Kopfgeld
- Heyne
- Erschienen: Januar 2011
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- New York : Scribner, 2010, Titel: 'Devils in exile', Seiten: 312, Originalsprache
- München: Heyne, 2011, Seiten: 446, Übersetzt: Thomas Piltz
Böse Taten im Dienst der Gerechtigkeit
Nachdem er sich im Irak-Krieg bewährt hat, ist Neal Maven, ehemaliges Mitglied der Special Forces, in seine Heimatstadt Boston zurückgekehrt. Ohne Drill und Disziplin hat er den Halt verloren und schlägt sich als Parkplatzwächter durch. Als er dabei eines Nachts von Räubern überfallen wird, setzen die antrainierten Reflexe sich durch: Maven bringt die Ganoven beinahe um.
Der Geschäftsmann Brad Royce beobachtet dies mit Wohlgefallen. Er ist ebenfalls ein Veteran, der es jedoch zu viel Geld gebracht hat. Statt es sich gut gehen zu lassen, ist Royce auf einer neue Mission im eigenen Land: Seit ein guter Freund den Drogentod starb, hat er der Mafia von Boston buchstäblich den Krieg erklärt. Mit den Elitesoldaten Suarez, Glade, Termino und nun auch Maven überfällt er Großdealer beim Drogenkauf, nimmt ihnen das Geld ab, vernichtet das Rauschgift und lässt die düpierten Opfer von der Polizei auflesen.
Den örtlichen Mafiabossen Broadhouse, Lockerty und Crassion reißt rasch der Geduldsfaden. Sie loben ein gewaltiges Kopfgeld auf die unliebsamen Konkurrenten aus. Die übelsten Killer machen sich auf den Weg nach Boston. Gleichzeitig nimmt Marcus Lash die Verfolgung der Vigilanten auf. Der erfolgreiche Drogenfahnder verfügt über einen ausgezeichneten Spürsinn und gute Unterwelt-Verbindungen, die ihn bald auf die richtige Spur bringen.
Dies gilt auch für die Kopfgeldjäger, sodass Royce und seine Gruppe zwischen Hammer und Amboss geraten. In Boston bricht ein brutaler Straßenkrieg aus, in dem sich die gut ausgebildeten und bewaffneten Ex-Soldaten trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit zunächst mörderisch gut halten, bis Verrat ins wilde Spiel kommt. Wo unbedingter Zusammenhalt erforderlich wäre, bricht zusätzlich heftiger Streit aus, der das Schicksal der Gruppe zu besiegeln droht ...
Dürfen gute Jungs verbotene Dinge tun?
Schon diese Frage ist eine Provokation. Sie markiert außerdem den Pfad, den Chuck Hogan mit seinem Roman Kopfgeld einschlagen wird. Der simplen Story kann es nur helfen, wenn ihr Verfasser ein wenig wider den Stachel löckt. Selbstjustiz ist vor allem dort, wo sie quasi im Gesetz verankert ist, ein heißes und heikles Thema: In den USA dürfen "bounty hunter" kautionspflichtige Personen jagen, die nicht zum angesetzten Gerichtstermin erscheinen, sondern die Flucht ergreifen. Vigilantentum ist demgegenüber zwar verboten, aber die Trennlinie ist schmal, wie eine lange US-Geschichte entsprechender Lynch-Gewalttaten dokumentiert.
Die Frage bleibt: Kann es gelingen, dem Teufel den Beelzebub auszutreiben? In den Augen vieler Zeitgenossen ist das Gesetz selbst sein ärgster Feind. Während Gauner tun und lassen können, was ihnen einfällt, müssen sich Polizisten oder Staatsanwälte an eng gefasste Vorschriften halten, deren Missachtung den schon gefassten und vor Gericht gestellten Schurken erneut Schlupflöcher öffnen. Der Gedanke liegt nahe, den Strolchen Saubermänner hinterherzuschicken, die dem System gleichfalls nicht verpflichtet sind.
Realiter ist dies nicht grundlos verboten, denn noch immer ging jeder Schuss in diese Richtung nach hinten los. Auch Hogan drückt sich nicht gänzlich um den grundsätzlichen Haken des Vigilantentums: Gut und Böse, Gangsterjäger und Gangster beginnen sich im Denken und Handeln rasch anzugleichen. Im Dienst der scheinbar guten Sache schlagen die Jäger nicht selten härter zu als ihr Wild.
Die Spannung der Jagd
Nichtsdestotrotz bleiben solche Gedankenspiele für Hogan bloß Vorwand. Sein Ziel ist die reine, schnelle Unterhaltung. Die Story beginnt als Zweifrontenkrieg zwischen den Vigilanten und der Mafia, der durch die Einmischung der Polizei und internen Verrat kompliziert wird: Die Gaunerjäger geraten zwischen die Fronten und drohen aufgerieben zu werden.
Damit hat Hogan den gewünschten Punkt erreicht. Er kann die (ohnehin eher pflichtschuldig aufgetischten) Vorgeschichten seiner Figuren vergessen und auf Action-Routine umschalten. Die muss nicht realistisch, sondern nur spannend sein. Anleihen an einschlägige Filme werden gern genommen; sie setzen das Kino im Kopf des Lesers in Gang und ersparen dem Verfasser die Mühe detaillierter Darstellungen.
Die investiert Hogan lieber in die Beschreibung schwerer Waffen, dicker Autos und geschmackfrei eingerichteter Protz-Wohnungen. Die Konvention fordert, dass dieses teure Spielzeug betont lässig behandelt oder im Gefecht zerschroten wird. Grundsätzlich könnten unsere Vigilanten auch in Höhlen hausen und auf Pferden reiten – ein Bild, das den Ursprung dieser Geschichte erfasst, die eindeutig im Wilden Westen wurzelt.
Harte Jungs für einen harten Job
Freilich haben die Zeiten sich geändert. Während ein Mann einst angeblich wusste, was ein Mann zu tun hat, kommt ihm nun – s. o. – das System mit seinen Regeln in die Quere. Die nackte Lust zur Ausrottung des Bösen reicht als Begründung nicht mehr. Dieser Entwicklung verdanken wir die lange aber nicht kurzweilige Einleitung zu "Kopfgeld". Zumindest Royce, der Anführer, und Maven, der Gefolgsmann, müssen Zeugnis ablegen. Wie können aus rechtschaffenen Männer Vigilanten werden?
Erneut hält sich Hogan an einschlägige Klischees und drückt zusätzlich auf die Tränendrüse. Will man ihm Glauben schenken, wimmelt es in den USA von guten Soldaten, die in diversen Schurkenstaaten ihre Köpfe bzw. andere Gliedmaßen hingehalten haben, während daheim Drückeberger, Karrieristen und Gangsterbosse das Ruder übernahmen. Statt die Krieger in der Heimat mit offenen Armen willkommen zu heißen, drückt sie das System schnöde beiseite. Diese simple und nicht nur latent verzerrte Sicht vertritt vor allem Brad Royce, den Hogan gern als charismatischen Anführer charakterisiert sähe. Tatsächlich ist Royce ein Schwätzer, der die Köpfe seiner ratlosen Gefolgsleute sowie viele Buchseiten mit Phrasen füllt, die der Leser lieber überspringt, um sich das Vergnügen an den deutlich besser gelungenen Action-Passagen zu erhalten.
Holterdipolter plus eine schöne Frau
Selbstverständlich mischt in Kopfgeld eine schöne Frau nicht. Hogan versucht sich an der Schilderung einer "femme fatale", die klassisch die Männer in ihren Bann zieht und schließlich in den Untergang stürzt. Danielle entspricht den Klischee-Vorgaben so punktgenau, dass der Leser sie keinen Augenblick ernst nehmen kann. Stets trägt sie feinste Designer-Kleidung, dünstet Sex förmlich aus und scheint über dem Boden zu schweben. Ausgerechnet sie, die Gefährtin des Chefs, ist nicht nur untreu, sondern auch noch rauschgiftsüchtig. Diese Kombination soll Gefühlstiefe symbolisieren. Tatsächlich wirkt sie abgeschmackt. Wie Tragik ohne Gefühlsduseligkeit aussieht, belegt deutlich gelungener Lee Child mit seinen Romanen der thematisch ähnlichen Reacher-Serie.
Ein Routinier wie Chuck Hogan rührt aus den genannten Ingredienzen dennoch einen unterhaltsamen Thriller an. Er leugnet die Klischees gar nicht, sondern zelebriert sie förmlich. Außerdem tritt er stetig aufs Handlungsgas, während sich das Thema Selbstjustiz in den Hintergrund verabschiedet und vom bewährten Trio Verrat, Rache & körperliche Gewalt ersetzt wird. 450 Seiten verstreichen auf diese Weise wie im Fluge. Die dabei entstandene heiße Luft entspricht der Erinnerung an das Romangeschehen. Es entströmt dem Gedächtnis des Lesers mit Höchstgeschwindigkeit und macht Platz für die nächste Story, die so "clever, schnell und stilsicher" ist wie Kopfgeld – so urteilt (hoffentlich gut bezahlt bzw. angeblich) jedenfalls Jeffery Deaver auf dem Frontcover.
Chuck Hogan, Heyne
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