Erlösung

  • DAV
  • Erschienen: Januar 2011
  • 39
  • Berlin: DAV, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Wolfram Koch
  • Kopenhagen: Politiken, 2009, Titel: 'Flaskepost fra P', Originalsprache
Erlösung
Erlösung
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Jochen König
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2011

Chameleon im Schatten der Nacht

Wir können es kurz machen: Flaschenpost von P. aka Erlösung, der dritte Roman um Carl Mørck und das Sonderdezernat Q, ist der beste der bisher auf Deutsch erschienenen Bände.

Obwohl die Geschichte kaum originell erscheint - in seiner Kindheit traumatisierter Soziopath entführt Kinder, erpresst die Eltern und tötet einen Teil seiner Opfer - überzeugt das Buch in fast allen Belangen.

Jussi Adler-Olsen gesteht dem Mann ohne Namen, der sich selbst "Chaplin" nennt, viel Raum ein. Er erzählt eine Familiengeschichte innerhalb derer ein misshandeltes Opfer langsam zum Täter mutiert. Die Grenzen sind, wie so oft, fließend, und die Entwicklung, die Chaplin nimmt, keineswegs zwangsläufig. Er ist ein kluger Kopf, dem von klein auf eingebläut wurde wie geschlossene, religiös orientierte Gemeinschaften funktionieren. Als Erwachsener macht er sich dieses Wissen auf perfideste Weise zu Nutzen. Sein auf Erpressung und Mord basierendes System funktioniert, da die jeweiligen Mitglieder der Gemeinden, die Chaplin infiltriert, genau auf diese äußeren Reize reagieren. Sie sind es nicht anderes gewohnt.

Jussi Adler-Olsen ist kein besonders filigraner Autor, aber ein höchst kraftvoller. Erlösung macht keinen Hehl daraus, dass in repressiven, von fatalistischem Glauben geprägten Strukturen, genau diese Erlösung nie eintreten wird. Fanatismus, Unterdrückung, mangelnde Kommunikationsfähigkeit machen es Menschen wie Chaplin erst möglich, ihre Mischung aus Obsession und Kalkül auszuleben. Dabei ist Chaplin kein überragendes Genie des Bösen, sondern lediglich ein Kontrollfreak, der seine Lektionen gelernt hat. Der in einer Welt des Leidens aufgewachsen ist und genau dieses Leiden zurückbringt in die Welt. Der sich keine Gedanken um Mitleid, Liebe und Schmerz macht, sondern sein Umfeld nur aus einer Sicht betrachtet: wie ziehe ich meinen größtmöglichen individuellen Nutzen daraus?

Eine so schlichte wie essenzielle Frage, bei deren Beantwortung klar sein sollte, dass sie über das Sujet eines auf Spannung optimierten Romans hinausreicht. Denn ganz egal, in welchem Umfeld man sich bewegt, wer die Mechanismen eines Systems durchschaut hat, und ohne Rücksicht auf (menschliche) Verluste agiert, wird sich selbst bereichern können und gilt, solange er den Rahmen gesellschaftlicher Konventionen nicht allzu offensichtlich verlässt, als erfolgreicher Unternehmer. Chaplin hat diesen Rahmen seit langem gesprengt und kommt trotzdem damit durch. Bis er auf Menschen trifft, die bereit sind sich zu öffnen. Aus Angst, Sorge oder als Ergebnis einer bewusst getroffenen Entscheidung, endlich ein Risiko einzugehen. Das wird zwar nicht für gerechte Verhältnisse sorgen, aber eine Chance sein, aus einem abgeschotteten System, das Unwissenheit als wahren Weg zum Glück propagiert, auszubrechen.

Auch hier ist Adler Olsen klug genug, nicht einfache Rezepte wie Rache und Genugtuung als Lösung anzubieten. Wenn der Roman seinem Ende entgegen taumelt, wird es fast nur Verlierer geben. Lediglich eine Geste der Versöhnung bleibt als Hoffnungsschimmer.

So viel zum Verbrechen. Welches der Autor in einem Gespinst aus Unterdrückung, Fanatismus und ignoranter Weltvergessenheit verortet. Adler-Olsen verschweigt natürlich nicht, dass es für all diese Verhaltens- und Denkweisen Gründe gibt. Das hebt ihn ebenfalls aus der Masse der wir-geben-ihrem-Spannungsorgasmus-ein-Zuhause-orientierten Autoren. Die Opfer spielen dem Täter zwar in die Hand, lassen es zu, dass er sie und ihr Leben beherrscht, selbst lange Zeit nachdem das Verbrechen verübt wurde. Aber sie werden nie zu Handlangern einer allzu publikumsgefälligen Spannungsdramaturgie. Sie bleiben glaubwürdiges Produkt ihrer von außen produzierten, aber aus der Sehnsucht nach innerer Sicherheit geborenen Unmündigkeit.

Bleiben unsere Ermittler. Hier setzt Adler-Olsen seinen Weg konsequent fort. Vielleicht ein wenig zu konsequent. Carl Mørck und Assad sind endgültig zu den erfolgreich Verbrechen bekämpfenden Pat Und Patachon ihrer Generation geworden. Jussi Adler-Olsen entwickelt die Geschichte seiner Protagonisten weiter, ohne dass es aufgesetzt wirkt; er baut Geheimnisse, Macken und Neurosen ein, erlaubt sich den Luxus manches nicht aufzulösen und sorgt immer wieder durch knappe, sarkastische Scherze für Bodenhaftung. Gleichzeitig bringt er mit dem seltsamen Paar Rose/Yrsa einen fast surrealistischen Zug umgeben von einem Hauch alltäglichen Wahnsinns ins Spiel; bleibt auch hier süffisant im Vagen, indem er – ganz skandinavisch – seine Figuren manche Themen nicht ansprechen lässt. Aber sie stehen im Raum und werden diesen in Zukunft garantiert beanspruchen.

Stichwort Finale: Mir wäre es ganz lieb, beim nächsten Roman gäbe es eine Alternative zum Verlauf des Showdowns, der jetzt bereits zum dritten Mal auf ähnliche Weise stattfindet. Der desillusionierende Schlussakt ist immanent durchaus glaubwürdig, aber in seiner Entwicklungsstruktur nicht weit von Erbarmen und Schändung entfernt. So kann man sich entweder an der Beständigkeit des Autors erfreuen, oder für´s nächste Buch eine Variante herbeiwünschen.

Positiv anzumerken ist, dass zum ersten Mal der deutsche Titel – trotz Stieg-Larsson-ick-hör-dir-trapsen-Attitüde – seine Berechtigung hat. Wenn auch auf eine höchst bissig kommentierende Art – was die Verantwortlichen vermutlich wohlmeinend eingeplant haben…

PS.: Erlösung ist ein Buch mit Bonus. Nennt sich volltönend "Augmented Reality", ist aber nichts anderes als das Äquivalent zu einem Audiokommentar, wie man ihn geflissentlich als Zusatz bei DVDs findet. Wer sich unter der im Buch angegebenen Internetadresse einloggt, bekommt einige amüsante Zusatzinformationen von Jussi Adler-Olsen zu den Handlungsorten geliefert. Passt schon.

Erlösung

Jussi Adler-Olsen, DAV

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