - Verzeihung! - eine drückende Sommerschwüle durch den ganzen Roman. Tja, vielleicht geht es bei den Schweden einfach nicht anders? Dass aber wie auch in der Wallander-Serie (gerade beendet, als Böses Blut in Schweden erschien) ein Mitglied des Polizisten-Teams Nyberg heisst und Paul Hjelm passioniert John Coltrane hört (klingelt´s? genau wie Ake Edwardsons Kommissar Winter), sind weitere Hinweise auf gelegentliche Inspirationslosigkeit des Autors.
Kopiert? Ein Schelm, der böses dabei denkt...
Zu behaupten, er hätte sich Böses Blut zusammenkopiert, wäre allerdings so falsch wie unfair gegenüber dem Schweden. Doch so ganz lässt sich auch nach den 360 Seiten ein Wiedererkennungseffekt nicht leugnen. Ein Ermittler im Alter einer Midlife-Crisis, ein buntes Polizeitrüppchen, wo jeder genau ein Klischee erfüllt, ein Serienmörder, der - wie kann es anders sein? - brutal wie nie seine Opfer meuchelt. Das ist alles nicht neu. Auch wie der Täter in Böses Blut den Polizisten haushoch überlegen ist, mit ihnen spielt, sie zum Narren hält, jahrelang das FBI foppt, ist keine Novität. Hannibal Lecter!, will der Harris-Fan rufen. Honni soit qui mal y pense.
Hingegen ist die Idee, einen serienmordenden Vietnam-Veteranen aus den Staaten zu importieren und ihn in eine immense Verschwörungstheorie einzupflechten, an der islamische Fundamentalisten, der CIA bis hin zu Präsident Nixon beteiligt zu sein scheinen, durchaus intelligent und vor allem frisch. Im Gegensatz zu anderen aktuellen kriminellen Schwedenhappen mal was anderes, die schwedische Gesellschaft produziert hier ihre Kriminalität nicht selbst sondern bekommt sie im Zuge der Globalisierung praktisch aufgedrängt. Glücklicherweise beschönigt Dahl diese Tatsache nicht und fasst die wohl unverzichtbare Kritik an der schwedischen Gesellschaft gebündelt auf zwei Seiten im Mittelteil zusammen. Und die lassen sich wunderbar überspringen...
Logik-Schnitzer und angestrengte Formulierungen
Dummerweise sind Arne Dahl bei seinem zweiten Roman der Paul-Hjelm-Reihe jedoch einige böse Logik-Schnitzer unterlaufen: Der Kentuckymörder geht der A-Gruppe am Flughafen durch die Lappen, sie weiß aber, dass er als achtzehnter den Schalter passiert hat. Keiner kann sich daran erinnern, wie er aussieht. Wäre für den weiteren Verlauf vielleicht auch zu einfach - aber will uns Arne Dahl wirklich weismachen, dass es 1998 am Stockholmer Flughafen keine Videoüberwachung gab? Im weiteren Verlauf gibt der Computer-Experte der A-Gruppe, Jorge Chavez, ein Passwort ein, das er nicht kennen kann - es sei denn, er hätte dem Chefredakteur so genau auf die Finger geguckt, dass er sich die Tastenfolge merken konnte, als jener den Zugangscode zum PC des ermordeten Hassel eingab. Auf keinem System wird bei der Eingabe ein Passwort im Klartext auf dem Bildschirm angezeigt. Naja, und dass in einem benutzten Lagerraum einer gut laufenden Firma ein am Boden festgeschweißter Metall-Stuhl keinen stutzen lässt, sollte den Leser umso mehr stutzen lassen.
Dazu wirkt Böses Blut arg überambitioniert. Manche Formulierungen wirken angestrengt, künstlich ("sie war der dritte Zacken in dem Gehirntrio"); das Vater-Sohn-Motiv, das Böses Blut wie ein roter Faden durchzieht, strapaziert Arne Dahl soweit, dass es fast bei jeder Person, vom Kentuckymörder über Hjelm selbst bis zum Ermordeten Hassel, zur Anwendung kommt. Und die zahlreichen Perspektivwechsel in die Mitglieder der A-Gruppe charakterisieren diese zwar auf eine nicht uninteressante Weise, sind in ihrer Quantität aber einfach zu viel. Da wäre weniger mehr gewesen, eine Konzentration aufs Wesentliche - bzw. auf die wesentlichen Figuren - hätte dem Roman gut getan.
Aber genug der Kritik. Böses Blut gehört zu den Büchern, wo man zwar schon beim Lesen über so manche Dinge stolpert und die man nüchtern betrachtet einfach kritisieren muss, man jedoch trotzdem gebannt weiterliest, sich Seite für Seite gut unterhalten fühlt, von der bitteren Aktualität und Brisanz des Plots gefesselt und nach dem nervenkitzelnden Schluss der Meinung ist, einen guten, psychologisch stimmigen Thriller gelesen zu haben. Lassen wir es dabei.
Arne Dahl, Piper
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