Purpurdrache
- Droemer Knaur
- Erschienen: Januar 2010
- 1
- München: Droemer Knaur, 2010, Seiten: 350, Originalsprache
Zu viele Baustellen!
Sie heißt Alexandra Gräfin von Stietencron und wer denkt, dieser Name sei ein Fake, der irrt. Es gibt sie wirklich die von Stietencrons. Alexandra, von allen kurz Alex genannt, ist studierte Polizistin. Nach drei Jahren Polizei-Akademie, ein bisschen Medizin und einem Abschluss in Psychologie ist sie der Kripo in Lemfeld, einem fiktiven Städtchen im Münsterland, zugeordnet. Im Rahmen eines Pilotprojektes möchte sie ihr theoretischen Wissen in die Praxis umsetzen. Doch der raue Polizei-Alltag bettet niemanden auf Rosen. Schon bei ihrem ersten Fall stellen sich mehr Fettnäpfchen auf, als ihr lieb sind. Da sie aber ein respektables Persönchen ist, drücken die altgedienten Kollegen schon mal beide Augen zu.
Ähnlich wie seiner Protagonistin geht es auch dem Autor Sven Koch bei seinem ersten Thriller – das Sujet steckt voller Tücken. Thriller-Autoren scheinen sich ja mehr Freiheiten erlauben zu dürfen, wie namhafte Kollegen ständig beweisen, doch grundsätzliche Regeln der Logik oder der Wahrscheinlichkeit sollten schon beachtet werden. Wenn Tatort-Analysen ein wichtiger Bestandteil eines Thrillers sind, müssen sie schon einigermaßen korrekt dargestellt werden und sollten nicht für billige Showeffekten missbraucht werden. Ein Beispiel: Die in einem Kornfeld drapierte Leiche einer jungen Frau gerät in den Messerbalken eines Mähdreschers. Das Blut spritzt meterhoch, nur ist die Dame schon seit Stunden tot und völlig ausgeblutet, wie man später feststellen wird. Der Mähdrescher hat nicht nur die Leiche, sondern auch den Tatort zerstört, doch unsere Alexandra von Naseweis sieht sofort, dass die Frau nur das Opfer eines Ritualmörders sein kann. Diese Erkenntnis teilt sie brühwarm den auf dem Tatort herum latschenden Reportern mit. Bei soviel Unsinn in ein einzigen Szene weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Aber der Reihe nach...
Der Thriller beginnt – ganz wie sich das gehört – mit einem Paukenschlag: Geiselnahme in einem Kindergarten. Ein offensichtlich geistesgestörter Mann, bewaffnet mit einer Erbsenpistole, die Taschen voller Sp... nein, nein, nicht Sprengstoff, sondern Spielzeug, hat sich in einem vollbesetzten Kindergarten verschanzt und verlangt, dass ein von ihm verfasstes Pamphlet der Öffentlichkeit kundgetan wird. Diese Aufgabe kann natürlich nicht irgendwer übernehmen. Es muss schon der bekannte Polizeireporter Marlon Kraft sein, der Geiselnehmer ist schließlich Krimifan. Kraft übernimmt das gerne, sieht er doch die Chance, sich ins Rampenlicht und die Schlagzeilen zu rücken. Eine Unbedachtsamkeit seinerseits lässt die Finger der Scharfschützen zucken. Er und der Geiselnehmer werden leicht verletzt. Un Schicht is!
Es gehört schon viel dazu, eine solche Szene so spannungslos zu erzählen, dass sie eigentlich nur lächerlich wirkt. Man fragt sich als Leser, was das Ganze soll. Wichtig ist festzuhalten, dass der Geiselnehmer ein T-Shirt mit einem Drachen trägt und dass Marlon Kraft ein posttraumatisches Stresssyndrom entwickelt, dass er deshalb eine Therapie machen und ominöse Tabletten schlucken muss.
Drei Jahre später. Bauer Kröger tuckert auf seinem Mähdrescher. Es kommt, wie oben angesprochen, zum ersten Leichenfund. Alexandras Prophetie wird sich bewahrheiten; es werden weitere Opfer folgen, die alle mit schwerdeutbaren Zeichen aus der westlichen und/oder östlichen Astrologie signiert sind, und zudem irgendwie mit Marlon Kraft verbandelt waren. Es beginnt eine Zeit des Suchens und Zweifelns. Alexandra zweifelt an sich, an ihren Fähigkeiten, an der Schuld oder Unschuld des Herrn Kraft. Dieser wiederum zweifelt an seinem Gedächtnis und ist verzweifelt über seine Situation. Der Leser verzweifelt an diesem Plot.
Unter anderen Umständen hätte der Rezensent das Buch nach einem Drittel zugeklappt, aber die Hoffnung stirbt bekannterweise zuletzt. Und tatsächlich, ab der Mitte wird es dann besser und es steht außer Frage, dass in diesem Plot viel Arbeit steckt. Vielleicht ist es gerade das: viel gewollt, aber im Detail zu ungenau. Viele Spuren gelegt, einen Nebenstrang entwickelt – alles, um die/den Täter zu verschleiern, trotzdem ist die Lösung viel zu früh erkennbar. Über die der Taten zugrundeliegenden Motive könnte man weidlich diskutieren, was hier leider nicht geht.
Wenn man die danksagenden Worte des Autors richtig interpretiert, kann es ein Wiedersehen mit Alexandra Gräfin von Stietencron geben. Sie ist auf jeden Fall die einzige, die man in Erinnerung behält, nicht nur wegen ihres ausgefallenen Namens. Ihre kleine Rebellion gegen das adlige Elternhaus ist dank der Weitsicht des treusorgenden Vaters noch einmal gut ausgegangen.
Es wäre ihr zu wünschen, dass ihr nächster Fall weit weniger kompliziert ausfallen würde, dann gäbe es auch nicht so viele Baustellen zu bearbeiten.
Sven Koch, Droemer Knaur
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