Traumfrau
- Pendragon
- Erschienen: Januar 2011
- 5
- Hamburg: Galgenberg, 1989, Seiten: 255, Originalsprache
- München: Goldmann, 1991, Seiten: 255, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Fischer, 1998, Seiten: 255, Originalsprache
- Bielefeld: Pendragon, 2011, Seiten: 304
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt
Der Krimi-Blitz, der Publikumspreis der Krimi-Couch, wurde nach längerer Pause in diesem Frühjahr wieder einmal vergeben. Diesmal war es keine Krimi-Couch interne Ausscheidung, denn durch Bewerbung auch auf anderen Websites wurde ein breiteres Publikum angesprochen. Gewonnen hat, für einige schon überraschend, Ostfriesensünde von Klaus-Peter Wolf. Über die Qualitäten des Romans ist hier nicht zu diskutieren. Für den Rezensenten stellt diese Verleihung eine kleine Würdigung von Klaus-Peter Wolfs bisherigem Krimi-Schaffen dar. Obwohl Traumfrau bei seinem Erscheinen im Jahre 1989 für einigen Wirbel sorgte und Wolf seine Erfahrungen als "Frauenhändler" aktiv der Öffentlichkeit präsentierte, sind Buch und Aktionen in Vergessenheit geraten. Erst die "Ostfriesen"-Hausse hat Verlage wieder ermutigt, sich mit Wolfs Back-Katalog zu beschäftigen. So ist im Fischer-Verlag Karma-Attacke aus dem Jahre 2001 wieder aufgelegt worden. Beim kleinen Pendragon-Verlag erschienen im letzten Jahr Samstags, wenn Krieg ist und das aktuelle, hier zu besprechende Traumfrau.
In Traumfrau geht es um Menschenhandel – nicht um den, den man mit organisiertem Verbrechen in Verbindung bringt, sondern um den privaten, ganz legalen Menschenhandel, der über unseriöse Partnervermittlungen abgewickelt wird. Um den Hintergrund seiner Romanidee selbst auszuloten, hat Wolf sich Ende der 1980er Jahre auf umfassende Recherche begeben, die er in einem lebhaften Report in der Juli-Ausgabe (2011) der Krimi-Couch vorstellte. Man liest fassungslos, dass es ihm sogar gelungen ist, eine offizielle Gewerbeanmeldung für Frauen- und Mädchenhandel zu bekommen. Wolfs Recherche, die auch im Anhang der Neuauflage abgedruckt ist, macht deutlich, dass die Realität weit grotesker ist als eine Fiktion. In Traumfrau wird die Thematik eher dezent, nicht mit dem Finger zeigend oder anklagend verarbeitet. Es treten keine Sexmonster auf, sondern einfache normale Männer, die Nachbarn eines jeden von uns sein könnten.
Günther Ichtenhagen aus Ichtenhagen an der Ichte – das ist solides Bürgertum in Person und Ort. Ichtenhagen ist pensionierter Lehrer. Seit geraumer Zeit verwitwet gibt er sich ganz der Muße hin. Lange Spaziergänge am Fluss, die Pflege seines kleinen Fischteiches, das allabendliche Essen in der Dorfkneipe. Dort trifft er auch jeden Samstagabend seine Kumpels zu einem flotten Skat. Höhepunkt der Woche ist dann die Ziehung der Lottozahlen, die die Runde immer erwartungsvoll verfolgt. Und siehe da, eines Abends sind es fünf Richtige, die ihnen einen Gewinn von 5000 Mark bescheren. Nur, was tun mit dem Geld? Schnell sind sich die Skatbrüder einig, dass der Gewinn ihr Geheimnis bleiben soll; selbst die Ehefrauen der drei Verheirateten sollen außen vor bleiben. Die Köpfe rauchen – 5000 geteilt durch fünf ist gerade nicht die Welt, deshalb denken sie über ein Gemeinschaftsprojekt nach. An dieser Stelle muss auf eine Besonderheit im sonst so biederen Ichtenhagen hingewiesen werden: etwas außerhalb des Dorfes gibt es ein Bordell, in dem junge Asiatinnen anschaffen müssen. Ob nun dadurch inspiriert, beschließen die Männer, sich über eine Partnervermittlung eine Thai kommen zu lassen, die ihnen dann ganz privat und exklusiv zu Verfügung stünde. Ichtenhagen solle sie pro forma heiraten. Da er ja allein lebe, könne man die künftige Gespielin in dessen eh viel zu großem Haus unterbringen, wo sie dann jederzeit für alle verfügbar wäre. Gesagt – getan!
Dann ist sie da – die Mary aus Thailand. Der Bestellkatalog hat nicht zu viel versprochen. Sogar stumm ist sie, ganz so wie die Herren es gewünscht hatten. Doch das Projekt, das in der Theorie so einfach erschien, erweist sich in der Praxis weitaus komplizierter. Eifersüchteleien, konkurrierende Besitzansprüche, Ego- und Potenzprobleme, gar erste Skrupel mischen die Männerrunde auf. So langsam dämmert es ihnen, dass sie hier mit einem fühlenden Menschenwesen und nicht mit einer stummen aufblasbaren Sexpuppe zu tun haben. Günther Ichtenhagen, der von Anfang der Aktion eher skeptisch gegenüber stand, der aber eingedenk seiner Einsamkeit und seiner Herzprobleme gerne eine sich sorgende Person an seiner Seite hätte, stellt sich schützend vor Mary. Das tut auch bitter Not, denn Marys Anwesenheit hat bei den Skatbrüdern das Innerste nach außen gekehrt. Martin Schöller, der Youngster, der vor kurzem noch an den Rockschößen seiner Mutter klammerte, hat seine wahre Profession entdeckt und will sich als Kuppler und Zuhälter beweisen. Ob das Drama ein gutes Ende nehmen wird?
Viele, die vorab Klaus-Peter Wolfs Recherche zu diesem Buch gelesen haben, werden sich wundern, dass Wolf eine sehr moderate Adaption seiner Erlebnisse gewählt zu haben scheint, doch die Ungeheuerlichkeiten verstecken sich in der Normalität und Legalität des Ablaufs. Keiner der Herren scheint sich bewusst, dass sie hier einen Menschen kaufen wie ein Stück Vieh oder ein neues Auto. Als wohl indoktrinierte Mitglieder der Konsumgesellschaft können sich gar nicht vorstellen, dass Leben mehr ist, als Essen und Trinken oder ein Dach über dem Kopf. Dass "ihre" Mary aus ihrem sozialen Gefüge herausgerissen wird, in eine Welt eintaucht, dessen Sprache sie nicht mächtig, dessen Kultur sie nicht versteht, ficht die Männer nicht an. Dass Mary auch noch als Sexsklavin herhalten soll, müsste eigentlich das moralische Sicherungssystem eines jeden aktivieren. Doch da ist zuerst kein Unrechtsbewusstsein festzustellen. Frauen aus Thailand, Russland, den Philippinen und woher auch immer erscheinen als Menschen höchstens 2. Klasse, von denen man annimmt, dass sie für ein bisschen Wohlstand Geist, Körper und Seele opfern.
Mit banger Aufmerksamkeit und als Mann auch mit viel Schamesröte verfolgt man das Treiben der Männerrunde. Wie ein Damokles-Schwert hängen Willkür und Begierden der Männer über Mary. Selbst Klaus-Peter Wolf, der seinen Geschichten gerne eine heitere Note zukommen lässt, scheint es angesichts der Thematik den Humor verschlagen zu haben, wenn man von einigen geradezu grotesken Szenen wie z.B. ein Fluchtversuch mit einem Traktor absieht.
Einmal mehr beweist Klaus-Peter Wolf sein außerordentliches Einfühlungsvermögen in die menschliche (hier besonders männliche) Natur. Kleinbürgerliche Charaktere, deren Horizont kaum über ihr Skatblatt hinausreicht, die sich – gerade mal ein bisschen "freies" Geld in der Tasche – ganz weltmännisch dem gekauften Sex hingeben wollen. Mit ihrer neuen Rolle als Sklavenhalter sichtlich überfordert sind ihre Reaktionen für den Leser nicht mehr kalkulierbar – alles scheint möglich zu sein. Aus diesen Unwägbarkeiten zieht die Story ihr enormes Spannungspotenzial. Traumfrau ist kein Krimi im eigentlichen Sinne, sondern ein bürgerliches Trauerspiel, in dem die Protagonisten viel erfahren, aber nichts lernen, an dessen Ende es keinen Gewinner geben kann, deshalb bleibt selbiges offen.
Klaus-Peter Wolf, Pendragon
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