Den ersten Stein
- dtv
- Erschienen: Januar 2011
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- London: John Murray, 2009, Titel: 'The first stone', Seiten: 309, Originalsprache
- München: dtv, 2011, Seiten: 349, Übersetzt: Barbara Ostrop
Der Detektiv und die Rückkehr der Inquisition
Eigentlich ist Elliott Halls erster Teil der Felix Strange-Trilogie mit dem wenig geschmeidigen deutschen Titel Den ersten Stein ein Hardboiled-Roman von nahezu klassischer Ausrichtung.
Ein tougher Privatdetektiv wird von einem zwielichtigen Auftraggeber angeheuert, den Mord an einem umstrittenen, aber äußerst populären Fernsehprediger aufzuklären. Des Geldes wegen nimmt er an. Denn weder sein Brötchengeber, noch der Ermordete sind ihm geheuer, geschweige denn sympathisch. Doch wie bei allen "guten" Detektiven ist Loyalität das größte Laster von Felix Strange. Einmal engagiert, erweist er sich als äußerst hartnäckig, besonders, wenn es gilt in Wespennester zu stechen. Selbst, wenn jede einzelne Wespe mehr Geld und Macht besitzt, als der Detektiv selbst. Von größeren Gruppierungen ganz zu schweigen.
Es dürfte kein großes Geheimnis sein, dass es Prügel geben wird; Mordanschläge gar, Verhaftungen, kleine Niederlagen, schmutzige Siege und eine geheimnisvolle Frau, die den Weg des Ermittlers permanent kreuzt. Trotz alledem sind wir natürlich gewiss, dass Strange seinem gewählten Weg bis zum Ende unermüdlich treu bleiben wird. Die Frage, ob er die ganze Chose überleben wird, stellt sich (noch) nicht, denn – wie oben erwähnt – ist Den ersten Stein der Beginn einer Trilogie, mit dem Privatermittler und Kriegsveteran Felix Strange im Mittelpunkt. Selbstverständlich ist dies allerdings nicht, denn Strange ist ein sterbenskranker Kriegsheimkehrer. Er braucht regelmäßig Medikamente, um am Leben zu bleiben. Die sind teuer. Krankenversicherungen haben kein Interesse an Ex-Soldaten, die sich mühevoll auf den Beinen halten. Allein deshalb muss Felix sich mit TV-Evangelisten und bigotten Moralaposteln einlassen.
Nichts Neues unter der Sonne soweit. Doch Hall bedient sich eines kleinen Kniffs, neben Felix´ schwerer Erkrankung, um seinen Protagonisten, der nicht nur kleidungsmäßig als gelehriger Schüler Philip Marlowes auftritt, in eine andere Dimension zu hieven.
Er siedelt seinen Roman in einer nahen Zukunft an, in der die USA während des Krieges mit dem Iran(!) Opfer eines atomaren Angriffs wurden. Houston wurde dem Erdboden gleichgemacht und ein klerikaler Präsidentschaftskandidat nutzt die Gunst der zerstörerischen Stunde, um Türen und Tore des Capitols einzurennen. Religiöser Fanatismus wird fast über Nacht zum wichtigsten Stützpfeiler der Staatsmacht, ein "Ältestenrat" wird zum wichtigsten Gremium, und der "Kreuzzug der Liebe, […] halb Erweckungsveranstaltung, halb Inquisition", neben dem "Komitee zum Kinderschutz" zu Vollstreckungsgehilfen vor Ort.
Denunziation, Bespitzelung, getarnt als wachsame Fürsorge mit Aussicht auf reuige Läuterung – während einer vom Fernsehen übertragenen Veranstaltung – stellt den unerfreulichen Alltag dar. An den Schulen wird "intelligentes Design" gelehrt, Schwule, Lesben werden verfolgt und bekämpft; Aids gilt als gerechte Strafe Gottes und Juden sollen sich gefälligst ins "heilige Land" verpissen, das längst unter amerikanischem Protektorat steht. Eine Aufforderung, die Strange als Halbjude (aber eingestandener Atheist) immer wieder zu hören bekommt.
Elliott Halls Amerika ist schon lange kein "land of the free" mehr. Wenn es das denn je war.
Sein Buch ist eine Dystopie, die ihren wahren Schrecken daraus bezieht, dass er die Spekulationsschraube gar nicht allzu weit andreht. Eine im Inland detonierte Atombombe ist natürlich ein radikaler Weckruf. Doch die ihn hören und entsprechend umsetzen, brauchen eigentlich gar kein derart einschneidendes Erlebnis, um fundamentalistische, faschistoide Neigungen zum Vorschein zu bringen. Der Konsens ist eigentlich immer gleich: das "Andere" muss eliminiert werden. Wer die Feinde des klerikalen Großreinemachens sind, kann man sich leicht ausrechnen.
Dummerweise hat die religiöse Erweckungsbewegung noch einen unwilligen Partner an ihrer Seite: die alten Machthaber aus Multinationalisten und Bankwesen. Letzteres kann man instrumentalisieren, aber die Wirtschaftsmogule müssen überzeugt werden. Koste es, was es wolle.
Felix Strange stolpert mitten hinein in solch einen Konflikt. Die Werte des Kapitalismus haben ausgedient, bzw. werden neu definiert. Geld ist gut, aber (spirituell) gereinigtes Geld ist besser.
Im Grunde hat sich natürlich wenig geändert. Verschiedene Gruppierungen kämpfen um die Vormachtstellung in einem von Angst, Zensur, religiösem Fanatismus und der Sehnsucht nach Erlösung geprägten Amerika. Strange gerät ins Kompetenzgerangel zwischen dem "Kreuzzug der Liebe", dem "Komitee für Kinderschutz", der Großindustrie und all den Handlangern, die für die entsprechenden Parteien arbeiten. Passenderweise verschlechtert sich sein Gesundheitszustand zusehends, je mehr er mit diesen Menschen konfrontiert wird.
Lediglich in Freund Benny, der für’s FBI arbeitet und der geheimnisvollen Iris erhält er Unterstützung. Wobei der Einfluss der "säkularen" Organisation Federal Bureau of Investigation am Schwinden ist. Obwohl die Angehörigen des "Kreuzzugs" keine behördlichen Rechte besitzen, sind sie faktisch die vierte Gewalt in einem sich auflösenden Staatsgefüge. Selbst Angehöriger mittlerer Führungsebenen können nicht ohne weiteres verhaftet werden. Sogar wenn man ihnen Mord nachweist.
Elliott Hall hat mit The First Stone einen beklemmenden Abgesang auf Werte wie Moral, Toleranz und Nächstenliebe geschrieben. Der behandelte Kriminalfall ist nicht sonderlich originell, aber handwerklich durchaus geschickt und mit Actionsequenzen zu den richtigen Zeitpunkten entwickelt. Was zitierfähige "oneliner" angeht, fehlt noch ein Stück zu den ganz Großen des Genres, doch Felix Strange ist ein sympathischer Protagonist mit Entwicklungsmöglichkeiten. Wäre schade, wenn er am Ende der Trilogie das Zeitliche segnen würde. Denn lässige Ermittler, deren Weltsicht eine von Humanismus geprägte Erdung besitzen, und deren Fälle nicht in abstrusen Wolkenkuckucksheimen angesiedelt sind, sind immer eine Wohltat. Gerade wenn es von hysterischen Forensikern, überkandidelten PolizistInnen und selbstverliebten Serienkillern anderswo nur so wimmelt.
Elliott Hall, dtv
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