Der Genius-Code
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2010
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- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2010, Seiten: 591, Übersetzt: Maike Dörries & Günther Frauenlob
Ein Zwischenspiel
Eine der meist gestellten Fragen auf der Krimi-Couch ist, ob es ratsam sei, eine Krimi-Serie in der chronologischen Reihenfolge zu lesen oder, ob man auch quer einsteigen könne. Die Antwort ist immer dieselbe: beides ist möglich. Fast alle Folgen einer Serie sind in sich abgeschlossen, will man aber die kontinuierliche Entwicklung der Serienfiguren genauer verfolgen, ist es natürlich sinnvoll, mit Band eins zu beginnen.
Bei Kurt Austs bisher erschienenen Krimis Die Bruderschaft der Unsichtbaren und Der Genius-Code ist das sogar dringend erforderlich. Ohne Teil eins ist Teil zwei nicht zu verstehen.
Der Genius-Code spielt zwar anderthalb Jahre nach Die Bruderschaft der Unsichtbaren , auch wird die Suche des Protagonisten Even Vik nach den geheimnisvollen Unsichtbaren fortgesetzt, doch beziehen sich die aktuellen Ermittlungen zu sehr auf die Geschehnisse der Vergangenheit. Selbst als Kundiger sieht man sich gezwungen, einige Stellen und Personen zu rekapitulieren, zumal der Autor zwischen dem Debüt und der Fortsetzung drei Jahre hat verstreichen lassen, was man keinem Autor grundsätzlich vorwerfen sollte. Trotz aller erkennbarer Sorgfalt kann Der Genius-Code in Sachen Spannung leider nicht an seinen Vorgänger anknüpfen.
Blieben am Ende von Die Bruderschaft der Unsichtbaren viele Fragen offen, was ja eine Fortsetzung vermuten ließ, endet Der Genius-Code nach 600 Seiten ziemlich abrupt, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich um eine Trilogie handelt. Hier wäre ein Hinweis vom Verlag ganz sinnvoll gewesen.
Der Genius-Code ist ein Verschwörungsroman der intelligenten Art, in dessen Mittelpunkt immer noch das Leben und Schaffen des genialen Physikers, Mathematikers und Philosophen Isaak Newton steht. Für den Helden der Geschichte, dem Mathematik-Professor und Kryptologen Even Vik ist Newton ein leuchtendes Vorbild wegen ihres gemeinsamen Interesses an den genannten Disziplinen. Diese Leidenschaft ist für ihn verstärkt, ja gerade zur Pflicht geworden durch die Arbeit seiner ehemaligen Frau Mai-Britt, die sich als Historikerin ausführlich mit Isaak Newton beschäftigt hatte, die eben durch diese Forschung erst auf die Die Bruderschaft der Unsichtbaren gestoßen ist oder andersherum deren Aufmerksamkeit erregt hatte.
Zum Auftakt von Die Bruderschaft der Unsichtbaren beging Mai-Britt einen spektakulären Selbstmord, infolgedessen Even Vik auf die Spur von Newtons Vermächtnis – der schwer deutbaren Schrift: "Via vitae aeternae"- gekommen ist. Nun ist er auf sich allein gestellt, des Rätsels Lösung zu finden, und er steht unter Erfolgsdruck, da die unbekannten Nachfahren der schon zu Newtons Zeiten operierenden Bruderschaft in den Schaltstellen der Macht zu finden sind und ständig mit einer Entführung von Evens Sohn Stig drohen. Wiedermal muss Even durch halb Europa reisen, um Newtons "Weg zum Ewigen Leben" zu entschlüsseln. Er wird dabei von Aloysia La Tour, der Witwe eines Informanten unterstützt. Doch der Feind scheint übermächtig und allgegenwärtig zu sein, verfügt er nicht nur über allerneustes Spionage-Equipment, sondern auch über Helfershelfer in allen Teilen Europas.
Der zweite Teil der "Bruderschafts-Verschwörung" ist ganz entschieden zu lang geraten. Mal abgesehen von der Eingangsszene und dem kleinen Showdown, dessen Ausgang nicht schwer zu erraten war, gibt es zu wenig direkte Konfrontation zwischen den Protagonisten (Even/Aloysia) und der Bruderschaft. Ein bisschen mehr Action hätte dem Handlungsablauf gut getan. Die romaneske Biographie Newtons, die eingestreuten Zahlenspielereien oder ein Exkurs über die Akustik eines Opernhauses sind zwar interessant und unterhaltsam, verhindern aber durch ihren Umfang einen kontinuierlichen Spannungsaufbau. Dem Etikett Thriller wird Der Genius-Code nicht gerecht. Die gleichen Zutaten, die den ersten Teil zu einem abwechslungsreichen, intelligent aufgebauten Plot schmiedeten, haben nun eine gegenteilige Wirkung. Es ist wohl alles eine Frage der Dosierung.
Wem Die Bruderschaft der Unsichtbaren gefallen hat, der wird oder kann mit Der Genius-Code gerne fortfahren, ohne an ihn allzu große Erwartungen zu knüpfen, ihn als Zwischenspiel betrachten, denn die Identität und die Absichten der Unsichtbaren sind noch immer nicht aufgedeckt. Es bleibt zu hoffen, dass man nicht noch einmal drei Jahre auf ein Finale warten muss – das würde die Geduld der Leser überstrapazieren.
Kurt Aust, Rowohlt
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