Wo die Löwen weinen
- Piper
- Erschienen: Januar 2012
- 2
- Stuttgart: Konrad Theiss, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Heinrich Steinfest
- München: Piper, 2012, Seiten: 320
Politik, Philosophie und ein Hochseilartist
Am Ufer der Isar wird ein Jugendlicher von einer fünfköpfigen Türken-Gang ausgezogen und gedemütigt. Eigentlich kein Fall für die Mordkommission, aber dennoch landet der Fall bei Kommissar Rosenblüt. Und der ist nicht amüsiert, dass ihn eine Spur in seine Heimatstadt Stuttgart führt, die er vor Jahren zwangsweise verlassen hat. Dort betätigt sich Hans Tobik, 62 Jahre alt und Bezieher von Arbeitsunfähigkeitsrente, als selbst ernannter Stadt-Forscher. Der frühere Sozialdemokrat ist von der Politik total enttäuscht, schließt sich dem Widerstand gegen Stuttgart 21 an und will den Pressesprecher – ebenfalls Mitglied der SPD - des umstrittenen Bahnprojekts erschießen. Außerdem ist der Archäologe Wolf Mach in die Landeshauptstadt geholt worden, um einen urzeitlichen Mechanismus unter dem Schloßgarten zu entschlüsseln und dabei zu helfen, ihn von der Stelle zu bewegen. Rosenblüt findet bei seinen Recherchen etliche Quer-Verbindungen, auch zur Aktion der jungen Türken am Isar-Ufer - und steckt plötzlich mitten in einem Fall, dessen Zusammenhänge und Dimensionen sich dem Ermittler erst langsam und nach zäher Ermittlungsarbeit erschließen.
Der neue Roman von Heinrich Steinfest lässt sich nur schwierig einordnen und beschreiben, denn er ist ganz viel – mehrere Bücher in einem , gewissermaßen. Wo die Löwen weinen ist ein Polit-Thriller, ein höchst philosophisches Buch voller Lebensweisheiten, aber eben auch ein Kriminalroman. Welche der Eigenschaften man als dominant ansieht, ist dann wohl dem persönlichen Geschmack des Lesers überlassen. Auf jeden Fall ist der Roman ein wirklich lesenswertes Buch, und man kann es nicht mal so eben mit "weglesen", wie manch leichte Kost. Vielmehr muss man sich als Leser auf dieses Buch und seine zuweilen ausschweifenden Gedankenflüge zunächst einmal einlassen, es konzentriert lesen – vielleicht sogar zweimal. Denn Steinfest hat hier neben ausführlichen philosophischen Erörterungen auch ein politisches Statement eingebaut. Und es dürfte nicht überraschen, dass es gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt ausfällt, schließlich ist Steinfest ein bekennender Gegner von Stuttgart 21. In seinem Nachwort räumt der Autor dann auch ein, dass es ihm nicht wirklich um Objektivität ging, sondern er steht zu seiner offensichtlichen Einseitigkeit. Aber das sei unvermeidlich gewesen, denn bei intensiver Suche habe er nun mal keine sympathischen Befürworter von Stuttgart 21 gefunden.
Heinrich Steinfest schweift in diesem Roman ganz gerne von der Realität ab, baut reichlich satirische Elemente ein. Sein Bemühen, nicht doch noch ein Sachbuch zu schreiben, ist zuweilen spürbar, wenn er sich bemüht, die Realität ausreichend zu verfremden. Der Autor schildert gewohnt wortgewaltig und bildhaft seine Geschichte – und hat damit den ersten Kriminalroman zu Stuttgart 21 auf den Markt gebracht. Abgesehen von der immensen Aktualität gelingt es Steinfest auch noch, Spannung aufzubauen, obwohl außer der Drangsalierung des Jugendlichen an der Isar zunächst kein strafwürdiges Verbrechen geschieht.
Aber die zuweilen skurril anmutende Ermittlungsarbeit seines Kommissars fasziniert den Leser von Beginn an, die geistreichen Exkurse und Abschweifungen in der Handlung sind so formuliert, dass man einfach am Ball bleiben will. Der Autor lässt seine Figuren scharf und prägnant formulieren, und so bleibt kein Zweifel daran, dass auch Steinfest die in Angriff genommene Veränderung der Landeshauptstadt konsequent ablehnt. Und so lässt er in seinem Buch den Satz raus, der es auf den Punkt bringt. Steinfest schreibt, es ginge nicht darum, den Stuttgarter Bahnhof unter die Erde zu bringen, sondern so viel Geld wie möglich. Offener kann ein Romanautor seinen politischen Standpunkt kaum formulieren.
Jenseits der philosophischen und politischen Ergüsse bereiten die Protagonisten des Romans auch noch reichlich Lesevergnügen. Der Kommissar ist ein skurriler Typ, der seine Heimatstadt liebt, aber nicht die dort herrschenden Verhältnisse. Er hat einen Fund-Hund an seiner Seite, der zuweilen eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt. Aber auch Mach und Tobik sind ungewöhnliche Figuren – ich kann und will aber nicht zu viel über sie verraten, weil sonst so manche Überraschung im Buch dahin wäre. Wer Wo die Löwen weinen lesen möchte, darf nicht zu viel Action erwarten, aber der Leser kann sich darauf verlassen, dass er ein geistreiches und spannendes Buch zur Hand nimmt. Und selbst wenn man sich bisher kaum für die Streiterei um den Stuttgarter Bahnhof interessiert hat – nach der Lektüre wird es definitiv anders sein.
Heinrich Steinfest, Piper
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