Tod an der Sparrenburg
- Pendragon
- Erschienen: Januar 2011
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- Bielefeld: Pendragon, 2011, Seiten: 278, Originalsprache
Achtung! – nur für Bielefelder
Seit der Informatiker Achim Held im Jahr 1994 im Usenet einen Beitrag mit dem Titel "Die Bielefeld-Verschwörung" veröffentlichte, in dem er die Existenz Bielefelds anzweifelte und ihre Vortäuschung als Verschwörung bezeichnete, hat sein, eigentlich als Satire gedachter Text, weite Kreise gezogen. Es ist inzwischen deutschlandweit nicht ungewöhnlich, wenn man als Bielefelder bei der Beantwortung der Herkunftsfrage müde belächelt wird. "Bielefeld? Die Stadt gibt es doch gar nicht?"
Davon kann in diesem Fall auch der Rezensent ein Liedchen singen, der, selbst in der grünen Metropole am Teutoburger Wald geboren, sogar im südlichen Hessen von diesem Scherz nicht verschont geblieben ist. Aus einem Kalauer ist also Kult geworden. Kult, den man mittlerweile auch marketingtechnisch zu Nutzen versteht. Mit an erster Stelle ist da der in Bielefeld heimische Pendragon Verlag zu nennen, welcher bisher unter anderem mehrere Bücher und sogar einen Comic zu dem Verschwörungsthema beigesteuert hat. Neben diesen spaßigen Bearbeitungen des hartnäckigen Dauerwitzes überzeugt Pendragon allerdings auch immer wieder bei der Veröffentlichung von ernster Kost aus dem Bereich der Spannungsliteratur. Nachdem zuletzt im März diesen Jahres die Wiederauflage von David Osborns Jagdzeit großes Lob von Seiten des KC-Kollegen König zur Folge hatte, steht nun mit Tod an der Sparrenburg das Erstlingswerk von Lisa Glauche und Matthias Löwe auf dem Prüfstand.
Im Mittelpunkt der Geschichte, welche sich, von einem kleinen Abstecher in die ostwestfälische Provinz mal abgesehen, ausschließlich in Bielefeld abspielt, steht der gemütliche und beleibte Lebemann Bröker. Der wohnt seit dem Tod seiner Mutter allein mit Kater Uli (benannt nach Arminen-Torwart Uli Stein) in bester Lage unterhalb der Sparrenburg, wo er neben der Ruhe besonders das ausgiebige und gute Essen genießt. Dank einer großzügigen Erbschaft ist er finanziell abgesichert. Zumindest, so hat sich Bröker ausgerechnet, bis zum 68. Lebensjahr. Und viel älter, meint er, müsse man ohnehin nicht werden. Wie die meisten Ostwestfalen lässt sich auch Bröker nur schwer aus der Ruhe bringen. Seine einzige Leidenschaft, neben dem Essen, gilt dem DSC Arminia Bielefeld (ob das jetzt immer noch der Fall wäre, sei dahingestellt), dessen Heimspiele er regelmäßig besucht und über die er in seinen Stammkneipen mit Freunden ausgiebig diskutiert. Ansonsten bleibt sein beschauliches Leben sehr berechenbar – zumindest bis zu dem Tag, an dem er in der Tageszeitung vom Tod seines Nachbarn, dem Banker Wilfried Schwackmeier, liest.
Dieser war am Morgen zuvor von der Putzfrau leblos und mit dem Kopf in einem Teller Tomatensuppe liegend in der Wohnung aufgefunden worden. Die Diagnose lautet Herzinfarkt. Bröker, der den Direktor einer Bielefelder Privatbank bereits seit seiner Jugend aus dem Schachclub kennt, ist etwas verwundert, hat doch Schwackmeier stets einen äußerst gesunden und fitten Eindruck gemacht. Für den Schachverein war er sogar das unschlagbare Aushängeschild. Niemand konnte je gegen ihn gewinnen. Und während Bröker mangels näherem Interesse bereits früh die Segel gestrichen hat, versuchte es sein Freund Palshöfer, ein Richter am Bielefelder Landgericht, bis zuletzt vergeblich.
Bröker legt die Zeitung an die Seite, kann aber nicht aufhören an Schwackmeiers Tod zu denken. Irgendetwas stimmt da nicht. Wieso hat der Banker für sich allein ein derart großes Buffet vorbereitet? Und noch viel wichtiger: Wieso stand auf der gedeckten Tafel eine Flasche Wein, wo doch Schwackmeier seit Jahren als überzeugter Nichtalkoholiker bekannt war? Da er ohnehin nichts anderes vorhat, hievt sich der schwerfällige Bröker aus dem Sessel und spielt Detektiv. Unerwartete Hilfe bekommt er dabei von dem jugendlichen Computerhacker Gregor, der am Sparrenberg seine Sozialstunden ableisten muss. Gemeinsam stellen sie Nachforschungen an, welche die Polizei bald in die Bredouille bringen …
Um Tod an der Sparrenburg objektiv und gerecht zu bewerten, musste der Rezensent in diesem Fall mit zweierlei Maß messen, denn: Einerseits bietet das Debütwerk des Autorenteams eine herrliche Prise Lokalkolorit, überzeugt die Geschichte mit einer treffsicheren Schilderung des Milieus zwischen Alm, Sparrenburg (es wird sogar auf die dortigen Grabungen und die dabei entdeckten Schächte eingegangen) und Altstadt. Andererseits ist die eigentliche Krimihandlung äußerst dürftig geraten, will Spannung aufgrund der eher trägen Erzählweise so gar nicht aufkommen. Das hat zur Folge, dass sich der Bielefelder Leser aufgrund des lokalen Bezugs und der liebevollen Schilderung der Stadtszenerie gut unterhalten fühlt, während wohl allen anderen nicht nur die Anspielungen gänzlich entgehen, sondern auch die vielen Ungereimtheiten innerhalb des Plots den Spaß an der Lektüre verderben. Denn Fakt ist leider: Packend und spannend, wie auf dem Buchdeckel beworben, ist die Geschichte über weite Strecken eindeutig nicht. Das liegt unter anderem daran, dass man mit Bröker einen absoluten Amateur zum Detektiv auserkoren hat, dem das Essen weit wichtiger zu sein scheint, als die Aufklärung des Falls. Auch dann noch, als sein Freund Palshöfer unter Mordverdacht in die Untersuchungshaft wandert.
Wohl um Brökers träge Wesenszüge auszugleichen, haben ihn die Autoren den jungen Gregor zur Seite gestellt, der bereits wenige Stunden nach dem ersten Treffen kurzerhand im Haus des ewigen Junggesellen untergebracht wird. Wohlgemerkt ohne das Bröker selbst jemals ein Wort mit den Eltern des Jungen gewechselt hat. Eine derartige Gastfreundlichkeit erscheint, besonders für die doch eher introvertierten Westfalen, mehr als unglaubwürdig und wirkt arg konstruiert. Das sich Gregor dann auch noch als Computergenie mit Verbindungen nach Südostasien herausstellt, setzt dem Ganzen schließlich die Krone auf. Hinzu kommt, dass Figuren in die Handlung eingebaut werden, welche letztlich ohne jeglichen Nutzen für diese bleiben. Bestes Beispiel ist da die kleptomanisch veranlagte Freundin Gregors, die nach einigen kurzen Auftritten in der ersten Hälfte gegen Ende des Buches schlichtweg unter den Teppich gekehrt wird.
Brökers Antriebsarmut überträgt sich im weiteren Verlauf ebenfalls immer wieder auf die Geschichte. Anstatt selbst aktiv zu werden, kocht man lieber noch ein Hühnchen oder bereitet für den jungen Gast eine Geburtstagsparty vor. Und wenn sich der müde Bröker schließlich doch hochbequemt und sogar im Schutze der Dunkelheit zwecks Spurensuche ins Nachbarhaus einbricht, lassen die Autoren ihn kurzerhand auf der Toilette schlafend die Nacht verbringen. Solche Eigenheiten sind zugegebenermaßen durchaus amüsant, tauchen aber bald derart geballt auf, dass man sich schließlich nur noch ein müdes Lächeln abringen kann. Auflockerung erhält Tod in der Sparrenburg vor allem durch die vielen Schauplatzwechsel, an denen Ortskundige ihre Freude haben dürften. Hier ist besonders der Ausflug nach Avenwedde zu nennen, dessen Ausgang mit Wurstebrei-"Genuß" in einer gemütlichen Kneipe beim Rezensenten ein paar schreckliche Kindheitserinnerungen geweckt hat. In gastronomischen Etablissements hält sich Bröker überhaupt relativ häufig auf, was irgendwann die Vermutung nahe legt, dass das Autorenteam den Begriff "Lokalkrimi" vielleicht etwas zu wörtlich genommen hat.
Neben all der Kritik muss man jedoch auch konstatieren: Tod an der Sparrenburg ist kein langweiliges, kein handwerklich schlecht gemachtes Buch. Als Krimi funktioniert es jedoch nicht, da der Spannungsaufbau, mangels irgendwelcher Versuche in diese Richtung, nicht gelingt. Brökers Ermittlungen bestehen zu großen Teilen aus Rätselraten und führen in fast allen Fällen direkt in die Sackgasse. Statt die Verzweigungen selbst aufzudecken oder neue Indizien zutage zu fördern, lässt man Gregor im Internet recherchieren. Statt die unter Mordverdacht stehende Person mit belastendem Material zu konfrontieren, wird diese lieber gleich mehrmals gefragt, ob sie es den gewesen ist, bis sie schließlich unter Tränen zusammenbricht. Besonders dieses lahme und vor allem ungewollt komische Ende kostet dem Buch letztlich eine höhere Wertung.
Insgesamt ist Tod an der Sparrenburg leichte Regional-Unterhaltungskost, die man nur mit anderthalb zugekniffenen Augen noch gerade so als Kriminalroman bezeichnen kann. Eine lohnende und erfrischende Lektüre für Bielefelder, die aber über die Grenzen der Stadt (die es wirklich gibt!) hinaus kaum Bäume ausreißen und keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird.
Lisa & Löwe Glauche, Pendragon
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