Aufruhr in Oxford
- Christian Wegner
- Erschienen: Januar 1937
- 22
- London: Victor Gollancz, 1935, Titel: 'Gaudy Night', Originalsprache
- Hamburg: Christian Wegner, 1937, Seiten: 531, Übersetzt: Marianne von Schön
- Zürich: Fretz & Wasmuth, 1952, Seiten: 471
- Frankfurt am Main: Ullstein, 1960, Seiten: 366
- Tübingen: Wunderlich, 1972, Seiten: 471
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1974, Seiten: 396
- Tübingen: Wunderlich, 1981, Seiten: 623, Übersetzt: Otto Bayer
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1983, Seiten: 468, Übersetzt: Otto Bayer
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2000, Seiten: 468, Übersetzt: Otto Bayer
Weit mehr als eine reine Detektivgeschichte.
Alles nimmt seinen Anfang, als die Kriminalautorin Harriet Vane zur Jahresfeier des Shrewsbury College nach Oxford zurückkehrt. Es ist bereits Jahre her, dass sie hier ihren Abschluss machte. Dennoch wird die von allen geschätzte ehemalige Absolventin nicht nur herzlich willkommen geheißen, sondern einige Wochen später sogar dringend benötigt. Am Frauencollege geschehen seit längerem merkwürdige Dinge: Studentinnen wie Lehrpersonal erhalten Drohbriefe, obszöne Zeichnungen tauchen auf, Talare werden verbrannt und Manuskripte zerstört. Selbst Harriet hat bereits damit Erfahrung gemacht. Im Auftrag der Rektorin soll sie sich als Fachfrau in Sachen Kriminalistik auf die Suche nach dem Täter machen. Aber unter keinen Umständen darf das mysteriöse Treiben am College öffentlich werden.
Während Harriet recherchiert und dem Täter immer näher zu kommen scheint, lässt sich dieser nicht von seinen Schandtaten abbringen. Als die Krimiautorin selbst nur knapp einem Mordanschlag entgeht, bleibt ihre keine andere Wahl, als den bekannten Amateurdetektiv und engen Freund Lord Peter Wimsey um Hilfe zu bitten.
Lady of Crime
Dorothy L. Sayers (1893 - 1957) war eine renommierte englische Krimiautorin, Dichterin, Dramatikerin, Essayistin, Übersetzerin und christliche Humanistin. Sie studierte auch klassische sowie moderne Sprachen und legte als eine der ersten Frauen an der Universität ihres Geburtsortes Oxford das Examen ab. Mit ihren mehr als zwanzig Detektivromanen, die scharfsinnige, einfühlsame Milieuschilderungen der 1920er- und 1930er-Jahre enthalten, schrieb sie nicht nur Literaturgeschichte, sondern begründete ihren Ruf als eine der besten Krimiautorinnen ihrer Zeit. Sie gehört neben Agatha Christie und P.D. James zur Trias der großen englischen „Ladies of Crime“ und zählt darüber hinaus zu den Gründungsmitgliedern des bekannten „Detection Club“, der Vereinigung zur Förderung des klassischen Kriminalromans. Sayers populärste Romanfigur ist die des eleganten, finanziell unabhängigen Lord Peter Wimsey, der aus moralischen Motiven heraus Verbrechen aufklärt. Dieser äußerst scharfsinnige Amateurdetektiv avancierte zu einem der populärsten Krimihelden des Jahrhunderts.
Neuauflage der Wimsey-Reihe
Seit 2020 legt der Verlag Rowohlt Wunderlich die bekannte Reihe um den „Gentleman detective“ Lord Peter Wimsey neu auf. Die von Otto Bayer (1937-2018) bereits in den 80er-Jahren übersetzten Romane erscheinen in einer wundervollen neuen Ausstattung. „Aufruhr in Oxford“ ist der zehnte von insgesamt elf Bänden, die Dorothy L. Sayers zwischen 1923 und 1937 schrieb. Hinzu kommen einige Kurzgeschichten über Lord Wimsey. 1998 wurde posthum ein zwölfter Roman nach einem unfertigen Manuskript veröffentlicht, der von der englischen Schriftstellerin Jill Paton Walsh vervollständigt wurde.
„Aufruhr in Oxford“ ist der dritte Band der Reihe, in dem die Krimiautorin Harriet Vane auftritt, in die Lord Peter Wimsey unglücklich verliebt ist. Auch wenn Harriet von dessen Art sehr angetan ist, kann sie sich - noch nicht - dazu durchringen, den Avancen nachzugeben und wohl möglich ihn zu heiraten. Dass Dorothy L. Sayers die Beziehung zwischen beiden ausgerechnet in diesem Roman zum Thema macht, ist kein Zufall. Im Mittelpunkt der Handlung steht - abseits der Kriminalgeschichte - die Rolle der emanzipierten Frau in der patriarchalischen Welt Englands Mitte der 30er-Jahre. Nicht ohne Grund spielt daher der Roman auch an einem (fiktiven) Oxforder Frauencollege.
Provokant und streitlustig
Wer „Aufruhr in Oxford“ liest, muss wissen, dass er es nicht nur mit einer Detektivgeschichte zu tun bekommt, denn mehr denn je ist die über 670 Seiten lange Erzählung auch ein Gesellschaftsroman. Darauf sollte man sich vor der Lektüre einstellen. Denn während die Suche nach dem Täter spannend erzählt und geschickt aufgebaut ist, nimmt sich die Autorin auch immer wieder Zeit, gesellschaftlich und politisch relevante Themen durch ihre Figuren erörtern zu lassen. Wer sich darauf einlässt, der gewinnt ein vielschichtiges Bild der damaligen Zeit. Dabei geht es konkret um die (klassische) Rolle der Frau in der Gesellschaft. Sayers zeigt ein modernes Bild von dieser und deren Wertigkeit. Selbstbestimmung, Wertschätzung und Gleichberechtigung der Frau - vor allem bezogen auf das Feld der Arbeit - sind ebenso Thema im Roman wie die zentrale Frage, ob Frauen ein Leben haben können, das sie intellektuell und gleichzeitig emotional erfüllt. Hierüber wird selbst unter dem führenden weiblichen Lehrpersonal im Roman heftigst diskutiert.
Intertextualität und Metaebene
Der Roman besticht nicht nur mit der für Sayers typischen Intertextualität, sondern auch mit einer interessanten Meta-Ebene: Während Harriet versucht, das Verbrechen aufzuklären und darüber hinaus mit ihren Gefühlen Wimsey gegenüber ringt, ist sie gleichzeitig bemüht, mehr Realismus und Gegenwartsbezug in ihre eigenen Kriminalromane einzubringen, an denen sie am Shrewsbury College auch schreibt. Gleiches galt damals auch für die Autorin selbst. „Du hast noch nicht das Buch geschrieben, das du schreiben könntest, wenn du es versuchtest“, sagt Wimsey an einer Stelle des Romans zu Harriet. „Und du wirst keine Ruhe haben, bis du es tust.“ „Aufruhr in Oxford“ ist in gewisser Weise auch Sayers' eigener Versuch, ihr Potenzial als Schriftstellerin auszuschöpfen. Das Ergebnis ist auf jeden Fall bemerkenswert modern, streitlustig und zutiefst bewegend.
Fazit
„Aufruhr in Oxford“ ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnlicher Detektivroman. Wahrscheinlich ist er sogar Sayers persönlichstes Werk, das sicherlich prägend für den feministischen Kriminalroman war. Auf jeden Fall stellt er die ganze Klasse dieser außergewöhnlichen Autorin unter Beweis, die leider nicht mehr die Wertschätzung erhält, die sie verdient hätte. Dorothy L. Sayers' Kriminalromanen sind auch nach 100 Jahren mehr als lesenswert.
Dorothy L. Sayers, Christian Wegner
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