Frost
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2010
- 2
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010, Seiten: 282, Übersetzt: Katharina Naumann
Schnee, der auf Leichen fällt
In Punkto Marketing hat der Rowohlt Verlag in diesem Fall wirklich alles richtig gemacht. Pünktlich zum ersten Frost kam John Rectors Debütroman mit selbigem Namen, im Original unter dem Titel "The Cold Kiss" in den USA veröffentlicht, auf den deutschen Büchermarkt. Und tatsächlich hält die äußere Aufmachung hier mal was sie verspricht, denn Frost bietet eiskalte Unterhaltung, welche aufgrund der eindringlichen und stimmungsvollen Bilder besonders in der Winterzeit genossen werden sollte. Wie schon Gerard Donovans Winter in Maine oder Jo Nesbøs Schneemann, so lebt auch Rectors Erstling von der Schilderung der weißen Pracht, wenngleich er, soviel sei vorab schon verraten, die stilistische Qualität der beiden erstgenannten nicht erreicht. Dem Lesevergnügen tut das letztlich aber keinen Abbruch, da der aus Colorado stammende Schriftsteller sich stark an den Themen der klassischen Roadmovies der 70er Jahre orientiert und, wie seine Kollegen Scott Phillips oder Elmore Leonard, für seine Story kein Wort zu viel verbraucht. Und die ist auch dementsprechend schnell erzählt:
Die Vergangenheit hinter sich lassen. Ganz neu anfangen. Für Ex-Häftling Nate und dessen schwangere Freundin Sara ist die Fahrt nach Reno die Reise in eine bessere Zukunft. Doch der Weg ist beschwerlich, denn der harte Winter hat viele Straßen unpassierbar gemacht und verlangsamt ihr Vorankommen. In dem Diner einer Tankstelle gönnen sie sich die wohlverdiente Pause, die vor allem Nate, der nach einem Unfall vor vielen Jahren unter schlimmen Kopfschmerzen leidet, dringend braucht. Während des Essens fällt ihnen ein augenscheinlich schwer kranker, hustender Mann an der Theke auf, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Auf Drängen Saras hin bietet Nate dem Mann seine Hilfe an, welche dieser anfangs noch schroff ablehnt. Doch als sich das junge Paar wieder auf den Weg machen will, bittet er die beiden schließlich doch darum, ihn ein kleines Stückchen mitzunehmen. Besonders Nate ist davon wenig begeistert. Er traut dem Fremden nicht. Andererseits können er und Sara die angebotenen 500 Dollar des Mannes aber gut gebrauchen. Widerstrebend willigt er ein.
Trotz der Warnungen der Bardame vor einem drohenden Blizzard fahren die drei auf der geplanten Strecke weiter, bis der immer schlimmer werdende Schneesturm ein Weiterkommen gänzlich unmöglich macht. Nate und Sara stecken nun in einer Zwickmühle, denn der Zustand des Mannes hat sich rapide verschlechtert. Schon bald ist er gar nicht mehr ansprechbar. Da taucht plötzlich hinter dem Vorhang aus Weiß ein abgelegenes Motel auf. Schnell steuert man den Parkplatz an, nur um dort festzustellen, dass der Mann mittlerweile nicht mehr atmet. Als Nate ihn sich näher anschaut, entdeckt er eine Schusswunde unter dessen Hemd. Und damit nicht genug. Sowohl im Rucksack als auch im Koffer befindet sich eine riesige Menge Geld. Was ist nun zu tun? Entgegen Saras Wunsch, die Polizei über das Ableben des Mannes und dessen Habseligkeiten zu informieren, beschließt Nate das Geld zu behalten und die Leiche heimlich zu entsorgen. … die Probleme lassen naturgemäß nicht lange auf sich warten.
John Rector hat mit Frost den Krimi ganz sicher nicht neu erfunden. Ganz im Gegenteil. Die Reminiszenzen an gute, alte Gauner- und Westerngeschichten schimmern immer wieder zwischen den Zeilen durch. Der klassische Plot besticht durch eine klare Linientreue. Und was bereits damals funktioniert hat, das entfaltet, in den richtigen Händen, auch heute noch seine kühle Eleganz. Dieses richtige Händchen beweist Rector in Frost ohne Zweifel. Er hat sich die gleiche, karge Sprache zu Eigen gemacht, und, statt einer weiteren aus vielfachen und ins Leere laufenden Strängen bestehenden Handlung, eine schnurgerade und schnörkellose Geschichte zu Papier gebracht, die unerbittlich ihren Lauft nimmt und auf detaillierte Charakterisierungen ebenso verzichtet wie auf jeglichen moralischen Aspekt. Wo die Trennlinie zwischen Gut und Böse zu ziehen ist, wird komplett dem Leser überlassen. Genauso die Frage, wie man anstatt Nates oder Saras gehandelt hätte, die beide durch eine falsch getroffene Entscheidung eine Lawine in Gang gesetzt haben, welche am Ende nicht mehr zu kontrollieren ist. Und wie eben jene Schneelawine, so verselbständigt sich letztlich Rectors Geschichte. Trotz der Versuche von Ich-Erzähler Nate, die Dinge in Ordnung zu bringen und ohne Schaden aus dem Ganzen herauszukommen, verliert er nach und nach die Kontrolle über die Situation. Und ihm dabei über die Schulter zu schauen, macht die Spannung dieses Romans aus.
"Man weiß, dass etwas Schreckliches passieren wird, und man kann nicht aufhören zu lesen." Diese sehr profane Aussage von Simon Kernick zu Rectors Debütwerk trifft inhaltlich ganz gut die Faszination, die von diesem Roman ausgeht. Wie die dunklen Wolken des Blizzards am Himmel, so hängt auch über dem Frost eine von Beginn an unheilverkündende Atmosphäre, welche im weiteren Verlauf nicht zuletzt auch wegen der grandiosen Wetterbeschreibungen immer mehr zunimmt. Wenn Nate durch den düsteren Schneesturm stapft, die Scheibenwischer verzweifelt für freie Sicht kämpfen und das Knirschen von Schritten noch meterweit widerhallt, fühlt sich der Leser selbst als Teil der Szenerie. Hinzu kommt, dass Rector die Elemente der "Locked-Room"-Mystery äußerst intelligent zweckentfremdet hat. Wie in den Whodunits der 30er Jahre, so ist auch hier eine Menschengruppe eingeschneit, in deren Mitte man den schlimmen Bösewicht vermutet. Tatsächlich betätigt sich sogar eine der Motelbewohnerinnen als Möchtegern-Miss-Marple, um Licht in die Sache zu bringen, was wiederum die Äußerung hervorruft, dass man sich genauso gut in einer typischen Krimihandlung befinden könnte. Rector spielt an dieser Stelle geschickt mit den Genres und den Erwartungen des Lesers.
Diese werden, trotz des wenig komplexen Plots, stets durch unvorhersehbare Wendungen oder wechselnde Gegebenheiten in andere Bahnen gelenkt, was wiederum dafür sorgt, dass man das Buch nur äußerst ungern an die Seite legt. Man vergisst darüber dann auch, dass Rector mit Nate und Sara den holzschnittartigen Figuren von Richard Laymon oder des oben erwähnten Kernick sehr nahe kommt. Im Gegensatz zu diesen beiden Autoren gelingt dem Autor von Frost allerdings der Spannungsaufbau, der, nachdem er sich unerwartet brutal und drastisch entlädt, nicht ideenlos ins Leere taumelt. Und auch in Punkto Dialoge stellt Rector seine Stärken unter Beweis. Diese werden gekonnt und perfekt getimt positioniert, halten das Tempo bis zum Ende durchgängig hoch. Eben jenes Ende stellt wiederum Zartbesaitete durchaus auf die Probe und läuft doch nie Gefahr, das Buch zum Splatter-Werk verkommen zu lassen.
John Rectors Frost ist geradlinig, kurzweilig, spannend und gut. Ein zeitloser, schmutziger Roadmovie-Hardboiled-Mischling, der einfach Laune macht, allerdings aufgrund des allzu typischen Handlungsaufbaus wohl auch nicht lange im Gedächtnis haften bleibt. Rectors Werdegang sollten Freunde von Krimis im Stile von Leonard, Cain und Co. dennoch im Auge behalten.
John Rector, Rowohlt
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