Banditenliebe
- Tropen
- Erschienen: Januar 2011
- 4
- Rom: e/o, 2009, Titel: 'L´amore del bandito', Seiten: 191, Originalsprache
- Stuttgart: Tropen, 2011, Seiten: 190, Übersetzt: Hinrich Schmidt-Henkel
Mafiosi wie in einem Film noir
Die Gangster-Braut Sylvie wird im Herbst 2006 ohne Aufsehen zu erregen auf der Straße entführt. In ihrem Auto finden ihr Freund Beniamino Rossini und seine Kumpel einen markanten Siegelring. Zwei Jahre zuvor gab es einen spektakulären Diebstahl aus der Rechtsmedizin, bei dem einige Kilo Heroin und anderes Rauschgift gestohlen wurden. Offensichtlich waren Insider beteiligt, da die Türen nur mit einem Code geknackt werden konnten. Einige Gangster aus dem Kosovo waren kurz in Haft, der Fall wurde schnell zu den Akten gelegt. Marco Buratti und sein Knast-Kumpel Max la Memoria erledigen gelegentlich Gefälligkeitsjobs als Privatdetektive, auch ohne Lizenz. Als sie gedrängt werden, den Raub aufzuklären, weigern sie sich, nach einigen Gesprächen macht Rossini mit dem Boten des Auftraggebers kurzen Prozess und erschießt ihn. Als Todesbotschaft hinterlassen die Männer einen Siegelring – und zwei Jahre später soll Sylvie bitter dafür büßen. Ein blutiger Unterweltkrieg nimmt seinen Lauf.
Von Beginn an – und das soll durch das Cover und die sonstige Aufmachung des Buches unterstützt werden, fühlt sich der Leser wie in einem "Film noir". Düstere Hinterzimmer, zwielichtige Typen – einschließlich der drei durchaus sympathischen Protagonisten. Massimo Carlotto erzählt gekonnt eine interessante Geschichte, eine gute Mischung aus Milieu-Studie und Kriminalroman. Zuweilen gibt es blutige Action, aber vor allem auch reichlich gesellschaftskritische Aspekte, für die der Autor ja hinlänglich bekannt ist. Carlotto präsentiert seinen Lesern starke Emotionen, witzige und dem Milieu entsprechende Dialoge. Der Einblick in die Strukturen des organisierten Verbrechens lässt auf akribische Recherchen des Autors schließen. Es geht um Spitzel, korrupte Polizisten und Anwälte, und vor allem um rivalisierende Verbrecherfamilien. Die Herkunft der kosovarischen Mafia aus den Reihen der UCK-Kämpfer klingt überaus plausibel, und die für den Rauschgiftschmuggel "offene Flanke" der Europäischen Union über die Adria wird plausibel dargestellt.
Die Schilderung der internen Machtkämpfe, bei denen ein Menschenleben auch in der eigenen Gruppe scheinbar nichts zählt, lassen kalte Schauer den Rücken herab rieseln. Denn die Vernetzung der kriminellen Banden über die offenen Grenzen hinweg nach Osteuropa ist bittere Realität, wie man vielen Sachbüchern zu diesem Thema entnehmen kann.
Dabei geht es nicht nur um Rauschgift, sondern auch um Geldwäsche, um den Handel mit Müll, Immobilien und vieles mehr. Dem Außenstehenden mag das Motiv für die Entführung eher banal erscheinen, aber in Verbrecherkreisen wird das sicherlich völlig anders gesehen. Hier und da sind Carlotto kleinere logische Brüche unterlaufen, und am Anfang sind seine Zeitsprünge mitunter schwer nachzuvollziehen. Auch die vielen Namen – er wechselt gerne von Vor- zu Nachnamen und zurück – verwirren etwas. Diese Schwächen werden jedoch durch gute Dialoge, einen lockeren Erzählstil und zahlreiche humorvolle Nebenepisoden ausgeglichen.
Eine weitere Schwäche des ansonsten gut zu lesenden Buches ist neben den Zeitsprüngen der lange Zeitraum, über den sich die Handlung hinzieht. Der Glaubwürdigkeit dient es jedenfalls nicht, wenn erst zwei Jahre nach dem Drogenraub die Braut eines der Gangster entführt wird, um sich an dem Trio doch noch zu rächen und es zur Aufklärung des Falles zu zwingen. Trotz der deutlichen Schwächen ist Banditenliebe ein wirklich lesenswertes Buch. Die Bezüge zum "Film noir" sind deutlich ausgeprägt, und so könnte man sich durchaus auch eine Verfilmung des Romans vorstellen. Allerdings müssten die Darsteller sorgfältig ausgewählt werden, denn nach den Charakterisierungen von Massimo Carlotto hat der Leser eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie die Protagonisten aussehen, reden und sich bewegen. Gutes Lese-Kino also, allerdings nicht nach Hollywood-Manier, sondern eben von der düsteren Art.
Massimo Carlotto, Tropen
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