Der verborgene Schlüssel

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2002
  • 1
  • London: Bantam, 2001, Titel: 'Dying to tell', Seiten: 345, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2002, Seiten: 446, Übersetzt: Peter Pfaffinger
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Kein Meisterwerk der Spannungsliteratur, aber gewohnt flüssig und schwungvoll

Weit hat er's nicht gebracht in seinem Leben; Lancelot "Lance" Bradley, 37, arbeitsloser, depressiver Single mit einem kaum mehr zu verhehlenden Alkoholproblem, lässt sich in der kleinen Stadt Glastonbury im britischen Somerset treiben. In seiner Stammkneipe erhält er eines Tages unerwarteten Besuch. Winifred Alder ist die Schwester seines alten Freundes Rupert, der Glastonbury längst verlassen und in London eine Karriere im Dienst eines bedeutenden Schifffahrtsunternehmens gemacht hat. Der Kontakt zum gescheiterten Lance ist seither abgebrochen.

Nun ist Rupert offensichtlich verschwunden. Da seine Geschwister auf die regelmäßigen Überweisungen aus London angewiesen sind, bricht verständlicherweise Unruhe aus. Die zurückgezogen lebenden, wunderlichen Alders trauen sich nicht aus der Stadt. Lance soll dies übernehmen. Da er nichts Besseres zu tun hat, schlägt er ein. In London erfährt er Erstaunliches: Rupe soll seine Firma um viel Frachtgeld in Fernost betrogen haben. Außerdem hat er Kontakt zu einem alten Verbrecher aufgenommen, der von sich behauptet, ein nie gefasstes Mitglied der Bande zu sein, die 1963 beim legendären Postraub viele Millionen Pfund erbeutet hatte. Da gibt es offenbar einen Zusammenhang, zumal Lance sich nun diverser mysteriöser Ereignisse seiner Jugendzeit erinnert: Um 1963 hatte es in Glastonbury einige nie geklärte Mordfälle gegeben, in die offenbar auch die Alders verwickelt waren.

Lance trifft seltsame Gestalten, die ihn mit neuen Informationsfragmenten versorgen. Sogar er merkt bald, dass er den verschollenen Rupert für sie aufspüren soll. Nur der Japaner Hashimoto meint es womöglich ehrlich. Seine Familie wurde in Japan von Rupert bestohlen. Ein alter Brief hochbrisanten Inhalts ist verschwunden. Die Spur führt nach Berlin - und geradewegs in ein Wespennest. Lance kommt Rupe und der Wahrheit näher - zu nahe. Als er mit Hashimoto in eine heimtückische Falle gelockt und sein Begleiter ermordet wird, weiß Lance, es gibt kein Zurück mehr. Wohl oder übel muss er die immer gefährlicher werdende Suche fortsetzen. Sie wird ihn durch die ganze Welt führen, bis er schließlich wieder dort landet, wo alles begann, und vier Jahrzehnte Vergangenheit sich in Nichts auflösen und die Sicht freigeben auf die eigentliche Wahrheit, die einst die gesamte Menschheit erschütterte ...

Robert Goddard ist ein fleißiger Mann. Pünktlich legt er einmal im Jahr einen neuen Psycho-Thriller vor, der wie seine Vorgänger sauber geplottet und elegant geschrieben wurde - ein verlässlicher Autor, der Unterhaltungsliteratur der gehobenen Mittelklasse produziert. Obwohl er nie das Pulver (bzw. die Tinte) neu erfindet, bemüht er sich stets redlich, seinem Publikum eine an Abwechslungen reiche Geschichte zu präsentieren, was ihm meist (wie auch dieses Mal) gelingt, manchmal aber auch nicht.

Goddards Art des Schreibens erinnert an das alte Malen nach Zahlen: Er arbeitet mit Schablonen, was er durch die in der Regel geschickte Variation der Versatzstücke zu kaschieren versteht. Immer ist es ein ungelöstes Rätsel der Vergangenheit, das einen Helden der traurigen Gestalt in eine gefährliches Geschehen führt, das er weder versteht noch meistert. Während die Schleier nach und nach gelüftet werden, taumelt die Hauptfigur rat- und planlos durch das Geschehen, mehr Treibgut der Ereignisse als Strippenzieher und dadurch dem Leser als Stellvertreter recht nahe.

Dieses Mal meint es Goddard ganz besonders gut mit uns, verquirlt die Geschichte vom Großen Postraub sogar mit dem Präsidentenmord von Dallas - und verhebt sich zumindest hier schwer. Weil die Geschichte stets in Bewegung bleibt, merkt man es kaum, aber s o simpel funktioniert Weltgeschichte denn doch nicht. Eine wohlwollende Interpretation des Plots wäre es, Lance Bradley als von den Geschehnissen überforderten Jedermann zu interpretieren, der stets nur einen Zipfel der Wahrheit zu fassen bekommt.

Aber der Verfasser hält trotzdem die Zügel fest in der Hand. Wer seine Werke kennt, erwartet ohnehin keine Überraschungen und bekommt einen richtig soliden Thriller mit dem Goddard-typisch überzogenem, d. h. von allen bisher in der Geschichte auftauchenden Figuren förmlich überlaufenen, draaamaaatischen Finale.

Schwarz und Weiß gibt es nicht im Universum des Robert Goddard - Grau ist die Farbe, die seine Protagonisten prägt. Sie sind nie völlig böse oder gut und vor allem sympathisch unvollkommen. Selbst dem verruchtesten Finsterling unterläuft irgendwann ein Fehler, der dem hoffnungslos unterlegenen "Helden" die Chance bietet, etwas Außergewöhnliches zu leisten, das ihn selbst am meisten überrascht.

Lance Bradley ist eine typische Goddard-Gestalt; ein Wicht, der sich nicht einmal selbst wagt einzugestehen, dass er seinem trüben Alltag verzweifelt entfliehen will. Da solche Wünsche vom Schicksal immer erhört und streng bestraft werden, sieht sich auch Bradley bald am Ziel seiner Sehnsüchte - und als Zielscheibe für allerlei Raubgesindel, für das er wahlweise den nützlichen Idioten oder den Prügelknaben darstellt. Kurzum: Lance Bradley ist eine traurige, aber sympathische Gestalt, in der wir vom Leben gebeutelten Leser uns leicht wiederfinden können - und so hat sich der Verfasser das auch gedacht!

Die übrigen Personen wirken für einen recht simplen Thriller ebenfalls recht dreidimensional. Das tröstet über die schematische Hit-and-Run-Handlung und ein unnötig überkompliziertes Rätsel, das letztlich ungelöst bleibt, gut hinweg.

Der verborgene Schlüssel

Robert Goddard, Goldmann

Der verborgene Schlüssel

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