Böse Dinge geschehen
- dtv
- Erschienen: Januar 2010
- 7
- New York: Amy Einhorn Books / G.P. Putnam’s Sons, 2009, Titel: 'Bad things happen', Seiten: 338, Originalsprache
- München: dtv, 2010, Seiten: 413, Übersetzt: Martin Ruben Becker
Mit spitzer Feder
Wir regen uns ja gerne über die manchmal recht seltsame Titelgestaltung der deutschen Verlage auf, die oft weder mit dem Originaltitel korrespondiert, noch einen inhaltlichen Bezug aufweist. Bei Böse Dinge geschehen handelt es sich tatsächlich mal um die genaue Übersetzung des Originaltitels Bad Things Happen, aber beide sind nicht besonders aussagekräftig oder attraktiv. Nimmt man die diesmal spartanische Covergestaltung aus der sonst sorgfältiger ausgestatteten dtv-Premium-Reihe hinzu, ist man eher geneigt, an dieser brillanten Krimi-Komödie vorbeizuschauen, zumal ausgerechnet Karin Slaughter, die eine verdammt gute Geschichte gelesen haben will, zitiert wird. Harry Dolan mag als Krimi-Autor ein Neuling sein, aber mit Sicherheit ist er ein begeisterter Krimileser, denn in seinem Debüt dreht sich alles um den Krimi. Kriminale, Kriminelle, Hobby-Kriminologen, Krimi-Autoren, Krimi-Verleger und Krimi-Leser – alle scheinen auf die eine oder andere Art versiert, wenn es darum geht, die bösen Dinge, die geschehen können, aufzuklären oder zu vertuschen. Dolan ist ein fulminanter Erstling gelungen, der mit Charme und viel Humor zu überzeugen weiß. Seine pointierten Dialoge rufen Erinnerungen an Gregory Macdonald, den Altmeister der Dialog-Kunst, oder an den trockenen Humor eines Elmore Leonard wach.
Harry Dolans Geschichte spielt in Ann Arbor, einem Universitäts- städtchen im Grüngürtel der Industriemetropole Detroit im US-Staat Michigan gelegen. Der studentisch geprägte Ort kann mit einer Besonderheit aufwarten, dem periodisch erscheinenden Kriminalmagazin "Gray Streets". Aus einer Studentenzeitschrift hat Verleger Tom Kristoll eine Zeitschrift entwickelt, die ihm landesweit Anerkennung gebracht hat. Sowohl namhaften Krimiautoren, aber bevorzugt noch unbekannten Newcomern bietet Tom die Möglichkeit, sich mit Kurzgeschichten einem geneigten Publikum vorzustellen. "Pläne gehen schief, böse Dinge geschehen, Leute sterben" - so der lakonische, wie programmatische Tenor von Toms Magazin.
Ein junger Mann, der sich David Loogan nennt, versucht sein Glück bei Tom mit immer wieder abgewandelten Versionen einer Kurzgeschichte. Das weckt Toms Neugier. Er veröffentlicht nicht Loogans Geschichte, sondern stellt ihn als Lektor an. Die beiden Männer freunden sich an. Eines schönen Abends bittet Tom seinen neuen Freund, ihm bei der Beseitigung einer Männerleiche zu helfen. Von der Geschichte, die Tom ihm auftischt, es handele sich um einen gerade aus dem Gefängnis entlassenen Einbrecher, glaubt Loogan kein Wort. Er, ein Mann mit Vergangenheit, lässt sich nicht hinters Licht führen, aber er hilft ihm natürlich. Alles scheint auch glatt gegangen zu sein, bis Tom Kristoll eine Woche später aus dem Fenster seines Büros im 5. Stock gestürzt wird. Die Ermittlerin Elizabeth Waishkey steht vor den Fragen: cherchez la femme, da Toms Frau Laura ein Verhältnis mit David Loogan hatte und auch Tom selbst nicht ganz ohne war, oder cherchez la monnaie, da mit Toms plötzlichem Ableben eine Geldspur zu enden scheint, in die vermutlich eine ganze Autorenclique verstrickt ist. Spätestens ab jetzt dreht sich das Karussell mit Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen, mit Vermutungen und Verdächtigungen immer schneller und der Leser muss Obacht geben, damit er den Überblick nicht verliert.
Nach einem etwas gequälten Intro schreibt sich Harry Dolan warm und brennt ein richtiges Feuerwerk an spritzigen Dialogen, Wortwitzen, Anspielungen und Zitaten ab, was dem Leser ein Dauerschmunzeln beschert. Schwerdeutbar ist schon allein der Name des Protagonisten "Loogan", von dem Waishkeys Kollege behauptet, kein Mensch im Staate Michigan hieße so und darauf verweist, dass in Raymond Chandlers Der große Schlaf der Ausdruck falle und einen "Rippenbohrer", also einen Gangster bezeichne. Im späteren Verlauf der Handlung nennt Loogan sich "Ted Carmady" nach einer anderen Figur aus Chandlers Kurzgeschichten. Ohne literarischen Bezug, aber ein Ausdruck ihrer Extravaganz sind die Namen der Krimi-Autoren, die für Toms Magazin schreiben: Nathan Hideaway, Bridget Shellcross, Sean Wrentmore und Casimir Hifflyn. Das klingt very british. So kauzig wie ihre Namen ist auch ihr Verhalten – geprägt von verdienten und unverdienten Eitelkeiten. Ihre ganze Welt ist der Kriminalroman. Dafür leben sie und manch einer muss sogar dafür sterben.
Auch wenn vieles in Harry Dolans Krimi mit einem Augenzwinkern versehen ist, liegt ihm doch ein spannender Plot zugrunde. Harry Dolan glänzt mit einigen überraschenden Wendungen, falschen Spuren und falschen Identitäten. Hierbei zeigt der Autor sich auch eher in der britischen Krimi-Tradition verwurzelt, was einen schönen Kontrapunkt zum amerikanisch geprägten Konversationston setzt.
Der undurchsichtige David Loogan, der zuerst aus Freundschaft, später dann aus Eigennutz nach dem Mörder von Tom sucht, weil er selbst unter Verdacht steht, entwickelt sich zu einem zweiten Ermittler, der der smarten Elizabeth Waishkey mit Rat und Tat zur Seite steht. Dass die beiden sich dabei auch privat näher kommen, war vorauszusehen. Sehr angenehm, dass die Beziehung sich nicht holterdipolter, wie sonst üblich, entwickelt. Da werden wir wohl bis zur Fortsetzung (Very Bad Men) warten müssen, die voraussichtlich im Juli 2011 in den USA veröffentlicht wird.
Also: Kaufen, lesen, schmunzeln, weitersagen, damit Harry Dolan kein Geheimtipp bleibt.
Harry Dolan, dtv
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