Bock auf Wild
- Heyne
- Erschienen: Januar 2010
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- München: Heyne, 2010, Seiten: 287, Originalsprache
Gelungene Anthologie
Für diese von Cornelia Kuhnert und Richard Birkefeld zusammen gestellte Anthologie haben 15 Autoren kurze Kriminalgeschichten geschrieben, die alle im weitesten Sinne mit der Jagd zu tun haben sollen. Einigen gelingt das ganz hervorragend, andere schweifen dann doch etwas vom Thema ab. Aber insgesamt wird dem Leser hier ein durchaus kurzweiliger Lesegenuss geboten. Aus den handwerklich gut gemachten Beiträgen ragen einige durch ihre Kompaktheit, die Nähe zum Leitthema und den besonders gelungenen Spannungsbogen heraus.
Den Auftakt macht Altmeister Jacques Berndorf mit Saumord. Es geht dabei um den rätselhaften Tod eines betagten Waidmanns, der erschossen auf einer seiner Kanzeln gefunden wird. Die Ermittlungen zeigen schnell, dass der einsame alte Mann in der eigenen Familie völlig isoliert war. Einzig sein Enkel hatte engeren Kontakt mit dem kauzigen Alten – und eine spezielle Meinung zu dessen großer Passion.
Gleich die zweite Geschichte ist eines der echten Highlights dieses Sammelbands. In Der Minister und der Bär schildert Horst Eckert außerordentlich spannend, kurzweilig und unterhaltsam die kombinierte Jagd-Lust-Reise einer Gruppe von korrupten Politikern. Leider hat der eigens angeheuerte Co-Pilot höchst eigene Interessen, und so kommt schließlich auch die Karpaten-Bärin mit ihren Jungen ins Spiel – und auf ihre Kosten. Die Geschichte hätte durchaus das Potenzial zu einem kompletten Buch. Selten habe ich so viel Inhalt auf so wenigen Seiten gelesen.
Susanne Mischke vermittelt dem Leser in ihrer Kurzgeschichte Der Platzhirsch durch zahlreiche Zitate aus Jagd-literarischen Klassikern einige Kenntnisse über das Rotwild, die größte der in Deutschland vorkommenden Schalenwild-Arten. In der Geschichte selbst wird die Vita eines waidwerkenden Arztes und seiner Frau geschildert. Das Paar erzählt die Geschichte abwechselnd in der Ich-Form, und so bekommt der Leser höchst amüsante Einblicke in die unterschiedliche Sichtweise der Ehepartner. Ach ja, getötet wird auch – und der Leser wird über die unterschiedliche psychische Stärke der Eheleute aufgeklärt.
"Der Goldfasan" ist eine Geschichte von Richard Birkefeld, bei der dem Leser zunächst eine harmlose Freundschaft zweier Schuljungen im Dritten Reich geschildert wird. Die beiden Sammler von ornitologischen Präparaten erleben zum Ende des Krieges hin dramatische Dinge, die erst viel später Konsequenzen zeitigen. Birkefeld zeigt eindrucksvoll die personelle Kontinuität in den deutschen Diktaturen, und macht deutlich, worin der gravierende Unterschied zwischen Sammlern und Jägern besteht.
Ralf Kramp schildert in Wildwechsel auf amüsante Weise einen Wildunfall der ganz besonderen Art, bei dem es zwei höchst unterschiedliche Opfer gibt. Mit-Herausgeberin Cornelia Kuhnert widmet sich in Schweinesonne einer Wildschwein-Jagd bei Vollmond, die einen eher überraschenden Verlauf nimmt – zumindest für den Jäger. In Schroedingers Wisent von Gisbert Haefs geht es um makabre Jagdgeschichten eines nervenstarken Adeligen und einen tödlichen Zwischenfall in einem Wisentgehege. Christiane Franke präsentiert mit Mitten ins Herz eine wirklich spannende Kriminalgeschichte, die allerdings nur in Spurenelementen mit der Jagd zu tun hat. Ist aber nicht wirklich schlimm, denn die Geschichte ist hochgradig unterhaltsam.
Da trifft Christian Oehlschläger in seiner vortrefflichen Erzählung Der Leiterbock das Thema schon deutlich besser. Ein altgedienter Landwirt und Waidmann steht unter Zeitdruck, weil er den Konfirmationsbraten für seinen Enkel noch schnell schießen muss. Dabei erlebt er nicht nur Kurioses, sondern wird auch straffällig. Und wie es eben so ist im Leben - die Geschichte nimmt ihren ganz eigenen Lauf. Amüsant und unterhaltsam, ein weiteres Highlight dieser Sammlung. In Rehauge von Anne Chaplet geht es um Jägersprüche und –witze, um menschliche Tragödien und zwei Morde. Ortsfremde Jäger ziehen in der Dorfgaststätte ihre unterhaltsame Show ab – und das nicht ohne Folgen, glauben jedenfalls die Ermittler. Am Ende ist die Lösung dieser spannenden Geschichte deutlich verzwickter, als es zunächst den Anschein hat.
Karr & Werner bereichern die Sammlung mit Schimanskis Grab – einer Gonzo-Story. Ihr skurriler Held verfolgt mit seiner Kamera einen flüchtigen Gangster, stets auf der Jagd nach den exklusiven Bildern. Dabei gerät er in Lebensgefahr, und am Ende spielt ein jagdbares Wild eine ganz besondere Rolle bei der Auflösung eines Rätsels. Der Geschmack von Blut von Regine Kölpin hat ebenfalls nur am Rande mit der Jagd zu tun. Es geht um eine düstere Familientragödie - und die Fasane im Park sollen wohl die Verbindung zum Leit-Thema der Sammlung herstellen. Erwin Kohl schildert in Melissas Traum einen Vater-Tochter-Konflikt, der gleichzeitig für den Gegensatz von industrieller Entwicklung und dem Schutz der Natur steht. In Pot-au-feu á la Wallhall von Bodo Dringenberg geht es um einen perfiden Giftmord – und das Gericht besteht aus jagdbarem Wild. Den Abschluss bildet Sammeln Sie Wild von Sandra Lüpkes. In der spannenden Story geht es um einen Auftragsmord, und einige Wildgerichte spielen auch eine Rolle.
Den passenden Abschluss bilden einige Wild-Rezepte der Autoren sowie deren Kurzbiografien. Der Sammelband ist außerordentlich gelungen. Abzüge gibt es nur, weil eben mal wieder einige der Autorinnen und Autoren mangelnde Fantasie im Hinblick auf das verbindende Thema dieser Anthologie offenbaren. Die positiven Beispiel zeigen doch, dass es nicht wirklich schwer ist, eine Mordgeschichte im Zusammenhang mit der Jagd zu schreiben - oder wenigstens in thematischer Nähe. Fasane im Park oder ein Wildgericht sind mir das als Verbindung zu dünn. Immerhin sind es allesamt spannende und kurzweilig zu lesende Geschichten, deshalb kann das Buch als Lektüre uneingeschränkt empfohlen werden - auch wenn man selbst keine große Affinität zur Jagd hat.
Cornelia Kuhnert, Heyne
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