Las Vegas 1946
- Bastei Lübbe
- Erschienen: August 1990
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- New York: St. Martin’s Press, 1988, Titel: 'Neon mirage', Seiten: 275, Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1990, Seiten: 316, Übersetzt: Jürgen Langowski
(Alb-) Traum eines Gangsters.
Nate Heller hat nach der Heimkehr aus dem Pazifikkrieg wieder Fuß gefasst. Seine Detektei in Chicago läuft hervorragend, denn nach dem im Vorjahr von den USA siegreich zu Ende geführten Zweiten Weltkrieg wird wieder Geld für Spaß und Luxus ausgegeben - goldene Zeiten für windige Geschäftemacher sowie diejenigen, die ihnen auf die Finger schauen.
Doch Heller leidet unter einem gewissen Ruf. In der Vergangenheit hat er immer wieder für prominente Vertreter des organisierten Verbrechens ‚gearbeitet‘, ohne sich jemals kriminell vereinnahmen zu lassen; ein Seiltanz, den er gründlich satthat. Ein üppiges Honorar lässt ihn dennoch schwach werden, als Jeff Ragan ihn anheuert. Außerdem verliebt sich Heller in Judy, Ragans Nichte, bevor sein Auftraggeber bei einem Attentat beinahe umkommt: Ragan besitzt einen Nachrichtendienst für Wettkämpfe, der so viel Geld abwirft, dass die Mafia ihn auskaufen will. Der störrische Ragan weigert sich und muss dafür zahlen.
Heller soll herausfinden, wer hinter dem Anschlag steckt. Gleich zwei gefürchtete Mafia-Gangster kommen in Frage: Jake „Schmierdaumen“ Guzik und Benjamin „Bugsy“ Siegel. Heller hält letzteren für unschuldig, zumal Siegel vollauf mit seinem Lebenswerk beschäftigt ist. Mitten in der Wüste von Nevada will er ein Nest namens Las Vegas zu einer Glücksspiel-Metropole aufbauen. Millionen Mafia-Dollar versenkt er dort, was seine Geldgeber in Unruhe versetzt.
Heller kreuzt mehrfach Siegels Weg und lässt sich schließlich von ihm anstellen. In Vegas soll er die Taschendiebe fernhalten. So bekommt der Detektiv einen Logenplatz in dem Drama, das sich 1947 abspielt: Das glanzvoll eröffnete „Flamingo Hotel“ gerät endgültig in finanzielle Schieflage, woraufhin Siegel zum Abschuss freigegeben wird ...
Unberechenbarer Gangster mit verrückter Offenbarung
Benjamin Siegel (1906-1947) war ein schillerndes Mitglied der US-Unterwelt. Einerseits ‚verdankt‘ die Welt ihm Las Vegas, andererseits trug er seinen (verhassten) Spitznamen „Bugsy“ nicht zu Unrecht: Der charmante, gutaussehende Mann, der gern Schauspieler geworden wäre, konnte so in Rage geraten, dass er hemmungslos und brutal mordete. Siegel war intelligent und ein Aushängeschild für die Mafia, deren freundliches Gesicht er darstellte. So stieg er hoch auf in einer kriminellen Organisation, die nach dem Zweiten Weltkrieg durchstartete, sich national neu vernetzte sowie global zu agieren begann.
Siegels Untergang beförderte ihn zu einer tragischen bzw. roman- und filmtauglichen Gestalt. Er hatte die Vision einer Stadt, deren wirtschaftliches Fundament das Glücksspiel sein sollte. Nicht reiche Spieler, sondern der nach dem Krieg gutverdienende Durchschnittsamerikaner sollte dorthin reisen und sein Geld in den Casinos lassen. Als Köder dienten Hotels, die überbordenden Luxus sowie ein Unterhaltungsprogramm mit den größten Stars ihrer Ära boten.
Bis es soweit war, musste teure Aufbauarbeit geleistet werden. Das „Flamingo“ sollte als Vorbild für das zukünftige Vegas dienen. Siegel verfiel der eigenen Vision, die zu einer Obsession mutierte. Er pumpte Geld in ein Projekt, das ihm unglücklicherweise nicht gehörte: Die Mafia finanzierte ihn - und dort hielt man nichts von Träumen, sondern wollte abkassieren; eine heikle Situation (die abseits üblicher Krimi-Routinen bedrohlich die zweite Hälfte dieses Romans bestimmt), bis der Mob den Stecker zog.
Der Mann auf seiner Schulter
Zum vierten Mal sorgt Max Allan Collins dafür, dass Nate Heller Zeuge von Geschehnissen wird, die in die Geschichtsbücher eingehen werden. Der Inhaber einer kleinen Detektei in Chicago ist einerseits völlig unglaubwürdig in dieser Rolle, während gleichzeitig nur er sie plausibel spielen kann - ein Widerspruch, den Collins in vielen weiteren Heller-Romanen erfolgreich in den Hintergrund drängte.
Hellers Arbeit ist eine plausible Begründung für seine Kenntnis der lokalen Unterwelt. Realiter hätte man ihn trotz (oder gerade) wegen seiner (ohnehin vor allem behaupteten) Neutralität bald auflaufen lassen. Die Großen des organisierten Verbrechens waren anders als von Collins geschildert nicht bereit, allwissende Randfiguren wie Heller zu dulden. Dies zu ignorieren macht es möglich, ihn dennoch Zeuge historisch relevanter Ereignisse werden zu lassen, die über profane Gier- und Gewaltverbrechen weit hinausgehen. Immer wieder gerät Heller in jene Grauzone, in der sich Verbrechen, Politik und Finanzwelt konspirativ auf Augenhöhe begegnen. (In „Ask Not“, Bd. 15, erfährt Heller beispielsweise mehr über den Mord an US-Präsident John F. Kennedy, als ihm lieb ist.)
Die unmittelbare Nachkriegszeit bietet Collins ein ideales Zeitfenster. Problemlos kann die Mafia ihre ‚Geschäfte‘ ausweiten. Regierung und Justiz richten ihre Blicke betriebsblind auf eine angebliche „rote Unterwanderung“ durch Kommunisten; die Sowjetunion und China sind die ‚offiziellen‘ Feinde der USA. Im toten Winkel dieser Paranoia kann die Mafia sich überall dort einnisten, wo Geld verdient wird und Entscheidungen fallen.
Wüstenparadies für vergnügungssüchtige Dummköpfe
In Las Vegas schlug die Mafia so offensichtlich und tief Wurzeln, dass man sich wundert, wie dieser Ort bestehen konnte. Als das Glücksspiel-Geschäft nach Siegels Tod in Gang kam, hätte man ihm Einhalt gebieten können. Doch niemand tat es, und dank korrupter Steigbügelhalter in den richtigen Positionen blühte Vegas touristisch wie kriminell auf. Auch diesen Prozess begleitet Heller als unfreiwilliger Zeuge; er bleibt unser Führer durch eine zwielichtige, aber hochinteressante Vergangenheit, die Collins wie üblich historisch akkurat recherchiert einfließen lässt. (Über seine Quellen informiert er in einem ausführlichen Nachwort.)
Ungeachtet des deutschen Titels spielt die Handlung zeitlich auf mehreren Ebenen. Es gibt eine Vorgeschichte, in der Ben Siegel nur erwähnt wird: Collins bereitet das Feld vor, auf dem das eigentliche Geschehen ablaufen wird. Die Geschichte des organisierten US-Verbrechens ist komplex. Sie steht für Collins im Mittelpunkt. Dennoch bleibt „Las Vegas 1946“ ein Roman und gerinnt nicht zum erzählten Sachbuch. Collins erweist dem („Noir“-) Genre ausgiebig seine Referenz, wenn er sein Garn mit Schießereien und Sexszenen würzt.
Heller ist ein unfreiwilliger, vor allem jedoch hilfloser Beobachter. Die historischen Eckdaten stehen fest. Collins kann sie nutzen, interpretieren, um sie herumschreiben. Ignorieren darf er sie nicht, weshalb von Anfang an klar ist, welches Ende Ben Siegel erwartet. Collins Verdienst liegt in seinem Bemühen, nicht einfach ein knalliges Gangster-Garn zu spinnen, sondern die geschilderten Ereignisse in ein historisches Gesamtbild einzubetten. Dies gelingt nicht immer; manchmal dringt der didaktische Aspekt zu deutlich an die Oberfläche. Nichtsdestotrotz ist die Story spannend, sind Lokal- und Zeitkolorit dicht und betörend. Drastik und Tragik halten sich die Waage. Am Ende ist es Nate Heller, der buchstäblich mit einem blauen Auge, aber emotional angeschlagen davonkommt. Seine Illusionen hat er längst verloren, sein Schicksal ist es, dass stets jemand auf der Strecke bleibt, der und vor allem die ihm etwas bedeutet.
Fazit
Zum vierten Mal lässt Autor Collins seinen Serienhelden Nate Heller in gefährlich engen Kontakt mit dem organisierten Verbrechen geraten. Schlüssig und spannend werden Fiktion und historische Realität zu einem weiteren Kapitel von Collins ‚inoffizieller‘ US-Unterweltgeschichte verknüpft.
Max Allan Collins, Bastei Lübbe
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