Nachtexpress

  • Emons
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
  • Köln: Emons, 2010, Seiten: 205, Originalsprache
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Eva Bergschneider
33°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2011

Tour de Ruhr

Nach Ruhrschnellweg und Insolvenzgeld legt die in Essen lebende Autorin Ursula Sternberg mit Nachtexpress ihren dritten Ruhr-Krimi vor. Einmal mehr wird die arbeitslose ITlerin Toni Blauvogel zur Gelegenheitsdetektivin, als eine verzweifelte Mutter sie um Hilfe bittet.

Angela Brissano kann sich nicht vorstellen, dass ihre 15 jährige Tochter. Bella einfach ausgebüchst ist, wie ihr die Polizei glauben machen will. Es hat nie Probleme mit dem Mädchen gegeben und sie ist eine gute Schülerin. Gelegentlich hilft sie im italienischen Restaurant ihrer Eltern aus und geht in ihrer Freizeit zur Disco im Jugendclub "Rübe". In einer Samstagnacht verschwindet sie spurlos, angeblich hat sie den Tanzabend früher und ohne ihre Freundinnen verlassen. Toni Blauvogel, immer noch auf Jobsuche und gerade umgezogen, nimmt sich der vermissten Schülerin an und lernt bei ihren Recherchen ein Mädel kennen mit dem sie einiges gemeinsam hat: Neugier, Engagement und Entschlossenheit. Hat Bella sich damit in Gefahr gebracht?

Ein Stadtplan der sozialen Brennpunkte

Zunächst stellt uns Ursula Sternberg die handelnden Personen mit Namen und einem sie charakterisierenden Satz vor, z.B.: "Katrin Welsch, arbeitet im Jugendhaus Rübe und ist sehr sehr fröhlich." Da weiß man doch gleich, mit wem man es zu tun hat und es fällt sofort auf, dass hier jede Menge Klischees bedient werden. Ein Kommissarin für Sozialdelikte, die schon viel zu viel gesehen hat, ein schmieriger Zeitungsfritze, eine nervenstarke Schuldirektorin und viele mehr. Die Hauptfigur Toni Blauvogel macht da keine Ausnahme, aber wenigstens ist die Ruhrpott-Lady mit Herz und Schnauze eine echte Sympathieträgerin. Hartnäckig ist sie, fleißig, aber auch eine gute Ermittlerin? Wenn es bei dem Job darum ginge, unzählige Straßen abzuklappern, die alle sorgfältig benannt werden, und möglichst viele Leute anzuquatschen, dann sollte Toni ein Schild "Privatdetektei Blauvogel" an ihre Wohnungstür hängen. Auf ihren Streifzügen macht sie so illustre Bekanntschaften wie: Den Woodstock-Althippie, Meister Proper, oder auch Adlerschwinge, jeder akribisch betitelt, damit der Leser auch gleich weiß, wie er ihn einzuordnen hat. Nur hat man überwiegend das Gefühl, dass Toni unter etlichen Nieten ein paar Zufallstreffer zieht und bei der Verknüpfung der losen Fäden kein logischer Tathergang heraus kommt. Leider hat die Autorin viele Buchseiten an eine fruchtlose Schnitzeljagd durch Essen verschenkt und dabei wichtige Fragen unbeantwortet gelassen.

Was zurückbleibt, ist die Erkenntnis, dass man sich, wenn man nachts in Essen unterwegs ist, den Gang die Treppen hinunter zur U-Bahn schenken kann, denn es gibt ja ein ausgeklügeltes Nachtbussystem. Positiv anzumerken ist, das Nachtexpress uns soziale Missstände der Großstädte, sicherlich nicht nur im Ruhrpott, vor Augen führt, wie Kindesmisshandlung, familiäre Gewalt, jugendlicher Alkoholmissbrauch und seine Folgen, Obdachlosigkeit junger Menschen. Die Milieubeschreibungen kommen glaubwürdig herüber und sind das eigentlich spannende an diesem Kriminalroman. Bedauerlicherweise überzuckert zum Schluss kitschige Sozialromantik den sonst lebensechten Einblick in die Thematik.

Zu Nachtexpress passt eine Sprache mit lockerem Ruhrgebietsslang, den die Autorin wohl dosiert gebraucht und der für eine stimmige Atmosphäre sorgt Allerdings hätte man Ursula Sternberg ein aufmerksameres Lektorat gewünscht, dann hätten sich unfreiwillig komische Stilblüten , wie "skalieren" anstelle von "skandieren" (S. 59) vermeiden lassen. Unter'm Strich mag Nachtexpress mit seinem Ruhrpott-Colorid vielleicht einige ortsansässige Essener erfreuen. Wer allerdings Krimi-Unterhaltung genießen möchte, wird hier einen strukturierten Plot vermissen und schon aufgrund der arg klischeelastigen Figuren viel zu früh wissen, wohin der Hase läuft.

Nachtexpress

Ursula Sternberg, Emons

Nachtexpress

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