Der schnelle Tod
- Suhrkamp
- Erschienen: Januar 2011
- 2
- New York: Scribner, 2006, Titel: 'The dead yard', Seiten: 292, Originalsprache
- Berlin: Suhrkamp, 2011, Seiten: 500, Übersetzt: Kirsten Riesselmann
A Loaded Gun Won't Set You Free
We Knocked On the Doors Of Hell's Darker Chamber
Es gibt den schönen altertümlichen Begriff der "Räuberpistole" ("unglaubliche, haarsträubende Geschichte, die jemand als wahr präsentiert" - s. Wiktionary), ein Ausdruck, der gut auf Adrian McKintys Zweitwerk zutrifft.
Michael Forsythe hat seinen Rachefeldzug fünf Jahre zuvor halbwegs heil überstanden, wanderte danach ins Zeugenschutzprogramm des FBI und verhielt sich unauffällig. Bis er 1997 seinen Urlaub in Teneriffa antritt. Ganz schlechte Idee. Denn dort gerät Michael in die Kämpfe verfeindeter Hooligans und landet unversehens im Knast. Und somit in den Fängen des englischen Geheimdienstes MI6, dessen Agentin Samantha ihn derart unter Druck setzt, dass er einwilligt, sich als Spitzel in eine IRA-Splittergruppe namens "Söhne des Cuchulainn" einschleusen zu lassen. Die unter Verdacht steht , den erfolgversprechenden Waffenstillstand zwischen der britischen Regierung und der IRA mit Attentaten unterminieren zu wollen. Die Terrorzelle besteht zwar faktisch aus weniger als zehn Mitgliedern, unter der Leitung Gerry McCaghans und seiner rechten Hand Sicko McGuigan, besitzt aber finanzielle Ressourcen, ist skrupellos, fanatisch und gewaltversessen. Was Michael nicht nur am eigenen Leib erfahren wird. Wer Michael Forsythes Antrittsbesuch in den USA noch nicht vergessen hat, wird sich denken können, dass die ganze Aktion in einem mächtigen Desaster und gnadenloser Vergeltung enden wird.
Eine realistische Studie der politischen Verhältnisse und Verwicklungen des Nordirland-Konflikts darf man von Der schnelle Tod nicht erwarten. Stattdessen befindet man sich augenblicklich auf einem Sturzflug in den Schmelztiegel aus explodierender Gewalt und hoffnungsloser Liebe. McKinty ist ein eifriger Rezipient der Kulturgeschichte, sein Buch enthält wieder zahlreiche literarische Verweise (u.a. bekommen C.S. Lewis, W. B. Yeats und T .S. Eliot ihre Erwähnung) – und eher versteckt – filmische Anspielungen. Hier trifft Django auf Shakespeare und beide produzieren dass, was sie gut können: ein Blutbad.
Michael ist wieder ein Womanizer, der viel zu oft nicht mit seinem Kopf denkt. So lässt er sich nicht nur mit seiner Führungsagentin Samantha ein, sondern auch mit der jungen Kit, der Adoptivtochter Gerrys, die offiziell allerdings mit dem großmäuligen Surf-As Jackie O´Neill liiert ist, dem Lehrjungen Sickos. Dass er seinem Spitznamen alle Ehre macht, wird Michael zwar oft genug eingebläut, doch als er mit Sickos Gräueltaten erstmalig konfrontiert wird, trifft es ihn umso härter. Denn McKinty beherrscht einen Kniff: obwohl die "Söhne des Cuchulainn" allesamt Fanatiker und, insbesondere Sicko, durchgeknallte Psychopathen sind, werden sie keineswegs als abstoßende Ungeheuer gezeichnet. Was Michael an einem bestimmten Punkt zu der Annahme verleitet, er könne zumindest einen Teil der Gruppe retten.
Love Will Tear Us Apart
Wahr wie selten. Manche Bande sind stärker als Liebe, stärker als Vernunft. Der schnelle Tod lässt keinen Zweifel daran, dass der Kampf, den die Söhne und Töchter Cuchulainns führen, sich fast jeder rationalen Einordnung widersetzt. Michael Forsythe, der gefühlsduselige Pragmatiker zweifelt jedenfalls an der Zurechnungsfähigkeit seiner neuen Kumpane. Menschen, die weit von Irland entfernt, glücklich, zufrieden und reich leben könnten, reiben sich auf in einem Kampf, der eigentlich schon lange nicht mehr ihrer ist, und den sie auch nicht gewinnen können. Das einzige, was ihnen bleibt ist Tod und Zerstörung. Und da trifft plötzlich der permanente Überschwang, die atemberaubende Unrast doch auf einen Funken Nachdenklichkeit und bittere Realität. Denn Motivation und bedingungsloser Aktionismus bleiben glaubwürdig. Wir wissen nur zu gut, dass das richtige Leben weit brutaler, abgefeimter und irrationaler sein kann als seine fiktionale Bearbeitung. Daran ändert auch gelegentliches, kurzes Innehalten samt Kloß im Hals nichts. Es geht weiter wie zuvor.
Schlimmer. McKinty zeigt vor allem im Schlussdrittel, dass Töten ein hartes Geschäft ist. Bei ihm brechen keine Genicke wie Strohhalme, es ist einiges an Kraft, Aufwand und wiederholten Versuchen nötig, um einen lebenden Menschen in ein blutiges Stück Fleisch zu verwandeln. Dabei ist er stilsicher genug, derartige Passagen nicht zum sinnlosen Gemetzel verkommen zu lassen. Der Schmerz, den Gewalt erzeugt, sowohl bei Opfern wie bei manchem Täter, ist jederzeit evident während der graphisch detailliert beschriebenen Tötungsakte. McKinty betreibt keinen Torture Porn, bleibt geradezu dezent an Stellen, an denen es ausarten könnte, und erreicht dadurch umso größere Wirkung.
Ein wenig leidet der Roman unter seiner Vorhersehbarkeit. Wie sich Michaels Odyssee entwickeln wird, ist bereits nach wenigen Seiten relativ klar. McKinty bestärkt diesen Eindruck sogar noch, indem er gelegentlich kommende Ereignisse vorwegnimmt.
SPOILER-Warnung! Wer also trotzdem nach Überraschung giert, den nächsten Absatz bitte überspringen.
Yojimbo oder für eine Handvoll Dollar. Ob Toshiro Mifune, Clint Eastwood oder Michael Forsythe; irgendwann werden sie zum Opfer ihrer Infiltration. Und zum Punchingball. Überleben knapp, und dann – Showdown. Wie es Michael erwischt wird allerdings ziemlich eigenwillig eingefädelt. Doch jeder, der derartige Geschichten gelesen oder gesehen hat, wartet nur darauf, wann es passiert. Spät diesmal. Doch es passiert.
SPOILER-Ende
Der schnelle Tod ist Krawallliteratur der besseren Sorte. Räuberpistole mit Anspruch. Dunkel, heftig und von einer geradezu physischen Präsenz. Michael Forsythe, der sich benimmt wie Lee Childs Jack Reacher im Delirium, wird das Jahr 1997 überleben, soviel ist sicher. Denn im abschließenden Band der Trilogie wird es ihn ins neue Millennium verschlagen. Bis dahin sind die Toten begraben, die Wunden verheilt. Und Michael kann sich wieder mit Haut und Haaren der Liebe und dem Tod verschreiben. Ich habe einen Verdacht: Es wird böse enden. Fragt sich bloß für wen…
Adrian McKinty , Suhrkamp
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