Jagdzeit
- Zsolnay
- Erschienen: Januar 1975
- 18
- New York: Dial Press, 1974, Titel: 'Open season', Seiten: 243, Originalsprache
- Wien; Hamburg: Zsolnay, 1975, Seiten: 324, Übersetzt: Erica Fischer
- München: Droemer Knaur, 1978, Seiten: 191, Übersetzt: Erica Fischer
- München: dtv, 1995, Seiten: 293, Übersetzt: Erica Fischer
- : Dial Press, 0
Blattschuss
David Osborns Roman Jagdzeit (Open Season) erschien erstmalig 1974. Kaum ein Jahr später sorgte die Verfilmung für einen kleinen medialen Skandal. Drei Vietnamveteranen als kaltblütige Killer in einem Actionfilm mit Tendenz zu Selbstjustiz, machte sowohl liberalen wie konservativen Kinogängern zu schaffen. Dass einer der psychopathischen Menschenjäger von der ehemaligen Love & Peace-Ikone, dem "Easy Rider" Peter Fonda gespielt wurde, setzte dem kontroversen Unterfangen noch ein i-Tüpfelchen obenauf.
2011 veröffentlicht der Pendragon-Verlag das Buch neu übersetzt wieder und das Blätterrauschen des Medienwaldes wird sich vermutlich in Grenzen halten. Leider.
David Osborn, Jahrgang 1923 und ziemlich rüstig wie es scheint, schreibt im Dezember 2010: "In Jagdzeit geht es […] um die dunkle Seite der Menschen allgemein, die immer und überall zutage tritt. Seit Erscheinen meines Buches hat sich die Menschheit diesbezüglich bedauerlicherweise nicht verändert."
Den Vietnambezug gibt es im Roman nicht, einige Stellen weisen darauf hin, dass Ken Frazer, Greg Anderson und Art Wallace wohl gemeinsam im Koreakrieg waren. Aber diese Tatsache hat ihren soziopathischen Jagdtrieb bestenfalls angeheizt, aber nicht ausgelöst.
Denn alles begann viel eher. Mit der gemeinsamen Vergewaltigung Alicia Rennicks, die die drei Vorzeigeschüler zusammenschweißte und jenen Part in ihnen zum Vorschein brachte, der Sex, Macht und Gewalt so sehr genoss und liebte, dass er zu regelmäßigen Freizeitbeschäftigung wurde.
Später im Berufsleben erfolgreich, verheiratet, Kinder – so sehen (amerikanische) Bilderbuchkarrieren aus. Doch einmal im Jahr nehmen sich Ken, Greg und Art eine Auszeit. Legen ihre sozial angepassten Masken ab und gehen auf die Jagd. Tiere werden sie zwar auch erlegen, doch ihr Hauptziel ist ein anderes. Die unheiligen Drei entführen Pärchen, die zufällig ihren Weg kreuzen, missbrauchen und demütigen sie auf jede erdenkliche Weise, bis sie ihnen die Freiheit schenken. Die aus einem zehn- bis zwanzigminütigen Vorsprung besteht, ehe das schwerbewaffnete Trio die Verfolgung aufnimmt.
Es gibt kein Entkommen. Bis zu dem Jahr, als Nancy & Martin aufgegabelt werden. Als die beiden auf freien Fuß gesetzt werden, ahnen Ken und seine Kumpel noch nicht, dass sie selbst ins Visier eines Jägers geraten sind. Eines gnadenlosen noch dazu, der seinen von Rachegelüsten motivierten Feldzug strategisch und akribisch über lange Zeit vorbereitet hat. Und auch Nancy und Martin ergeben sich nicht kampflos ihrem Schicksal.
Wer jetzt glaubt, bei Jagdzeit handele es sich um ein konservatives Selbstjustiz-Drama, das sich weidlich des Themas Menschenjagd im finsteren Wald, mit einer gehörigen Portion "Rape & Revenge", annimmt, der irrt gewaltig. Der Roman geht viel weiter, ist so etwas wie die Essenz all der oben genannten Motive und noch mehr. Denn Osborn nimmt sein Thema ernst, er produziert keine atemlose Spannungsliteratur, die bevorzugt die niederen Instinkte anspricht, sondern öffnet einen Höllenschlund, in dem sich alle Protagonisten auf Gedeih und Verderb wiederfinden. Mit einer Ausnahme vielleicht.
Alicia Rennick, der der Prolog gehört. Ein Akt der reinen Verzweiflung. Denn sie, das mehrfache Vergewaltigungsopfer, steht am Ende als Düpierte dar. Vor einem Bezirksstaatsanwalt, der Alicia und ihren Eltern, vielleicht sogar mit echtem Bedauern, auf den Kopf zusagt, dass ein Prozess keine Aussichten auf Erfolg hat. Zu gut der Leumund der mutmaßlichen Vergewaltiger, zu perfide ihre Taktik, Alicia als leichtes Mädchen dastehen zu lassen, das Sex gegen Geld eintauscht. Am Ende glauben nicht mal mehr die Eltern ihrer Tochter. Und Alicia ist völlig allein. Einziger Ausweg: weg aus der Stadt, kein Studium, kein Erfolg im Beruf, stattdessen in der Heimat die Heirat mit einem Mann, den sie nicht liebt. Und so wird sie zum zweiten Mal missbraucht: aufgegeben von den Menschen, die sie eigentlich beschützen sollten. Gleichzeitig wird die Tür weit geöffnet für die tödlichen Jagden, die noch folgen werden. Keine zehn Seiten. Die Hölle und viel zu oft bittere Realität.
Was darauf folgt ist tatsächlich eine rigorose Reise in die Finsternis: die drei smarten Jungs, die ihre Fassade der ehrbaren Erfolgsmenschen ebenso mühelos aufrechterhalten, wie sie während ihrer "Ferien" mit Lust und guter Laune vergewaltigen und töten; ihr zürnender Verfolger, dessen Motivation für seine Rache man nur allzu gern akzeptiert, der aber keine Scheu hat, im Dienste seiner Vergeltung auch Unbeteiligte über die Klinge springen zu lassen. Das Liebespaar, das sich nicht mit Zuneigung und Respekt begegnet, sondern auf der Flucht ist, aus verlebten und verlogenen Beziehungen. Zu schwach, abzuschließen mit einer verhassten Vergangenheit, und sich so der Chance auf Veränderungen beraubt. Dass ausgerechnet diese beiden in die Hände gewissenloser Killer fallen, und sich selbst in Lebensgefahr nicht solidarisieren, sondern verraten und gegenseitig Gewalt antun, ist von radikaler Konsequenz. Wenn hinter jedem Täter ein mögliches Opfer steckt, so besitzen auch die Opfer das Potenzial zum Täter. Was im Endeffekt alle zu Opfern werden lässt. Eine Erkenntnis die die mitleidlosen Hedonisten Ken, Greg und Art spät, dafür aber am nachhaltigsten trifft. Den anderen ist es mehr (Martin, Nancy, vor allem aber Alicia), bzw. weniger (der Verfolger) bewusst.
Und wenn sich zum Abschluss eine Art Happy End andeutet, so ist auch dies geprägt von kalter Berechnung, gepaart mit dem Staunen darüber, am Leben zu sein. So wird eine mögliche Liebe lediglich zum Lohn für den Tod eines anderen.
Der Mensch als der größte Feind des Menschen. Osborn führt das scharf, präzise und höchst eindrucksvoll vor. Kein Buch zum glücklich werden, aber eins, das die Sinne schärft, das skeptisch auf jene Spezies schaut, die so gerne vorne tätschelt und hinten das Messer für den tödlichen Stich bereithält.
267 Seiten große Literatur, die so tut, als wäre sie ein kleiner, dreckiger Bastard aus düsteren Wäldern, angesiedelt irgendwo im pechschwarzen Hinterland der Seele und des Geistes. Eine nur auf den ersten Blick zynische, vielmehr schonungslose, hochspannende und letztlich todtraurige Studie über die Abgründe der Menschlichkeit.
David Osborn, Zsolnay
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