Schmutzige Hände
- Folio
- Erschienen: Januar 2011
- 3
- Turin: Einaudi, 2007, Titel: 'Nelle mani giuste', Seiten: 340, Originalsprache
- Wien: Folio, 2011, Seiten: 400, Übersetzt: Karin Fleischanderl
Eine Hand wäscht die andere
...oder "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing" oder "Ein Rabe hackt dem anderen kein Auge aus" - es gibt viele Sprichwörter, die sich im weitesten Sinne auf Korruption, Bestechlichkeit, Bestechung oder Vetternwirtschaft beziehen. Privatwirtschaftliche Lobbyisten schmieren das Getriebe der politischen Entscheidungsträger. Das gilt überall – ob in Italien oder bei uns in Deutschland. Auf lokaler Ebene hat es hier bei uns der berüchtigte "Kölner Klüngel" zu trauriger Berühmtheit gebracht. "Roter Filz" - "Schwarzer Filz" - Filzokratie hat alle Farben und bezieht sich sowohl auf Einzelpersonen als auch auf Parteien. Wenn ein westergewellter Politiker für ein knapp zweistündiges Blabla vor Wirtschaftsbossen und Bankern ein Honorar kassiert, das dem Jahreseinkommen eines Hartz IV- Empfängers entspricht, ist das nicht eine angemessene Dotierung seiner Leistung, sondern ein Akt der Korrumpierung. Wenn die "Grüne Partei" das basisdemokratische Korrektiv der Rotation aufgibt, ist das kein Zeichen von politischer Vernunft, sondern der erste Schritt in Richtung Korrumpierbarkeit.
Eingedenk dessen sollten wir nicht über unsere italienischen Nachbarn die Nase rümpfen, deren Ministerpräsident sich selbstherrlich wie ein zweiter Nero gebärdet, der unter dem begründeten Verdacht steht, mit der Mafia paktiert zu haben. In Italien liegen anscheinend nur die Verstrickungen von Privatinteressen und Politik offener, obwohl man mit Sicherheit auch hier nur die Spitzen der Eisberge sieht. Einer, der tief hinab getaucht ist, um die wahren Ausmaße der Korruption zu beleuchten, ist Giancarlo de Cataldo. In seinem zweiten auf Deutsch erschienenen Roman Schmutzige Hände setzt er seine spezielle Aufarbeitung der italienischen Nachkriegsgeschichte fort. In Romanzo Criminale schrieb er über die 1970/80er Jahre , in dem er sich exemplarisch mit dem Aufstieg und Fall der Magliana-Bande beschäftigte – ein abgründiger Thriller über den brutalen Alltag der Bandenkriminalität mit vielen realen Bezügen.
Schmutzige Hände spielt nun Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Der deutsche Titel ist gut gewählt, da es in besagter Zeit Untersuchungen der italienischen Jurisdiktion gegeben hat, die unter dem Namen Mani pulite (Saubere Hände) bekannt geworden sind. Auf richterlichen Anordnung konnten zwar Amtsmissbrauch, Korruption und illegale Parteifinanzierungen aufgedeckt werden, aber gefruchtet hat es letztendlich doch nicht. Die Parteienlandschaft veränderte sich. Italien stand vor einem großen politischen Umbruch, weil auch das Wahlrecht geändert werden sollte. Es war eine Zeit der Neuorientierung für die offizielle Politik, aber auch für die Mächte, die im Hintergrund die Fäden zogen. Für diese galt ein Zauberwort: die Convenienza – eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung nach dem Motto: Wie viel Schaden kann ich hinnehmen oder anrichten, auf dass es sich für alle Beteiligten noch rechnet. Von diesem Balanceakt erzählt Schmutzige Hände.
Nicola Scialoja, den wir in Romanzo Criminale als kleinen Kripo-Beamten kennengelernt haben, ist in der Hierarchie aufgestiegen. Dank seiner früh erworbenen Verbindungen und seinem guten Verhältnis zum altgedienten Geheimdienstmann und Logenmitglied Vecchio hat er eine machtvolle Stellung zwischen den Fronten bezogen. Als Mittler und Initiator versucht er, auf die politischen Entwicklungen Einfluss zu nehmen. Das ist alles andere als eine leichte Aufgabe, da das Spektrum seiner Verhandlungspartner von ultraharten Mafiabossen bis zu orthodoxen Kommunisten reicht. Alle wollen ihr Schäflein ins Trockene bringen, deshalb wird mit harten Bandagen gekämpft. Zu Vecchios Erbe gehörte auch ein ganzes Archiv an Belastungsmaterial, das Scialojas Position unangreifbar macht, aber in seiner allernächsten Nähe befindet sich eine Spionin wider Willen, die ihn zu Fall bringen könnte. Politik ist ein schmutziges Geschäft. Auch wenn viele ihre Hände in Unschuld waschen, sauberer werden sie dadurch nicht.
Im Vergleich zu Romanzo Criminale hat Gianluca de Cataldo seine Schmutzige Hände viel individueller, emotionaler gestaltet, indem er Einzelschicksale in den Vordergrund stellt und auch das weibliche Element stärker betont. Politik ist gerade in Italien ein reines Männergeschäft. Frauen treten meist nur als Ehefrauen, Freundinnen oder Geliebte auf. Dass sie dennoch großen Einfluss auf Entscheidungen ausüben und prinzipiell viel flexibler sind als die Betonköpfe, zeigt der Autor am Beispiel der Mailänder Unternehmerfamilie Donatoni. Maya Donatoni ist die Erbin des Unternehmens, aber nur für repräsentative Aufgaben zuständig. Ihr Ehemann ist der große Macher, der letztendlich an seinen Mafia-Connections scheitert. Maya hingegen gelingt es dann mit dem Mut zur Wahrheit, das zu retten, was noch zu retten ist.
Große Politik, Unternehmenspolitik, aber auch den kleinen Leuten, die als Zuarbeiter unverzichtbar sind, deren Loyalität manch Großen vor dem Fall bewahrt, schenkt de Cataldo mehr Aufmerksamkeit. Da ist Pino Marino zu nennen, der schon als Kind von der Mafia rekrutiert wurde, der nun als Spitzel und Bombenleger tätig ist. Als er die drogensüchtige Valeria kennenlernt, muss er für sich feststellen, dass Leben bewahren weitaus erfüllender ist als es zu nehmen, aber in seinem Umfeld noch gefährlicher.
Schmutzige Hände ist vom Umfang her schmaler und auch weniger komplex als sein Vorgänger. Das macht ihn für einen Laien in italienischer Politik zugänglicher. Durch die Akzentuierung der Einzelschicksale ist es auch viel spannender geworden. Aber Politik ist der Dreh- und Angelpunkt und man wird inspiriert, das eine oder andere nachzulesen. So erfährt man, dass genau in dieser Zeit der Bunga-Bunga-Mann die politische Bühne betreten hat. Italienische Realpolitik ist Thriller ohne Ende.
Giancarlo de Cataldo, Folio
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