Rachlust
- Aufbau
- Erschienen: Januar 2011
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- Kopenhagen: Politiken, 2009, Titel: 'Vold og magt', Seiten: 378, Originalsprache
- Berlin: Aufbau, 2011, Seiten: 416, Übersetzt: Kerstin Schöps
Gut gestartet, Kompass verloren, verlaufen
Über die ersten fünf Dicte-Svendsen-Krimis lässt sich einiges an Kritiker- und Leserlob finden; auch Elsebeth Egholms Ausflug ins Drehbuch-Fach, als Co-Autorin innerhalb der "Nordlicht"-Reihe, wurde wohlmeinend aufgenommen. In Rachlust "ermittelt" (schreibt der Verlag. Wir meinen: Sie recherchiert) die Journalistin Dicte Svendsen zum sechsten Mal in Buchform. Verfilmungen ihrer Abenteuer sind angekündigt. Rechte Freude kommt dabei nicht auf.
Dabei besitzt der Roman eine durchaus reizvolle Ausgangslage: Im Zentrum von Århus detonieren zwei Bomben. Am schicksalsträchtigen 11. September. Das Auto der Bürgermeisterkandidatin Francesca Olsen fliegt in die Luft, und ein Solarium wird in Schutt und Asche gelegt. Dort wollten Dicte Svendsen und ihre Freundin Ida Marie eigentlich sonnenbaden. Dem misslungenen Timing sei Dank kommen beide aber mit heiler Haut davon. Umgehend ist Dicte in den aufsehenerregenden Fall involviert. Doch was oder wer steckt dahinter? Terroristen, verfeindete Rockergruppierungen, Gegner der toughen Frau Olsen oder sollte es sich beim Solariums-Attentat gar um einen gezielten – allerdings äußerst amateurhaften – Anschlag auf die Kriminalreporterin Svendsen handeln?
Alles ist möglich, doch erst einmal wird Zeit mit Familiengeschichten vertändelt. Eine schwangere Ida Marie, mit nur allzu berechtigten Sorgen ihr Baby betreffend, bockige Töchter und missratene Söhne halten unsere Protagonisten auf Trab. Nicht nur Dicte hat mit ihrem erwachsenen und vor Jahrzehnten zur Adoption frei gegebenen Sohn Peter Boutrup ein Problem, sondern auch Ida Maries Lebensgefährte und Dictes Polizeifreund John Wagner mit seinem Spross Alexander. Kennzeichen: Gepiercter Ladendieb. Weil Papi so wenig Zeit hat.
Ergibt ein zähes Auf und Ab mit sorgenvollen Gesichtern und Gedanken sowie langwierigen Überlandfahrten. Dicte kommt dabei ihrem Sohn näher und erfährt häppchenweise immer mehr aus seiner traurigen Vergangenheit. Die, wie sollte es anders sein, möglicherweise der Schlüssel zu den anfänglichen Bombenanschlägen sein könnte.
Dicte Svendsen nervt. Mit ihrem Selbstmitleid, ihrer angedeuteten Tablettensucht, die dann doch kaum eine Rolle spielt, ihrer behaupteten Hartnäckigkeit und den angeblich so hervorragenden investigativen Fähigkeiten als Journalistin. Davon ist, verwunderlich bei Egholms eigenem Background als Journalistin, wenig zu spüren. Entscheidende Infos bekommt sie immer zum rechten Zeitpunkt von irgendwelchen Redaktionskollegen, ihr Interview mit Francesca Olsen ist eine halbgare Angelegenheit, die nichts Erhellendes über die Politikerin und noch weniger über die Fragestellerin erbringt. Warum Olsen viel später die blasse Reporterin als geeignete Empfängerin ihrer Lebensbeichte auswählt ist nur der Dramaturgie geschuldet und wenig nachvollziehbar.
Der spannende Beginn hätte vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten geboten, von Terrorismus(angst) bis hin zu einer Vorwegnahme der Tat des Anders Breivik. Bei Egholm springt kaum mehr als ein dürftiger Rachefeldzug (was der deutsche Titel bereits suggeriert) raus; dessen Grundlage wiederum Stoff für ein weiteres, aber gänzlich anders geartetes Buch, geboten hätte. Egholm schafft es, beide gelungenen Ansätze gründlich zu versemmeln.
In der vorliegenden Form ist Rachlust eine inhaltlich überladene Lektüre für Fans melodramatischer Beziehungsscharmützel. Geradezu verschwenderisch in der Obsession, familiäre Konflikte künstlich aufzubauschen, auf jedes schicksalhafte Desaster ein weiteres packen zu wollen und kleine Sensatiönchen bis zum bitteren Ende auszukosten. Derweil selbst der unaufmerksamste Leser längst Bescheid weiß und bei den sich wiederholenden Ausflügen in Dicte Svendsens brüchige Innenwelten eh gelangweilt abwinkt. Wenn er nicht schon vorher narkoleptisch vom Lesesessel gerutscht ist.
Die Gradbewertung sinkt nicht in den Wertungskeller dank des brauchbaren Einstiegs in die Geschichte(n) und der ein oder anderen eloquenten Passage. Lauwarme Schonkost bleibt Rachlust trotzdem.
Nicht ganz klar ist, ob gelegentliche Holprigkeiten der Autorin oder der Übersetzerin anzulasten sind. Ich tippe auf letzteres. Oder ergibt Dictes Aussage – auf die Frage, ob sie etwas zu trinken möchte - einen Sinn?
"Vielen Dank, ich nehme, was sie gerade in der Kanne haben. Sonst bin ich fein."
Ich bin auch fein. Fein raus aus den Abenteuern und Gefühlswallungen der Dicte Svendsen.
Elsebeth Egholm, Aufbau
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