Böses mit Bösem
- dtv
- Erschienen: Januar 2011
- 3
- London: John Murray, 2010, Titel: 'The rapture: the innocent disappear first', Seiten: 377, Originalsprache
- München: dtv, 2011, Seiten: 368, Übersetzt: Barbara Ostrop
And Here It Comes, A New Dark Age
Auch beim zweiten Teil der Felix-Strange-Trilogie bleibt der dtv-Verlag bibeltreu, obwohl der Originaltitel The Rapture dies gar nicht nahelegt. Ein zutiefst sarkastischer Titel, denn von "Verzückung" ist die Welt, in der Felix Strange lebt, weiter entfernt als je zuvor.
Die fundamentalistischen Kleriker halten das Machtzepter weiterhin in festen Händen; der atomare Schatten des zerstörten Houston schwebt bedrohlich über den USA, der Vergeltungsschlag gegen den Iran ist völlig aus dem Ruder gelaufen – wie der infizierte Felix am eigenen Leib erfahren musste; Teheran wurde dem Boden gleich gemacht, dem Rest des Landes erging es nicht viel besser. Irgendwann zogen die Truppen ab; einige Soldaten lebten als traumatisierte, geistige und körperliche Wracks weiter, andere nahmen ihr vorheriges Leben unter anderen Begleitumständen wieder auf, und der Rest, wozu auch Felix Spezialeinheit gehört, stellt seine Fähigkeiten (Verhörtechnik, Folter, Entführung, Mord) ganz in den Dienst der neuen Machthaber. Was Felix Strange natürlich überhaupt nicht gefällt. Denn unter dem Deckmantel des Heimatschutzes und im Verbund mit einer obskuren Sicherheitsfirma wird ein Verdikt umgesetzt, das da lautet, dass man Gott ganz besonders beflissen dient, wenn man in ständiger Angst lebt. So wird aus der Suche nach einem verschwundenen Armeekameraden der Kampf gegen eine groß angelegte Kampagne, die auch vor staatlichen Vertretern nicht Halt macht. Eingeschlossen auch Angehörige des FBI; was besonders bitter für Felix ist, sorgt doch die Bundesbehörde, quasi als Dank für seinen Einsatz im Vorgänger, für regelmäßigen Medikamentennachschub, damit Strange seine rätselhafte und höchstwahrscheinlich todbringende Krankheit im Griff behält.
Böses mit Bösem löst das Versprechen ein, das Den ersten Stein gegeben hat. Hall erschafft erneut ein beklemmendes und in sich geschlossenes Universum, in dem seine Charaktere, getrieben von ihren jeweiligen Interessen, höchst überzeugend agieren. So agiert Felix Strange zwar wieder als hartnäckiger und integrer Detektiv, der sich maulwurfsgleich Schicht um Schicht durch die Machenschaften eines perfiden Regierungsapparates gräbt, der aber in Armeezeiten selbst freiwilliger, wenn auch zweifelnder, Handlanger der Schergen dieses Systems war. So gewinnt Felix eine wohltuende Ambivalenz, die sich auch in seinen folgenden Aktionen und Gedanken niederschlägt. Ähnliche Brüche sind aber bei allen Figuren Halls möglich, was der Spannung und den Entwicklungsmöglichkeiten sehr zuträglich ist. Er bricht sich dabei keine unwahrscheinlichen Wendungen aus dem Kreuz, nur um der Dramaturgie zu dienen. Was auch und insbesondere für die Handlung und das Setting zutrifft.
Elliott Halls Dystopie ist deshalb so beklemmend, weil er seine Fiktion eines dem christlichen Fundamentalismus anheimgefallenen Amerika nur haarscharf neben reellen Gegebenheiten und Denkungsweisen platziert, seine Quellen, zumindest in Kürze, nennt. So ist die sinistere Security-Firma "Fisher Partners" das literarische Äquivalent zur realen und höchst suspekten "Academi" (früher "Blackwater Worldwide"), deren drakonische Irak-Aktivitäten ebenfalls Niederschlag im Roman finden. Das Parallel-Universum in dem sich Felix Strange zwischen Entsetzen und dem Wunsch das Richtige zu tun, um die Welt vielleicht doch noch in einen besseren Ort zu verwandeln, bewegt, ist von nachvollziehbarer Logik und Geschlossenheit. Die harte, zum Ende hin auch aktionsreiche Kriminalhandlung steht gleichberechtigt neben den gesellschaftskritischen und –philosophischen Elementen und wirkt zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt. Hall nutzt die Mechanismen des hardboiled Genres noch gekonnter als im Vorgänger, erweitert sie u.a. um Schilderungen aus einem (selbst)zerstörerischen Krieg und gibt einer Verschwörungstheorie die Grundlage, die darauf hinausläuft, dass die Gottesliebe umso größer ist, je mehr die liebenden Schäfchen in Furcht leben. Erleichtert zudem das Regieren und Bereichern. Potenzieller Widerstandsbewegungen werden ausgelöscht, bevor sich Widerstand überhaupt regt.
Böses mit Bösem ist die erhoffte Steigerung zum bereits sehr guten Vorgänger, eine eigenständige, dramatische und von finsterer Komik durchsetzte Krimi-Variante, die sich weit vom mausgrauen Mainstream absetzt. Hier sind die (ideellen) Serienkiller noch wirklich erschreckend.
21.05.2011. "The Rapture" (hier vermutlich im Sinne von "Entrückung") ist gerade noch einmal an uns vorüber gegangen. Harold Camping, Chefredakteur des kalifornischen Family Radio, sagte voraus, dass 3% der Weltbevölkerung im Zuge der "Rapture" nach einem gewaltigen Erdbeben gen Himmel fahren würden, um dem definitiven Ende der Welt ein halbes Jahr später zusehen zu dürfen.
Nicht weit entfernt treffen wir Newt Gingrich, immerhin möglicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner bei den nächsten Wahlen, der mit einem Schreckensszenario aufwartet, das ein neues dunkles Zeitalter heraufbeschwört. Gewisse Schurkenstaaten (zu denen auch der Iran gehört) lassen in Kansas eine Atombombe explodieren. Millionen werden sterben. One Second After. Gingrich Spezi (und gelegentlicher Co-Autor) William Forstchen hat einen Roman darüber geschrieben. Alternative zum Anbruch der Finsternis: Gingrich wird´s richten. Kommt bekannt vor?
Elliott Hall ist schon ein Guter.
Elliott Hall, dtv
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