Die Maske des Dimitrios
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1957
- 8
- London: Hodder & Stoughton, 1939, Titel: 'The Mask of Dimitrios', Seiten: 319, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Ullstein, 1957, Seiten: 374, Übersetzt: Mary Brand alias Maria von Schweinitz
- München; Wollerau: Goldmann, 1969, Seiten: 191
- Zürich: Diogenes, 1974, Seiten: 263, Übersetzt: Mary Brand & Walter Hertenstein
- Berlin: Verlag Das Neue Berlin, 1980, Seiten: 277
- Zürich: Diogenes, 1996, Seiten: 263
- Zürich: Diogenes, 1997, Seiten: 347, Übersetzt: Matthias Fienbork
- Zürich: Diogenes, 2009, Seiten: 6, Übersetzt: Gerd Wameling, Bemerkung: gekürzt
Ein Klassiker des Golden Age
Heutzutage hätte ein Eric Ambler wohl Probleme, diesen Stoff bei einem Verlag unterzubringen: Ein Schriftsteller erforscht den Lebenslauf eines Betrügers, Dealers, Mörders. Er erhält Anhaltspunkte aus alten Polizeiakten, Pressearchiven und vor allem durch Berichte von Zeitzeugen, denn der Verbrecher namens Dimitrios ist tot. Und so reiht sich ein Bericht an den nächsten, wobei die Stationen einer Karriere in der Unterwelt mehr und mehr offenbaren. Wobei sich aber beinahe unmerklich auch der forschende Schriftsteller persönlich immer mehr in Gefahr begibt, denn bei einem gesichtslosen Meisterganoven ist nichts so wie es den Anschein hat.
Man darf diesen Klassiker aber natürlich nicht an den Ansprüchen an einen modernen Kriminalroman messen. Ambler schrieb die Maske des Dimitrios immerhin in den späten 1930er Jahren, und in diesem Golden Age gab es keinen Deaver, Hill, Rankin und auch keine Fred Vargas. Die Autoren, mit denen Ambler um die Gunst des Publikums kämpfte, hießen Agatha Christie, Dorothy Sayers, John Dickson Carr, Dashiell Hammett, S.S. van Dine oder auch Raymond Chandler. Doch während diese sich in Cozy, Pulp, Locked-Room-Mystery oder auch Private-Eye wunde Finger schrieben und immer neue Meisterdetektive erschufen, besetzt Ambler mit seinen Romanen ein ganz anderes Metier: Er schreibt Spionage- und Agententhriller, wobei ein ums andere mal unbedarfte Professoren, Ingenieure oder auch Krimiautoren mehr oder minder zufällig zwischen die Fronten geraten.
Toter Verbrecher versetzt Autor in Entzücken
Charles Latimer ist ein solcher erfolgreicher Krimiautor und bereist gerade, da es in den 1930er Jahren zum Chic der feinen Gesellschaft gehört, den vorderen Orient. Auf einer mehrtägigen Party einer Millionärin lernt er den türkischen Oberst Hakki kennen, der im türkischen Geheimdienst arbeitet und ein großer Fan von Latimers Romanen ist. Tags darauf treffen sich die beiden in Hakkis Büro, da er den Schriftsteller eine Idee für einen neuen Roman präsentieren will, den der Oberst aus Zeitgründen leider nicht selber schreiben kann. Just während der Unterhaltung der beiden bringt man Oberst Hakki eine Akte über einen gewissen Dimitrios, dessen leblosen Körper man unlängst aus dem Bosporus gefischt hat. Hakki hatte diesen Mann über 15 Jahre gejagt und ihn nicht einmal zu Gesicht bekommen. Nun endlich will er wissen, wie sein übermächtiger Feind aussah und auch Latimer hat Interesse, mal einen gefürchteten Verbrecher zu sehen.
Latimers Faszination für Dimitrios geht aber noch weiter. Er beginnt in alten Gerichtsakten zu forschen und sich so auf die Spur von Dimitrios zu begeben. Sein Interesse bleibt dabei nicht unbemerkt. Er reist von Istanbul nach Athen und weiter mit dem Zug nach Sofia. Allesamt Stationen von Dimitrios, der neben Betrug, Menschenhandel und Mord auch an der Planung von Attentaten auf Staatsmänner beteiligt war. Die Spur führt letztlich über Belgrad und Genf nach Paris, wo Dimitrios eine Zeit lang den Drogenhandel beherrschte. Aber Latimer sieht sich schon vor Paris plötzlich in seinem Hotelzimmer mit einem Mann konfrontiert, der eine Pistole auf ihn richtet.
Auf lange Monologe vorbereitet sein
Ambler bietet seinem Leser eine Reihe von Gaunereien, die er in aller Breite schildert. Er bedient sich dabei verschiedener Stilmittel, um diese Geschichten in die Handlung einzubauen. Mal liest Latimer in Gerichtsakten, mal berichtet ein Zeitungskorrespondent über seine Nachforschungen im Archiv seines Blattes, dann wiederum schreibt Latimer einem Bekannten in einem Brief über ein Gespräch in der vergangenen Nacht. Aber immer wieder werden es seitenlange Monologe, die erhebliches Durchhaltevermögen beim Leser erfordern. Keine Frage, die einzelnen Geschichten sind raffiniert, amüsant, logisch und nachvollziehbar. Insgesamt entsteht daraus dann der Eindruck, einen Episodenroman vor sich zu haben, der langsam im Hintergrund durch die Geschehnisse rund um Latimers Nachforschungen gebündelt wird. Somit schafft Ambler es auch, auf geschickte Art ein unterhaltsames Gesamtwerk zu erstellen. Inhaltlich sehr abwechslungsreich und rein erzähltechnisch trotz langer Monologe also ein Roman von hoher Qualität.
Für einen zeitgenössischen Agentenroman fehlt es sicherlich an Action und Spannung. Es gibt zwar einige Überraschungen, aber insgesamt würden die heute wohl nicht reichen, einen Verlag zum Druck zu überzeugen. Aber Ambler hat gegenüber heutigen Autoren einen ganz entscheidenden Vorteil: keiner seiner Leser erwartet von ihm solch neumodischen Schnick-Schnack.
Eric Ambler, Ullstein
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