Terror

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2011
  • 7
  • Köln: DuMont, 2011, Seiten: 380, Originalsprache
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Jochen König
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2011

Die im Dunkeln sieht man nicht  

Der letzte Eintrag in Marc Buhrs Blog datiert vom 03.06.2010 und lautet: "Angst". Mit dem Zusatz: "Es ist aktueller, größer und viel beängstigender als ich dachte: ho paura."

"Io ho paura! – "Ich habe Angst", ist der Titel eines Films des italienischen Regisseurs Damiano Damiani. Mit Bezug zum Bomben-Attentat 1969 auf der Piazza Fontana in Mailand, das ebenfalls in Maurers Buch Erwähnung findet. Damianos Oeuvre weist überhaupt viel Ähnlichkeit mit Martin Maurers Roman Terror auf. Nicht nur weil er sich des Thrillers als Medium seiner gesellschaftskritischen Studien angenommen hat. Hauptthema ist die Einflussnahme antidemokratischer Kräfte (Mafia, Terrorismus, Faschismus, Wirtschaft, Korruption) auf die Gesellschaft und Politik Italiens, er lässt ähnlich wie Maurer engagierte Individualisten auf ein schier übermächtiges System treffen. Manipulative und weitreichende Mechanismen werden zwar vage erkannt, die wahre Dimension, die u.a. auf der hinterhältigen Verankerung innerhalb der Gesellschaft beruht, wird aber nicht begriffen. In dem Moment, in dem Zusammenhänge erkennbar werden, sind Damianos Protagonisten meist dem Untergang geweiht. Und können nur noch konstatieren: "Io ho paura!"

Marc Buhr ergeht es ähnlich. Eigentlich nur der Gesundheit seiner Tochter wegen von Berlin in ein kleines italienisches Bergdorf gezogen, stolpert der Kameramann und Filmemacher über die vermutlich größte Story seines Lebens. Den Film dazu, wird er uns wohl schuldig bleiben.

Im Haus gegenüber lebt ein Marokkaner unter polizeilicher Überwachung. Als Buhr eines Tages mitbekommt, dass der Afrikaner schwer misshandelt wird, beschließt er dessen Haus elektronisch zu überwachen. Und stößt dabei auf einen Mann, dessen Spuren sich bis in höchste bundesdeutsche Politikkreise und vor allem zum Bombenanschlag auf das Oktoberfest im Jahr 1980 zurückführen lassen.

Je mehr er recherchiert, desto deutlicher wird, dass hinter vielen Akten des Terrorismus keineswegs politische Extremisten oder verwirrte Einzeltäter stecken, sondern ein staatlich sanktioniertes (und international operierendes) geheimes Netzwerk, das die "Strategie der Spannung" mit allen Mitteln durchsetzt.

 

"Die Strategie der Spannung besagt im Grunde: man lässt Attentate einfach geschehen oder inszeniert sie selbst und schiebt sie dann dem politischen Gegner […] in die Schuhe. Dadurch bewirkt man zwei Dinge: Die Ideen des Gegners werden diskreditiert, die Bewegung verliert Rückhalt in der Bevölkerung, und die Leute verlangen nach mehr Sicherheit, nach einem starken Staat."

 

In einem weiteren Erzählstrang, der zeitversetzt zu Marcs Entdeckungen läuft, bewegen sich der Carabinieri Fabrizio und die deutschstämmige Carla, Marcs Tochter Annas im Schlepptau, aufeinander zu. Während Carla, als gebrandmarkte G8-Demonstrantin um die moralische Verwerflichkeit und Skrupellosigkeit staatlicher Organe weiß, entgleitet Fabrizio Schritt für Schritt der Boden unter seinen Füßen. Und er muss erkennen, dass selbst Vertrautheit keine Sicherheit birgt.

Martin Maurer gelingt es mit seinem Roman Terror eindrücklich, die Verunsicherung seiner Protagonisten auf den Leser zu übertragen. Mutig, nicht auf eine lineare Erzählform zu bauen, sondern zwischen verschiedenen Zeitebenen und Figuren hin und her zu pendeln. Dabei gelingt es dem Autor über weite Strecken die Spannung zu halten, während der Leser längst weiß wie sich Marc Buhrs Schicksal gestalten wird. Marc sticht in ein Wespennest – agiert dabei etwas zu naiv für einen engagierten Filmemacher - und merkt viel zu spät, dass er sich mit Gegnern eingelassen hat, die über ganz andere Mittel, Möglichkeiten und moralische Hemmungslosigkeiten verfügen, als ein Werbefilmer aus Berlin mit Hang zu investigativem Journalismus.

So entwickelt sich die Geschichte um staatlich sanktionierten Terrorismus mit bitterer Konsequenz auf ihr folgerichtiges Ende zu. Die Rädchen im Getriebe haben sich zwar ein bisschen reiben können, doch wirklich aufhalten, geschweige denn ändern konnten sie nichts.

Dem aufmerksamen Leser dämmert natürlich im Verlauf des Buches, wie der finale Paukenschlag ausklingen wird; der Verschwörungstheoretiker winkt ab: "Habe ich alles bereits gewusst!"; doch Maurer hat aus seinem Stoff einen beklemmenden Thriller gemacht, dessen zugrundeliegende Fakten der Autor und seine Mitstreiter u.a. im weltweiten Netz öffentlich machen.

Terror gibt sich wesentlich bescheidener und ist in seiner Nutzung multimedialer Mittel dem gehypten und unsäglichen Level 26 von Anthony Zuiker um ein Vielfaches überlegen.

  So hat Marc Buhr seinen eigenen Blog, in dem er die Hintergründe zur obskuren Aginter Press-Agentur liefert, zu "Gladio" und all den Attentaten in Deutschland (Oktoberfest) und Italien (Mailand 1969, Bologna 1980), die im Buch Erwähnung finden. Dazu gesellt sich noch eine Facebook-Seite und die Erläuterungen, "wer" Marc Buhr denn wirklich ist, auf Martin Maurers Homepage.

Das ist geschickt und gut gemacht, führt ziemlich schnell dazu, dass man den Verteidigungsminister "Rudolf Hochhausen", der im Buch mehrfach erwähnt wird, durch sein reales Pendant Franz Josef Strauß ersetzt.

Maurer spielt mit Fakten und Fiktion, und es macht Spaß ihm dabei zu folgen. Seine Erkenntnisse sind eher beklemmend als erschreckend, denn auch wenn sein Szenario das El Dorado jedes Adepten globaler Verschwörungsstrategien darstellen dürfte, sind seine Belege und Schlussfolgerungen viel zu rational vorgebracht, als dass man sie achtlos beiseiteschieben könnte. Was vielleicht das größte Manko Terrors ist: im letzten Drittel gewinnt der dozierende Materialsammler, der eigentlich einen Dokumentarfilm plant, gelegentlich die Oberhand über den Verfasser einer spannenden, sich selbst tragenden Geschichte. Außerdem lenkt das Grübeln über "Dichtung und Echtheit" von den Stärken der Story ab. Dazu gesellen sich ein paar kleine Unglaublichkeiten, die den realitätsnahen Gestus der Erzählung konterkarieren. Sehen wir geflissentlich drüber weg, vor allem, weil sie teilweise für die kurzen Augenblicke der Genugtuung zuständig sind. Wobei das auch ein fieser Trick Maurers sein könnte: Indem die wenigen Momente der Hoffnung offensichtlich rein fiktional bleiben, gewinnt am Ende eine Realität, deren Message so klar wie eindeutig ist: der Einzelne verschwindet im System. Jason Bourne und seine Kollegen sind eine Illusion.

Auch wenn Terror sich als reine Fiktion entpuppen sollte, schafft Maurers Thrillers etwas ganz wichtiges: dass man sich als Leser bemüßigt fühlt, nochmal hinzuschauen, wo einem einfache und offensichtliche Antworten leichtfertig vorgesetzt werden. Dass der Roman dabei spannend unterhält, mit eigenwilliger Erzählstruktur aufwartet und in sich glaubwürdig bleibt, macht ihn auch lesenswert für Menschen, die nicht glauben können oder wollen, dass smarte Politiker bewusst betrügen.

PS.: Mutig von Herrn Maurer, dass er sich immer noch nach Italien traut.

Terror

Martin Maurer, DuMont

Terror

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