Allmen und die Libellen

  • Diogenes
  • Erschienen: Januar 2011
  • 13
  • Zürich: Diogenes, 2011, Seiten: 194, Originalsprache
Allmen und die Libellen
Allmen und die Libellen
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Lutz Vogelsang
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2010

Vom Sein und Schein

Johann Friedrich von Allmen, kurz Allmen, ist ein Mann mit zwei Gesichtern. Obwohl sein Vater einfachen Verhältnissen entstammt und seinen Sohn eigentlich Hans-Fritz genannt hat, konnte er ihm – durch Immobilienspekulationen zu bemerkenswertem Wohlstand gekommen – doch ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Sein Erbe und seine gute Erziehung ermöglichen es Allmen, elegant auf dem Parkett der Züricher High-Society mitzutanzen. Dumm nur, dass er das feine Gespür für finanziell lukrative Geschäfte nicht von seinem Vater geerbt hat. Arbeit im klassischen Sinn ist ohnehin unter seiner Würde. Und so kommt es, dass vom ehemals blühenden Familienimperium nur noch die Fassade steht. Und selbst die beginnt zu bröckeln.

Allmens größte Aufgabe ist es, den großbürgerlichen Schein zu wahren. Wen kümmert es, dass der guatemaltekische Butler Carlos, den er schon lange nicht mehr bezahlen kann, nur noch Arme-Leute-Essen serviert, wenn man in der Öffentlichkeit auch mal mehrere tausend Franken in einem Restaurant lassen kann? Wen juckt es, dass das Familienanwesen längst verkauft werden musste, wenn man weiterhin das umgebaute Gewächshaus (umsonst!) bewohnen kann? Solange das Klingelschild noch seinen Namen trägt, und die feine Gesellschaft von seinem bescheidenen Quartier keinen Wind bekommt, hat Allmen wichtigere Probleme. Zum Beispiel Schulden. Für Allmen zählt nur das Wahren seines guten Rufes. Daher investiert er auch sein Geld, wenn er zu welchem kommt, vorzugsweise in das Aufpolieren seines Ansehens, sprich: in seine Kreditwürdigkeit. Leider hat seine Taktik zumindest bei dem grobschlächtigem Antiquitätengroßhändler Dörig keinen Erfolg, der Allmen mit seiner Forderung über 12,500 Franken mächtig auf die Pelle rückt.

Mit der Beschreibung seines Protagonisten hat Martin Suter eine ausnehmend charmante Figur geschaffen: einen eleganten Hochstapler, der mit dem bauernschlauen und treu ergebenen Butler Carlos einen interessanten Gegenpart hat. Leider hat man das Gefühl, dass man viele der Personen bereits aus anderen Suter-Romanen kennt. In seinem Universum sind die Menschen selten das, was sie zu sein vorgeben. Sei es der Schriftsteller, der keiner ist in Lila Lila oder der doppelgesichtige Kunstexperte in Der letzte Weynfeldt. Gerade zu letztgenanntem Buch gibt es in Allmen und die Libellen einige Parallelen. Die eleganten Protagonisten beider Romane bewegen sich in der Kunstszene des Schweizer Großbürgertums, verkehren aber gleichzeitig mit halbseidenen Gestalten. Ihr Schicksal ist gleichermaßen an ein Kunstwerk gebunden. War es bei Adrian Weynfeldt noch ein Gemälde, so ist es bei Allmen ein Ensemble von Gallé-Schalen mit Libellenmotiven.

Diese entdeckt Allmen im Anwesen von Familie Hirt, deren durchtriebene Tochter Jojo er nicht nur in die Oper, sondern gleich ins Schlafzimmer begleitet hat. Er nutzt die Gelegenheit und stiehlt eine der Schalen. Nebenbei, nicht das erste mal, dass er zu solchen Maßnahmen greift, um an Stücke zu kommen, die er dem Antiquitätenhändler Tanner verkaufen kann. Dieser zeigt Interesse, auch die restlichen Schalen zu kaufen. Dumm nur, dass er vorher erschossen wird! Die Verwirrung um die Schalen wird komplett, als auch ein ehemaliger Schulkollege Allmens in die Sache verstrickt scheint.

Alles in allem ist Allmen und die Libellen wieder ein typischer Suter. Wer seinen nüchternen und präzisen Stil mag, kann getrost zugreifen. Das Ambiente des Romans stimmt. Leider gerät die Krimihandlung teilweise halbherzig bis platt. Vieles wirkt phasenweise arg konstruiert. Der alte Schulfreund, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht... die Fahrzeugkontrolle, in die man natürlich gerade dann gerät, wenn man Diebesgut nur halbherzig auf der Rückbank verstaut hat...das Versteck des Schatzes in genau dem Möbelstück, das später ungewollt abgeholt wird... das hat man alles schon tausendmal in Variationen gelesen und gesehen. Wie viele Film-Schießereien fallen Ihnen auf Anhieb ein, in denen sich der bereits tot Geglaubte aufrappelt und die Kugel aus einer Bibel klaubt, die er in der Innentasche hatte? Oder aus einem Amulett mit dem Bild seiner Verlobten, der Taschenuhr seines verstorbenen Großvaters? Bei Suter lernen sie eine neue Variante kennen.

Am Ende des Buches beschließen Allmen und sein Butler Carlos, eine Agentur zu gründen, die sich auf die Wiederbeschaffung verlorener Kunstgegenstände spezialisiert. Spätestens hier wird deutlich, dass Allmen und die Libellen den Auftakt einer Serie markiert. Eine Serie, auf die man sich durchaus freuen darf, sollte Suter etwas mehr auf die Glaubwürdigkeit seiner Fälle achten.

Allmen und die Libellen

Martin Suter, Diogenes

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