Shibumi

  • Droemer Knaur
  • Erschienen: Januar 1981
  • 5
  • New York: Crown, 1979, Titel: 'Shibumi', Seiten: 374, Originalsprache
  • Ascona: Droemer Knaur, 1981, Seiten: 447, Übersetzt: Gisela Stege
  • München: Droemer Knaur, 1983, Titel: 'Shibumi oder der leise Tod', Seiten: 444, Übersetzt: Gisela Stege
  • München: Heyne, 2011, Seiten: 575, Übersetzt: Gisela Stege, Bemerkung: überarbeitete Fassung
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Jürgen Priester
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2011

Eigenwillig

"Ein Höllenritt von einem Roman" - so resümierte die Washington Post damals im Jahre 1979, als das Original in den USA veröffentlicht wurde. Sicher auch vor 30 Jahren schon eine ziemliche Übertreibung. Aus heutiger Sicht gleicht Shibumi eher einem verhaltenen Trab durch die Welt der Agenten und Geheimdienste. Trevanian war eins der Pseudonyme, unter denen der 2005 verstorbene amerikanische Schriftsteller Rodney William Whitaker seine oft satirisch geprägten Romane veröffentlichte, die heute nur wenigen bekannt sein dürften. Eine kleine Renaissance erlebt Trevanian und besonders sein Shibumi zur Zeit, weil in einer konzertierten Aktion sowohl Shibumi in einer überarbeiteten Fassung wieder aufgelegt wird, als auch der derzeit angesagte Autor Don Winslow mit Satori aufwartet, eines wohl von der Erbengemeinschaft Whitakers initiierten Prequel zu Shibumi. Beide Romane befassen sich mit der Lebensgeschichte des Nicolai Hel, einer von Trevanian geschaffenen überdimensionierten Heldenfigur. Während Winslows Werk ein gutes Tempo vorgibt, geht es bei Trevanian, wie gesagt, sehr gemächlich zu, obwohl die Geschichte mit einem richtigen Action-Debakel beginnt.

Auf einem der Flughäfen Roms werden zwei junge Israelis erschossen. Die beiden sollen zu einer kleinen jüdischen Kommandozelle gehören, die sich zur Aufgabe gemacht hat, sich an den palästinensischen Olympia-Attentäter von München zu rächen. Die Geheimdienstaktion am römischen Flughafen endet in einem Chaos. Zwar werden neben den Zielobjekten auch – wie geplant – die beiden Schützen liquidiert, aber es kommt zu unglücklichen Kollateralschäden.

In einer Nachschau wird das ganze Manöver von den Geheimdienstbossen rekapituliert. Diese Diskussionen werden vom Autor sehr ausführlich dargestellt und hier tritt auch der Satiriker in ihm zu Tage. Trevanian zeigt einen Humor, der bestimmt nicht jedermanns Sache ist. Wenn er den Posten eines Deputy International Liaison Duty Officer – kurz "Dildo" genannt – erfindet, macht er sich über das Faible der Amerikaner – besonders der Militärs - für Akronyme lustig. Schon fast makaber ist es, einen Super-Computer "Fat Boy" zu nennen, wie die amerikanische Atombombe auf Nagasaki. Pointen dieser Art sitzen. Doch leider wirken die meisten Szenen und Dialoge in diesem Teil des Buches dermaßen überzogen, dass es schon ans Alberne grenzt. Die satte Kritik am US-amerikanischen Geheimdienstwahn verpufft im Chorus der grenzdebilen Akteure. Dabei ist gerade sie eine der Stärken dieses Romans. Trevanian erweist sich als hervorragender Analytiker und gnadenloser Kritiker der US-amerikanischen Gesellschaft und deren "Way of Life". Konsumterror, Energieverschwendung, Intoleranz, Arroganz, Merkantilismus – wenn man ein Volk charakterisieren will, muss man pauschalisieren – sagt Nicolai Hel gegen Ende der Geschichte. Mit einer beachtlichen Weitsicht prognostiziert Trevanian die Auswirkungen der beginnenden Globalisierung, die zunehmende Machtkonzentration in den Händen der multinationalen Konzerne. Ihnen dichtet er sogar eine Geheimtruppe an: die "Muttergesellschaft", die sich in verdeckten Missionen um die Belange der "Global Players" kümmert, deren Handeln an keinerlei Konventionen gebunden ist.

Während der inflationären Geheimdienstdispute kommt auch der Name Nicolai Hel ins Spiel. Das exekutierte jüdische Team bestand ursprünglich aus drei Personen. Eine wurde auf dem Flughafen schlicht übersehen. Hannah Stern, eine aus den USA stammende Jüdin, ist jetzt auf dem Weg in die Pyrenäen, wo sich der ehemalige Auftragskiller Hel zur Ruhe gesetzt hat. Anlass für die Agentenrunde ihr Wissen über den Auftragskiller Nicolai Hel auf den neusten Stand zu bringen und Uneingeweihten - dem Leser inklusive- den Mann vorzustellen.

Nicolai Hel, Spross einer deutsch-russischen Landadelsverbindung, verlebte seine ersten Jahre bei seiner alleinerziehenden Mutter in Shanghai. Nach ihrem Tod übernahm der japanische Offizier Kishikawa die Erziehung des Jungen. Weil China zu der Zeit (1920/30er Jahre) ein zu heißes Pflaster war, brachte Kishikawa ihn beim japanischen Gelehrten Otake unter. Dort lernte Hel die Philosophie des "Shibumi" kennen, erlernte das Go-Spiel, das er später meisterlich beherrschte, übte die Katas des Hoda korosu, einer tödlichen Kampfkunst, die sich improvisierter Waffen bedient, und verbesserte seinen angeborenen Proximitätssinn, die Fähigkeit, fremde Auren auf Distanz wahrzunehmen. Beste Voraussetzungen für eine Agententätigkeit mit der license to kill. Nachdem er seinem Stiefvater zu einem ehrenhaften Tod verholfen hatte und dafür von den Amerikanern gefoltert und eingekerkert wurde, nimmt er seinen ersten Tötungsauftrag an. Für die CIA soll er in Peking Stalins Sonderbeauftragten ermorden, dafür bieten ihm die Amerikaner Freiheit und Geld. Wie Nicolai Hel diesen Auftrag ausführte, davon handelt Don Winslows Roman Satori. Später verdingt er sich als hochdotierter Auftragskiller, der sich nicht an das Blockdenken der damaligen Zeit gebunden fühlt. Die lukrativen Jobs ermöglichen es ihm, sich frühzeitig auf seinen Altersruhesitz in den Pyrenäen zurückzuziehen. Mit der Ruhe ist es vorbei, als Hannah Stern bei ihm auftaucht, denn diese wird von der CIA und der "Muttergesellschaft" hartnäckig verfolgt.

Mehr als die Hälfte der Geschichte ist vergangen, bis der Held leibhaftig auftritt, um sofort wieder im Höhlenlabyrinth der Pyrenäen zu verschwinden. Geschlagene 60 Seiten lang wird ein Höhlensystem erforscht. Wer da kein Faible für unterirdische Kletterei hat, wie der Autor und sein Protagonist, wird sich zu Tode langweilen. Auch Hels anderen Leidenschaften – sei es die Pflege seines japanischen Steingartens oder das Liebesspiel, das er mit seiner japanischen Geliebten praktiziert – gibt Trevanian breiten Raum. Das steht einem Roman recht gut. Aber die Umetikettierung in Thriller wirkt nun mehr gewagt und trägt dem Inhalt in keiner Weise Rechnung. Vergeblich wartet man auf eine Konfrontation der Gegenspieler, aber der Konflikt löst sich mehr oder weniger en passant. Der Mini-Showdown in einem Flugzeug findet hinter geschlossenen Gardinen statt und ist nahezu spannungsfrei. Sieht man von der Eingangsszene des Romans ab, kommt er gänzlich ohne Action aus, was bei einen Agentenroman seltsam anmutet. Da weiß Don Winslow die physischen und mentalen Fähigkeiten des Helden besser in Szene zu setzen.

Ein eigenwilliger Autor schuf einen eigenwilligen Helden. Rodney William Whitaker alias Trevanian lag zeit seines Lebens mit seinem Geburtsland zu Kreuze und empfand für dessen Gesellschaft nur Verachtung. Konsequenterweise hat er die USA in späteren Jahren verlassen und im Baskenland und England gelebt. Man könnte sagen, dass der Hauptaspekt von Shibumi eine Abrechnung mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in den USA der1970er Jahre ist. Aber es ist nicht nur bloße Kritik, Trevanian setzt dem westlichen Denken und Handeln eine östliche Philosophie, die in der japanischen Tradition wurzelt, entgegen. Sein Held, Genießer und Asket in einer Person, widersagt dem Konsumterror und gibt sich feingeistigen Tätigkeiten hin. Um diese innere Ausgeglichenheit seines Helden nicht zu zerstören, verzichtet Trevanian auf Tempo und Action, wie wir Leser das heute gewöhnt sind. Shibumi ist ein eigenwilliger, aber lesenswerter Roman, der aber von einem Thriller weit entfernt ist.

Shibumi

Trevanian, Droemer Knaur

Shibumi

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