Dunkles Blut

  • Manhattan
  • Erschienen: Januar 2011
  • 6
  • London: HarperCollins, 2010, Titel: 'Dark blood', Seiten: 469, Originalsprache
  • München: Manhattan, 2011, Seiten: 574, Übersetzt: Andreas Jäger
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2010

Die Welt wird höchstens grotesker statt besser

Detective Sergeant Logan McRae von der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen steckt noch tiefer im Dreck als sonst. Privat ist sein Alkoholkonsum so arg außer Kontrolle geraten, dass sich die Folgen auf seine Arbeit auswirken. McRae pöbelt Vorgesetzte wie Kollegen gleichermaßen an. Selbst seine unkonventionelle und belastbare Vorgesetzte Roberta Steel kann ihn nur noch mühsam vor längst fälligen Konsequenzen schützen.

Niemand weiß oder darf wissen, dass McRae seit einiger Zeit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat: Weil er legal seinem Intimfeind, dem Gangsterboss Malcolm "Malk the Knife" McLennan, nicht das Handwerk legen kann, versorgt er dessen Konkurrenten Wee Hamish Mowat mit Informationen. McRae hofft auf einen Gangsterkrieg. Stattdessen betrachtet Mowat ihn als Spitzel, bezahlt ihn neuerdings und bringt ihn dadurch erst recht in die Bredouille.

Um McRae ein wenig aus der Schusslinie zu nehmen, lässt ihn Steel ein Auge auf Richard Knox werfen. Der angeblich reuige und fromm gewordene Vergewaltiger hat sich nach Verbüßung seiner Haftstrafe in Aberdeen niedergelassen, wo er rund um die Uhr bewacht wird. Dass Knox über geheime und mächtige Verbündete verfügt, bleibt McRae verborgen, der von Steel zusätzlich auf die Suche nach ihrem Spitzel Steve Palmont geschickt wird, der seit einiger Zeit verschwunden ist. Palmont spionierte auf einer Baustelle, die zum Geschäftsimperium von McLennan gehört. Dort findet man ihn schließlich auch: unter einer meterdicken Betonplatte.

Mehrfach abgelenkt entgeht McRae, dass Knox unter Ausnutzung seiner Verbindungen einen Rachefeldzug gegen jene plant, die ihn hinter Gittern gebracht und drangsaliert haben; eine Liste, die stetig länger wird …

Spirale der irrwitzigen Gewalt

Die Welt ist schlecht, und in Schottland wird dies zusätzlich klimatisch durch allgegenwärtige Kälte und Dauerregen deutlich gemacht. Außerdem ist besagte Welt ein Irrenhaus, was nur scheinbar humorvoll durch die Beschreibung eines Polizeireviers vermittelt wird, das ausschließlich von desillusionierten Sonderlingen und karrieregeilen Dummköpfen bevölkert wird.

Auch im 6. Band seiner Logan-McRae-Serie hält Autor Stuart MacBride somit den eingeschlagenen Kurs ein. Während man ihm durchaus zutraute, ein weiteres Mal mit einem ebenso verzwickten wie spannenden Plot aufzuwarten, blieb abzuwarten, ob es ihm gelingen würde, den schmalen Grat zwischen Realität und Übertreibung zu meistern. Zu abgedreht schienen die schwarzhumorigen Späße der früheren Bände zu sein, um sie noch toppen oder wenigstens das Niveau halten zu können.

Aber MacBride kann sich abermals halten. Dunkles Blut ist ebenso düsteres Krimi-Drama wie Spiegelbild einer aus den Fugen geratenen Welt. Wie üblich zersplittert der Autor den Plot in Fragmente, deren Zusammenhänge sich erst allmählich erschließen. Hinzu kommt ein roter Faden, der sich über mehrere Bände erstreckt und deshalb vor allem denjenigen Lesern erschließt, die der Serie treu folgen. Seit Jahren kämpft Logan McRae nicht nur gegen seine privaten Dämonen, sondern auch gegen den Gangster "Malk the Knife", mit dem ihn eine seltsame Hassliebe verbindet. Aktuell kommt die Sorge um Steels Tochter, die ihre Existenz einer Samenspende McRaes verdankt: ein besonders aberwitziger Einfall des Verfassers.

Lachen, das im Hals steckenbleibt

Darüber hinaus konfrontiert uns MacBride mit dem Senioren-Vergewaltiger Richard Knox, der angeblich zu Gott gefunden hat. Geschickt verschleiert der Autor, dass diese Wendung nicht nur echt, sondern auch die Wurzel eines viel größeren Übels ist. Durch seine diversen Scharmützel ist Logan McRae leider so stark abgelenkt, dass er einen Psychologen überhört, der vor jenen Fanatikern warnt, die im selbst formulierten Auftrag eines missinterpretierten Gottes handeln.

Doch es gärt in der Unterwelt von Aberdeen, was McRae zum Teil entschuldigt. "Malk the Knife" versucht mit allen Mitteln die Ausdehnung seines Reviers. Er missachtet wissentlich das Territorium seines Rivalen Mowat, den das Alter nicht gebrochen, sondern höchstens härter gemacht hat. Normalerweise könnte McRae darauf warten, dass die beiden Bosse sich an die Gurgel springen, doch wieder einmal hat er sich selbst ein Bein gestellt, indem er die Rivalität durch einen allzu schlauen Plan zu intensivieren versuchte. Nun betrachtet ihn Mowat als ´seinen´ Polizisten – ein weiteres Problem, das McRae sein Dasein erschwert.

Er steckt ohnehin tiefer in Schwierigkeiten, als er sich selbst klarzumachen wagt. Der Leser amüsiert sich über die Wortgefechte mit Vorgesetzten und Kollegen. Sie zeigen freilich, dass McRae auf der Kippe steht: Aus dem unkonventionellen aber fähigen Polizisten mit heldenhafter Vergangenheit droht ein alkohol- und streitsüchtiger Sonderling zu werden, der mit mindestens einem Bein im Gefängnis steht. Mit dem ihm in dieser Hinsicht eigenen Talent steigert McRae seine Not, indem er einen Schläger verprügelt, der diese Schmach nicht auf sich beruhen lassen wird.

Kollegen kann man sich nicht aussuchen

"Dildo", "Bartgesicht Beattie" und "Biowaffen-Bob": Dies sind nur drei der seltsamen Gestalten, mit denen MacBride die engen und möglichst ungemütlichen Räume der Grampian Police bevölkert. Von oben werden sie getreten und durch absurde Vorschriften gegängelt, für moderne Ausrüstung ist kein Geld da, die Bevölkerung macht sich über sie lustig und wird von den Medien noch angestachelt. Der Ausnahmezustand ist längst Alltag geworden. Auf ihre Art versuchen die Beamten damit fertigzuwerden. Logan McRae ist keineswegs der einzige Exzentriker, den diese Situation hervorgebracht hat.

In einer globalisierten, von Profit- und Kostensenkungsdenken und dem organisierten Verbrechen dominierten Welt kämpft die Polizei auf verlorenem Posten. Nicht nur Dauerarbeitslose oder verarmte Rentner, sondern auch Handwerker oder Händler verdienen sich illegal etwas hinzu. Es wird geschmuggelt und gefälscht; sogar nachgeahmte Marken-Zahnpasta wird verhökert. Der Grampion Police gelingen selten und eigentlich sinnlose Erfolge.

Richard Knox gibt dem Chaos ein Gesicht. Verkehrte Welt: Als überführten Serien-Vergewaltiger behält man ihn nicht etwa in Sicherheitsverwahrung. Knox kehrt als freier Mann nach Aberdeen zurück, wo man ihn auf Kosten des Steuerzahlers rund um die Uhr betreuen, bewachen und vor dem wütenden Mob schützen muss, der ihn aus der Stadt treiben oder lynchen will.

Gerechtigkeit per Nachhilfe

Generell wirkt das System so erstarrt, dass Eigeninitiative gefragt ist, um den Alltag in Gang zu halten. McRaes Pakt mit Wee Mowat ist ein entsprechender, gefährlicher Versuch. Freilich legen alle auftretenden Polizisten die Dienstvorschriften großzügig aus. Der politisch korrekte Leser mag dies kritisch sehen. Allerdings wimmelt das Krimi-Genre seit jeher von Rechtsvertretern aller Art, die möglichst selbstständig ihren Jobs nachgehen.

MacBrides Weltsicht ist deprimierend aber konsequent. Also fällt das Happy-End aus. Doch nicht einmal ihre Teilsiege gönnt MacBride der Gerechtigkeit. Eine böse Coda konterkariert, was sich versöhnlich abzuzeichnen schien. Die Welt ist wie gesagt schlecht, aber es bleiben auch sonst mehr als genug lose Enden, die neugierig auf die Fortsetzung der Logan-McRae-Serie machen!

Dunkles Blut

Stuart MacBride, Manhattan

Dunkles Blut

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