Verfallen
- btb
- Erschienen: Januar 2011
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- Amsterdam: Anthos, 2010, Titel: 'Déjà vu', Seiten: 318, Originalsprache
- München: btb, 2011, Seiten: 400, Übersetzt: Stefanie Schäfer
Gekonntes Spiel mit der Phantasie
Nichts ist so, wie Eva sich das vorgestellt hat. Das Haus in Südfrankreich, von dem ihre langjährige Freundin Dianne ihr vorgeschwärmt hatte, entpuppt sich als verfallenes Anwesen. Von den angeblichen Freunden aus dem Dorf ist nichts zu sehen und Dianne selber scheint wie vom Erdboden verschluckt. Für Eva, die eben ihren Traumjob in der Redaktion einer kleinen niederländischen Zeitung verloren hat, bricht eine Welt zusammen. Denn nicht nur, dass ihr die Bevölkerung des Ortes mit unverhohlener Ablehnung begegnen, auch die Polizei will sich nicht um das Verschwinden ihrer Freundin kümmern. Je intensiver Eva nachforscht, desto größere Steine werden ihr in den Weg gelegt. Bis zu jenem Moment, in dem sie eine tote Katze vor der Haustüre findet und versteht, dass dies eine Drohung sein soll. Langsam begreift die Journalistin, dass sie sich in Lebensgefahr befindet. Doch sie will Dianne finden. Um jeden Preis.
Esther Verhoef spielt in ihrem jüngsten Thriller gekonnt mit den Emotionen der Leser. Durch einen äußerst geschickten Wechsel des Schauplatzes baut sie eine dichte Atmosphäre von Unbehagen und unterschwelliger Gewalt auf. Gewalt, die sich vordergründig gegen die neugierige Ausländerin Eva richtet, die beharrlich nach ihrer verschwundenen Freundin forscht. Diese verhaltene Gewalt könnte aber durchaus Grund für das unerklärliche Verschwinden Diannes sein. Mit der zaudernden und in Selbstmitleid schwimmenden Eva stellt die Autorin eine Protagonistin ins Zentrum des Geschehens, die über sich hinaus wachsen muss, um ihre kindlichen Verhaltensmuster abzulegen. Denn je mehr Eva in der Angelegenheit herum stochert, desto deutlicher wird ihr, wie weit sie sich von Dianne und deren Leben schon entfernt hat. Eva wird gezwungen, sich aus dem Schatten der stets stärkeren Freundin heraus zu bewegen und sich den Wahrheiten zu stellen, die nicht nur schmerzhaft sondern auch unangenehm sind.
Es ist aber nicht nur Eva, die sich einer Wirklichkeit stellen muss, die sich immer wieder in einem völlig anderen Licht präsentiert. Auch die Leser werden von der Autorin gefordert. Was haben die Ereignisse im Wald mit dem Verschwinden Diannes tatsächlich zu tun? Über weite Strecken hinweg glaubt der Leser, die Antwort zu kennen. Bis er eines Besseren belehrt wird und sich mit einer neuen Wirklichkeit konfrontiert sieht. Esther Verhoef hat Verfallen nicht nach dem Muster aufgebaut, bei dem die Antwort schon gegeben ist, bevor der Roman richtig beginnt. Sie verschiebt nach und nach das Blickfeld der Leser und schafft dadurch eine anhaltende Spannung. Erst unmittelbar vor der Auflösung sinkt die Spannung für einen Moment in sich zusammen – Eva wächst hier zu offensichtlich über sich hinaus, was zu einem Knick in der ansonsten sehr geradlinigen Erzählung führt. Leider mag man sich bis zuletzt nicht ganz von diesem Knick zu erholen, was dazu führt, dem Thriller mit eher gemischten Gefühlen gegenüber zu stehen.
Das Wortspiel im Romantitel könnte passender nicht sein. Einerseits trifft Eva nach ihrer 1300-Kilometer-Fahrt nicht auf die südfranzösische Idylle, wie von ihrer Freundin beschworen, sondern auf ein verfallenes Anwesen, im dem zwar Spuren auf die Existenz Diannes hindeuten, das aber weit entfernt von einem schmucken Heim ist. In kleinen Rückblenden erzählt Eva die Geschichte ihrer Freundschaft zu Dianne. Und lässt dabei keinen Zweifel aufkommen, dass sie die deutlich schwächere des Gespanns ist. Andererseits wird schon kurz nach dem Einstieg in den Thriller klar, dass es sich hier auch um eine obsessive Beziehungsgeschichte handelt.
Leider packt Esther Verhoef im Verlauf der Geschichte all jene Elemente rein, die man gemeinhin von einem Thriller erwartet. Leider deshalb, weil die Geschichte sich zunächst deutlich vom gängigen Muster unterscheidet und gerade dadurch einiges an Qualität mitbringt. Vieles davon geht durch die Rückkehr zu den typischen Thriller-Elementen wieder verloren. So bekommt man letztlich durchaus spannende Kost vorgesetzt, allerdings mit einer leicht versalzenen Note. Dass man Eva ihre Wandlung vom grauen Mäuschen zur unerschrockenen Heldin nicht abkaufen mag, tut ein Übriges, um den Thriller zu gutem Durchschnitt hinab zu stufen. Schade drum.Esther Verhoef, btb
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