Alarm in Chinatown

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1988
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  • New York: Mysterious Press, 1986, Titel: 'Another part of the city', Seiten: 230, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1988, Seiten: 223, Übersetzt: Karin Weingart
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2024

Die Gier, der Zufall & die tödlichen Folgen.

New York City in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1986: Ralph D’Annunzio hat jeden Cent zusammengekratzt, um seinen Lebenstraum zu erfüllen. Erst vor wenigen Wochen konnte er ein italienisches Restaurant eröffnen. Sohn und Gattin arbeiten mit, weshalb sie Zeugen werden, als zwei mit Skimasken vermummte Männer das Lokal überfallen und Ralph mit vier Schüssen töten.

Der Fall geht an das für diesen Distrikt zuständige 5. Polizeirevier und dort an Detective Brian Reardon. Die Ermittlung ist schwierig, denn niemand hat die Mörder erkannt, obwohl sie in einer braunen Mercedes-Limousine vorgefahren sind - ein ungewöhnliches Fahrzeug für Kriminelle, die normalerweise unauffällige Auftritte vorziehen. Darüber hinaus finden Reardon und seine Kollegen lange keine weiterführenden Indizien, und die Unterwelt - hier vertreten durch die Mafia und die chinesischen Triaden - weist glaubhaft alle Schuld von sich.

Nach einem weiteren Mord kommt der frustrierte, aber ebenso systematisch wie einfallsreich vorgehende Reardon einer Verschwörung auf die Spur. Nicht Politik und Macht, sondern Geld und Gier sind die Beweggründe einiger Kapitalisten, die vor Mord nicht zurückschrecken, um ihre Vermögen weiter wachsen zu lassen ...

Andere Stadt, ähnliche Probleme

Ein halbes Jahrhundert und in mehr als fünfzig Romanen verfolgte Ed McBain (1926-2005) den Alltag des 87. Polizeireviers in der fiktiven US-Großstadt Isola, die sich an der realen New York City orientierte. 1986 beschloss McBain, einen weiteren Kriminalroman genau dort handeln zu lassen. Über den Grund lässt sich nur spekulieren, denn das Geschehen könnte sich problemlos in Isola abspielen, und die Beamten des 87. Reviers wären taugliche Hauptfiguren.

Dessen ungeachtet bietet „Alarm in Chinatown“ die McBain-übliche Mischung aus Spannung und Dramatik, dargeboten in nüchterner Sprache, dabei keineswegs ohne Gespür für die menschlichen Schicksale bzw. die Tragödien, die sich im Umfeld begangener Verbrechen ereignen. McBain schildert die Schrecken der Opfer, ihrer Familien und Freunde, geht auf die Probleme von Polizisten ein, die stets unter Druck ihrer Arbeit nachgehen und dabei sich und ihr Privatleben vernachlässigen. Er blendet selbst die Befindlichkeiten der Täter nicht aus, die zwar Kriminelle, aber trotzdem Menschen sind.

Dass Gewalt in der Regel Gewalt nicht nur nach sich zieht, sondern diese potenziert, überrascht selbst Verbrecher, wobei McBain schreckliche Taten oft als Glieder einer Kette aus Routinen und Zufällen betrachtet. Dies beeinträchtigt hier ein Verbrechen, das offiziell womöglich keines ist, sondern aufgrund geschickter bzw. skrupelloser Tricks sowie durch den Einsatz gut bezahlter und ebenfalls skrupelfreier Anwälte als Geschäft ‚legalisiert‘ wird; ein Vorgang, der sich im Originaltitel dieses Romans widerspiegelt (während der deutsche Titel „Alarm in Chinatown“ wieder einmal falsch und platt in eine völlig falsche Richtung weist; Chinatown ist für die Handlung absolut unerheblich). „Another Part of the City“ lautet er und wird in den letzten Zeilen aufgelöst.

Eine Stadt, zwei Welten

Dort klärt sich ein Plot, der ebenso kompliziert wie simpel ist. McBain lässt Brian Reardon abschließend (und resigniert) die Fakten interpretieren: Die moderne, von Konzernen und ihren Steigbügelhaltern bestimmte Welt hat sich in eine Schere verwandelt, deren Schneiden dort zuschnappen, wo das ‚normale‘ Gesetz und erst recht die Moral außer Kraft gesetzt ist.

Hinter den mörderischen Ereignissen, die lange keinen Sinn ergeben, steckt eine buchstäblich übergeordnete Macht. In jenem „anderen Teil der Stadt“ des Originaltitels hat sich jenseits von Polizei und Justiz eine Finanz-Aristokratie etabliert, die im Bund mit willfährigen Politikern ihrer Habgier frönt. Globalisierung bedeutet hier u. a. die Möglichkeit, Aufstände und Kriege als ‚Möglichkeit‘ zu nutzen = zu missbrauchen. Die Superreichen dieser Welt werden zu Ansprechpartnern für Kriegstreiber. Sie manipulieren ihnen hörige Politiker, um offiziell gültige Gesetze zu umgehen. Dann scheffeln sie Blutgeld.

Dabei sorgen sie dafür, dass ‚Spielverderber‘ buchstäblich ausgeschaltet werden. Sie können auf die Gier derer zählen, denen sie ein paar Brotkrumen zukommen lassen. McBain zeichnete schon 1986 ebenso hellsichtig wie deprimierend das Bild einer Welt, die vom Geld und der daraus resultierenden Macht geprägt wird. Er ist deutlich und lässt den Drahtzieher der für diesen Kriminalfall verantwortlichen Finanzmanipulation offen zugeben, dass es nur einen Grund für sein Tun gibt - die Freude am möglichen Tun, das durch eine Habgier motiviert ist, die zum Selbstzweck mutiert.

Im Schatten des Hai-Bauchs

Zu den Opfern dieses pervertierten Systems gehört auch die Polizei, die eigentlich dafür sorgen soll, dass die Bürger der Stadt in Frieden leben können. Detective Reardon ist ein redlicher, überarbeiteter, von privaten Problemen geplagter Ordnungshüter. Normalerweise verfolgt er Verbrecher, die fest in der städtischen (Unter-) Welt wurzeln. Reardon kennt deren Beweggründe und Vorgehensweisen; seine Ermittlungsroutinen zielen in bewährte Richtungen.

Deshalb bewegt sich die Fahndung auch dieses Mal lange auf (zu) gut eingefahrenen Gleisen. Die Polizei konzentriert sich auf das Umfeld der Opfer und bezieht das lokale Milieu ein. Üblicherweise hinterlassen Verbrecher Spuren dort, wo sie ihre Taten begehen. Doch dieses Mal sorgt die scheinbare Sinnlosigkeit für Verwirrung. Reardon benötigt viel Zeit sowie Nachhilfe durch erfahrene Helfer, die ihn in die Welt der globalisierten Niedertracht einführen. Zwar gelingt es ihm schließlich, zahlreiche bisher nicht in Verbindung gebrachte Verbrechen in eine korrekte Ablaufchronologie zu bringen. Doch die im Krimi-Genre lange obligatorische Bestrafung der Schuldigen bleibt aus.

„Crime doesn’t pay“: Das System propagiert scheinheilig ein Motto, das durch die Realität längst Lügen gestraft wird. Verbrechen zahlt sich durchaus aus; man muss sich nur in eine Position bringen, in der man den Gesetzen der ‚Normalsterblichen‘ nicht mehr folgen muss. Wer im „anderen Teil der Stadt“ lebt, kümmert sich nicht um die Spur des Leids, die dabei gezogen wird. Man schwebt hoch über den ‚normalen‘ Menschen, die aus dieser Sicht wie Ameisen aussehen und als solche be- und misshandelt werden; ein Sachverhalt, den McBain lamentofrei, aber keineswegs neutral zu einer Geschichte formt, die den Rahmen des Kriminalromans nicht sprengt, sondern wirkungsvoll erweitert.

Fazit

Das typische „police procedural“, für das der Autor bekannt wurde, weitet Ed McBain zum Blick auf ein brutalkapitalistisches Milieu, das sich über dem Gesetz und der Moral wähnt und weltweit seiner Habgier frönt: Was zu einer Klage über moderne Ungerechtigkeit hätte gerinnen können, wird zum eindringlichen und spannenden Schlaglicht auf ein Problem, das an Drastik nur gewonnen hat.

Alarm in Chinatown

Ed McBain, Ullstein

Alarm in Chinatown

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