Das Licht in einem dunklen Haus
- Argon
- Erschienen: Januar 2011
- 4
- Berlin: Argon, 2011, Seiten: 5, Übersetzt: Matthias Brandt
Traurig, traurig
Man soll – wir wissen das – ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen; nach seinem Klappentext auch nicht, sei hinzugefügt. Und schon gar nicht nach den ersten Sätzen, in die der Autor die ganze Wucht seines Handwerks legt.
"Kimmo Joentaa lebte mit einer Frau ohne Namen in einem Herbst ohne Regen. Das Hoch wurde auf Magdalena getauft. Die Frau ließ sich Larissa nennen."
"Poesie!" hallt es da durch die Kritikerstuben. Das klingt schon richtig nach "Literatur!" und Wagner schreibt bekanntlich, wie er selbst es bisweilen betont, auch nicht "Krimi", sondern "Roman". Aha. Deshalb merken wir uns auch noch: Man soll ein Buch nicht nach dem beurteilen, was sein Autor darüber erzählt. Denn Das Licht in einem dunklen Hausist ein Krimi. Was sonst. Aber auch ein guter?
Jedenfalls ist es ein vorhersehbarer. Eine Frau – man hat sie verletzt im Straßengraben gefunden – liegt im Wachkoma und dämmert ihrem Tod entgegen. Der aber wird auf gewaltsame Weise vorgezogen. Mord. Auf dem Krankenbett entdeckt man Tränenflüssigkeit. Die Ermittler im finnischen Turku sind ratlos, nicht einmal die Identität der Frau kennen sie. Dann geschieht ein weiterer Mord und noch einer und noch einer. Allmählich verknüpfen sich die Fäden miteinander zu einem einzigen Fall. Jemand will Rache. Aber wofür?
Die Leserinnen und Leser wissen es längst, denn sie erfahren aus eingestreuten Tagebucheinträgen, dass 1985 etwas Furchtbares geschehen ist. Der Rest ist Krimiroutine. Der Mörder ist der Polizei immer einen Schritt voraus und – sehr schön – auch den Leserinnen und Lesern. Bis zum Schluss, wenn die finale Überraschung, auf die man irgendwie gewartet hat, nicht ausbleibt und alles ändert.
Soviel zur Frage, ob Wagner einen Krimi geschrieben hat. Na klar. Vielleicht "mehr als einen Krimi"? Das fragen sich nur Leute, die nicht wissen, was ein Krimi ist. Aber die oben zitierten Zeilen legen eines nahe: Wagner geht es nicht nur um "den Fall". Er hat ein Thema und das heißt Traurigkeit. Am besten lässt sich das am Protagonisten Kimmo Joentaa festmachen. Seine Frau ist in jungen Jahren an Krebs gestorben, er hat eine andere Frau, Larissa, kennen gelernt, doch diese Larissa (die wahrscheinlich anders heißt) ist nicht zu fassen. Sie arbeitet als Prostituierte, ist mal in Joentaas Haus (dann macht sie das Licht aus und wartet), dann wieder verschwunden – und jetzt ist sie einfach weg, möglicherweise für immer. Kein Wunder, dass auch sie traurig ist und im Schlaf weint. Aber auch der Tagebuchschreiber ist traurig. Der Mörder – ist es der Tagebuchschreiber? – hat bei seiner ersten Tat Tränen vergossen. Ein Kollege Joentaas liegt im Krankenhaus und kommt von seiner Spielsucht nicht los. Traurig, traurig. Eigentlich sind alle traurig, aber warum, das erfährt man nicht so genau.
Wagner ist ein Deutscher, der in Finnland lebt und wie ein Skandinavier schreibt. Er übernimmt auch die nordischen Schwächen, moralisiert gelegentlich eine Spur zu heftig, seine Sätze schwanken zwischen erkennbar um Schwere bemüht (siehe Eingangszitat) und , schablonenhaft, doch irgendwie kriegt er die Kurve. Über allen Personen hängen Fragezeichen wie Damoklesschwerter. Warum die Personen so sind, wie sie sind? Wir erfahren es nicht, von Joentaa einmal abgesehen. Auch das Motiv für den Rachefeldzug bleibt letztlich im Dunkeln, hier ist die Phantasie der Leserschaft gefordert. Und das ist gut so. Das Buch ist einerseits ein solide entwickelter Krimi, in dem auf Fragen Antworten gegeben werden, und andererseits eine psychologische Studie, bei der Fragen aufgeworfen werden, aber nicht beantwortet werden sollen. Das passt, das ist "Krimi" und nicht mehr als das. Vielleicht könnte man das sogar als Leitsatz für gute Kriminalliteratur formulieren: Für jede beantwortete Frage muss eine andere aufgeworfen werden, die nicht beantwortet werden wird. Sorry, liebe Freunde der lückenlosen Aufklärung, aber so ist das Leben nun einmal.
Das Licht in einem dunklen Haus ist so gesehen ein guter, lesenswerter Krimi. Dass ihm der Rezensent kleine Abzüge wegen stellenweise allzu bemühter / phrasenhafter Sprache verpasst, ist sein persönliches Problem und soll niemanden von der Lektüre abhalten. Die lohnt sich nämlich und ist alles andere als eine traurige Angelegenheit.
Jan Costin Wagner, Argon
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