Gluthitze
- Golkonda
- Erschienen: Januar 2011
- 4
- New York: Knopf, 2008, Titel: 'Leather Maiden', Seiten: 287, Originalsprache
- Berlin: Golkonda, 2011, Titel: 'Gauklersommer', Übersetzt: Richard Betzenbichler
- Berlin: Suhrkamp, 2013, Seiten: 300, Übersetzt: Richard Betzenbichler
She builds you up to just put you down, what a clown - 'cause everybody knows, she's a femme fatale
Camp Rapture, mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Kahlschlag. Cason Statler kehrt zurück in seine Heimatstadt. Der desillusionierte Irakveteran und Pulitzer-Preis-Nominierte tritt eine Stelle bei der örtlichen Tageszeitung an. Einen lockeren Job als wöchentlicher Kolumnist. Die Arche Noah, Stammzellenforschung, Tarzan und Caroline Allison halten Cason auf Trab. Vor allem die blonde Schönheit Caroline, die eines Tages spurlos verschwand. Er will sie zum Teil einer kleinen Serie machen und steckt plötzlich mitten im tiefsten Schlamassel. Als wäre sein Leben mit einem Übermaß an Alkohol, Kriegstrauma, einer verkorksten Liebesbeziehung und der Erkenntnis, dass der Weihnachtsmann keine real existierende Persönlichkeit ist, nicht schon schwer genug. Statt in Ruhe seinem Job nachgehen zu können, bekommt er es mit Erpressung, bestialischen Morden und perfiden Planspielen zu tun. Mittendrin sein Bruder Jimmy. Bald gerät nicht nur seine Familie, sondern auch die neue Frau an seiner Seite, Kollegin Belinda, in Gefahr. Was für ein Glück, dass Cason dank seiner Kriegserfahrungen einen Psychopathen kennt, der seine Gegner noch toppen kann. Man muss halt nur wissen, welches Ufer am Rand des Wahnsinns das mit den größeren Überlebenschancen ist. Und an dem sich ein Rest von Menschlichkeit finden lässt.
Gauklersommer. Das klingt nach Ray Bradbury trifft Stephen King in Joe Lansdales literarischer Kleinstadt-Heimat Camp Rapture. Weit gefehlt. Das Buch treibt die bekannten Muster des gewählten Genres auf die Spitze; nur einen Hauch von der Parodie entfernt, werden sie dann gebrochen. Cason Statler ist der neo-klassische Held des hardboiled Romans. Ein versoffener Zyniker, Ex-Kriegsteilnehmer, beruflich gescheitert und jetzt darauf aus, seine berufliche und moralische Integrität wiederzugewinnen, indem er sich in den einen Fall verbeißt, der seinem Leben wieder Sinn gibt. Wer jetzt Kenntnis mimend abwinkt, fällt auf einen Erzähler rein, der viel zu versiert und originell ist, als dass er einen altbackenen Stoff derart unreflektiert übernehmen würde. Cason ist auch kein Weltkriegs- oder Vietnamveteran; er kämpfte im Irak und hält sich trotz kurzer Schlaglichter merkwürdig bedeckt, was seine Kriegserlebnisse angeht. Ja nichts konkretes, sondern eine Darstellung wie sie seit dem ersten Irakeinsatz in den Medien gang und gäbe war. Kurze Blicke auf´s Töten und Getötet werden, beiläufig, fast aus Zufall entstanden und an der Zensur vorbei geschmuggelt. Inhaltlich oder gar kritisch kann so gar keine Aufarbeitung möglich sein. Statler wird so eher zum Teil einer Verdrängungsmaschinerie als zum therapiebedürftigen Traumapatienten. Zudem war er bereits als Zivilist, von klein auf, ein dezenter Zwangsneurotiker, dessen Neurosen sein Leben stärker beeinflussen als seine Kriegserlebnisse.
Nicht nur hier entsteht ein Bruch mit den sattsam bekannten Protagonisten anderer PI- und Journalisten-auf-kriminalistischem-Jagdausflug-Romanen. Cason hat eine Familie, die sich liebevoll um ihn kümmert und ihm eine wahre Stütze ist. Solange, bis er feststellt, dass sein Leben auf Messers Schneide stabiler ist, als das seines anscheinend wohl saturierten Bruders Jimmy, dem er den Arsch retten muss. Und auch seine zwanghafte Sehnsucht zur Ex-Geliebten Gabby hat einige Widerhaken. So richtig klar wird nicht, warum Gabby jedes Mal ausflippt und mit dem Anwalt droht, wenn Cason sich ihr nähert. In den kurzen Momenten, die ihr gehören, lässt Lansdale ganz unaufdringlich den Schluss zu, dass sie ihrerseits Cason ausgenutzt hat. Begehrt als smarter Footballspieler der örtlichen High School, fallen gelassen, sobald er die Ortsgrenze hinter sich ließ. Kein feiner Zug, der andererseits höchst fragwürdig werden lässt, weshalb Cason sich so verzweifelt an Gabby klammert. Bleibt zu hoffen, dass Belinda es richten wird. Da sind wir guter Dinge.
Nicht zu vergessen: Cason hat seinen möglichen Anspruch auf den Pulitzer-Preis nicht vergeigt, weil er einer jener integeren Journalisten ist, denen jegliche Konsequenz für eine gute Story egal ist, sondern weil er gleichzeitig mit der Ehefrau und Stieftochter (erwachsen) seines Chefs vögelte.
Diese Art Erwartungshaltungen aufzubauen, sie scheinbar auch zu erfüllen, um ihnen dann genüsslich den Boden unter den Füßen zu entreißen, durchzieht den ganzen Roman. Am faszinierendsten ausgeführt an zwei prägenden Nebenfiguren.
A: Booger. Der Sidekick. Wir kennen sie. Manchmal heißen sie Hawk, Max oder Bubba. Gut, Jack Reacher hat und braucht keinen. Aber Cason Statler kommt er zupass. Und Booger ist schon so einer. Dagegen ist Dennis Lehanes Bubba der freundliche Babysitter von nebenan. Booger foltert, Booger tötet. Aber nicht, weil er es im Dienst der Gerechtigkeit tut, sondern weil es ihm Spaß macht. Von den Psychopathen der Gegenseite unterscheidet ihn lediglich, dass er entschieden hat, seinen Kriegskameraden Cason unter seine Fittiche zu nehmen. In den Booger-Sequenzen erreicht Lansdale die (scheinbar) amoralische Konsequenz eines Rex Miller. So sehr man sich wünscht, dass Cason seinem Ziel näherkommt, so sehr bleiben die Mittel strittig, die er zur Erreichung ausübt. Der Erfolg wird ihm rechtgeben. Und Boogers Schlüsse sind so logisch, eindeutig nachvollziehbar wie Menschlichkeit verachtend. Cason folgt ihnen ohne große Gegenwehr. Die Hölle, das sind die anderen? Darüber kann Booger nur müde lächeln. Hölle ist das, was Spaß macht.
B: Caroline Allison. Die Femme Fatale. Ein Bild, gesehen durch die Augen der Menschen, die sie kannten. Cason begibt sich auf die Suche und stößt auf eine Biographie wie ein schwarzes Loch mit hoher Anziehungskraft. Ohne real aufgetreten zu sein, prägt Caroline den Roman, macht die Bewegungen der Menschen, die sie verfolgen zu ihren eigenen. Die Citizen Kane des Kriminalromans. Doch jenseits von Rosebud wartet die ein und andere böse Überraschung. Killing Time.
Gauklersommer funktioniert als ironischer Kommentar und spannender Roman. Joe R. Lansdale weiß, wo es wehtut und er weiß, wo man Spaß machen kann. Was grafische Gewalt angeht, ist das Buch geradezu dezent. Es beschreibt die Auswirkungen und Möglichkeiten, suhlt sich aber nicht in Eingeweiden. Haben Autor und Text auch nicht nötig. Lansdale ist ein höchst effektiver Erzähler, der genau weiß wie weit er aberwitzige Situationen und Charaktere treiben kann, ohne dass ihre Glaubwürdigkeit, bzw. die gesamte Lektüre, die Waage zwischen Komik und Grauen verliert. Nahezu beiläufig baut er einprägsam Themenkomplexe wie Rassismus, politische Willkür und religiösen Fanatismus ein, ohne sich zu überheben. Und alleine für eine Nebenfigur wie den Polizeichef Camp Raptures, der von sich behauptet ein lausiger Polizist zu sein, und der seiner ursprünglichen Karriere als Literaturwissenschaftler nachtrauert, würden andere Autoren ihre Schreibhand verkaufen.
"Literatur war mein Hauptfach an der Uni. Ich hätte dabei bleiben sollen. Dann wäre ich jetzt an irgendeiner Universität und würde Jugendliche unterrichten, die meinen Vorträgen gebannt folgen würden. Ich könnte Collegestudentinnen unter den Rock schauen und den kleinen Pelz in ihren Höschen bewundern, und ich könnte Reden halten. Das macht mir nämlich Spaß, und ich bin ein guter Redner. Alles andere kann mir meinetwegen gestohlen bleiben. Ich bin nicht für die Polizei geschaffen. Aber verraten sie das nicht dem Stadtrat. Ich brauche den Job. Meine Frau und Kinder essen gern." [S. 175f., am Rand eines mit Blut getünchten Tatorts]
Einmal mehr zeigt sich Lansdale als grandioser Autor vordergründig funktionierender Spannungs- und Unterhaltungsliteratur, deren Subtext aber eine Menge über das Leben zwischen gestern und morgen zu erzählen hat. Auch wenn es verpönt scheint: Nachdenken ist angesagt. Denn dann winkt manchmal Erkenntnis. Joe R. Lansdale weiß und kann beides.
"Für mich ist die Menschheit wie ein schmarotzender, hungriger Köter ohne Zuhause, der permanent über den Highway trottet, immer hin und her. Früher oder später erwischt ihn ein Auto."
Joe R. Lansdale, Golkonda
Deine Meinung zu »Gluthitze«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!