Priester, Tod und Teufel
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1993
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- New York: William Morrow, 1990, Titel: 'Vespers', Seiten: 331, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1991, Seiten: 334, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1993, Seiten: 334, Übersetzt: Bernd W. Holzrichter
Die Kirche, das Verbrechen, das Scheitern
Father Michael Birney ist Priester der katholischen Kirche St. Catherine’s in der US-Großstadt Isola. Die Pfarrei ist arm, und innerhalb der Gemeinde gibt es Reibereien; so beklagt Pastor Michael offen die intensive Haftung, die zwischen seinen Schäfchen und ihrem Geld herrscht, weshalb die Kollekte nicht so hoch ausfällt wie von ihm erwünscht. Solche Rügen werden nicht gern gehört, was womöglich mit Grund dafür ist, dass Vater Michael tot in seinem Pfarrgarten liegt - man hat ihn in der Nacht erstochen.
Der Fall geht an das zuständige 87. Polizeirevier und hier an den erfahrenen Ermittler Steve Carella. St. Catherine’s ist eine Kirche in einem von Kriminalität heimgesuchten Stadtviertel. Offenbar wird das Gotteshaus von einem lokalen Drogenhändler als Zwischenlager missbraucht. Der Pfarrer hat ihn erwischt. Vater Michael selbst steckte in einer Glaubenskrise, da er sich in eine Frau verliebt hatte. Nur vier Straßen weiter hat sich die „Kirche der Ungeborenen“ eingerichtet, die offen Satanismus praktiziert, was den Priester berufsbedingt reizte.
Carellas Kollege Harold Willis steht ebenfalls vor einer strengen Prüfung. Er hat sich in die ehemalige Prostituierte Marilyn Hollis verliebt, die ihren brutalen Zuhälter umgebracht und dessen Safe leergeräumt hat. Zwei Killer aus dem Umfeld des Toten wissen davon und wollen das Geld für sich. Sie bedrängen Marilyn, die sich in ihrer Not Willis offenbart. Nun muss der Polizist einen gewagten Plan in die Tat umsetzen, ohne dass ihm das Gesetz einen Strich durch die Rechnung macht.
Die Ermittlungen im Priestermord sind schwierig, denn stets erfährt Carella nur einen Teil der Wahrheit, die sich zudem als überaus wandelbar erweist: Aus Verdächtigen werden Zeugen, doch dies kann sich wieder ins Gegenteil verkehren. Niemand kennt die ganze Wahrheit, und die in Erfahrung gebrachten Teilinformationen lassen immer neue, nicht selten einander widersprechende Interpretationen zu …
Die Dinge beim Namen nennen
In mehr als 50 Romanen widmete sich Ed McBain (1926-2005) der (Kriminal-) Geschichte der fiktiven Großstadt Isola. Er hatte sie nach dem Vorbild New York Citys geformt, sich aber die Freiheit genommen, Isola seinen literarischen Absichten anzupassen. Im Laufe der Jahrzehnte entstand ein Stadtbild, das einerseits dicht und andererseits weitmaschig genug war, um den Fällen des 87. Polizeireviers Raum zu geben.
Zwar stand das Verbrechen im Vordergrund, doch McBain nutzte Isola auch als Kulisse, um reale politische und kulturelle Phänomene und Probleme aufzugreifen, die er in seine Kriminalgeschichten einfließen ließ. Dabei blieb er am Puls der jeweiligen Ära, die sich in der Serie um das 87. Revier widerspiegelt. Die frühen Romane wirken aus heutiger Sicht altmodisch; das Verbrechen ist präsent, aber eher eine Ausnahme. Im Laufe der Jahre wurde es zum Dauerzustand. McBain ging mit der Zeit, scheute nicht dafür zurück, deutlich zu werden. Tatsächlich dürften in der moralisch durchgespülten Gegenwart manche Passagen nicht mehr möglich sein; an einer akribisch geschilderten Schwarzen Messe lässt der Autor beispielsweise nackte Kinder teilnehmen.
Auch sonst nennt McBain Probleme und Missstände deutlich und drastisch beim Namen, sodass an eine Neuauflage dieses Romans wohl nur nach inhaltlichen Eingriffen zu denken wäre; das böse „N-Wort“ fällt ständig, und nicht selten wird es durch das völlig unmögliche „N-GG“-Wort ersetzt … Für McBain sind Rassismus und Vorurteile Tatsachen, um die man nicht herumredet. Er sieht sie bei sämtlichen Hautfarben und hat kein Problem damit, dies ungefiltert für eine Handlung zu nutzen, die dadurch so düster und hoffnungslos wirkt, wie dies der Autor will.
Gottesglauben in einer brutalen Alltagswelt
Erwartungsgemäß nimmt McBain die Kirche nicht aus. Er schildert sie in einem ungelösten Dilemma zwischen Tradition und Gegenwart. St. Catherine’s ist ein Gotteshaus unter Belagerung. Diebe und Vandalen bedrängen die alte Kirche, die von Verfall und Vernachlässigung gezeichnet ist. Die Zahl der Gläubigen nimmt ab, die Gemeinde ist zerstritten. Selbst die Kirchenoberen scheinen St. Catherine’s vergessen zu haben.
Der Pfarrer ist kein Fels in der Brandung, sondern wird selbst von Problemen geplagt. Die Kirche ist kein Bollwerk mehr, in dem man sich treffen, beten und Kraft schöpfen kann. Der Alltag ist tief eingedrungen und konterkariert eine Glaubenswelt, die sich überlebt hat. McBain treibt dies auf die Spitze, indem er in einer aufgelassenen Nachbarkirche eine Gemeinde von Teufelsanbetern einquartiert, die von jenem Geist gemeinschaftlichen Glaubens beseelt werden, der den Christen längst abhandengekommen ist.
St. Catherine’s und das Stadtviertel, in dem die Kirche steht, bieten mehr als genug mögliche Motive für den Priestermord. McBain mischt gekonnt klassische Krimi-Ermittlung und Sozialkritik, wenn er Carella auf Spuren stoßen lässt, die immer neue Deutungen ermöglichen. Jede Theorie klingt glaubhaft - und wird umgehend ad absurdum geführt, weil ein weiteres Indiz oder eine weitere Aussage die Erkenntnis in ihr Gegenteil umschlagen lässt; dies nicht nur einmal, sondern in einer Kettenreaktion, die in einem Finale gipfelt, das nicht an die nunmehr vom Verfasser gelegten Spuren anknüpft, sondern noch einmal eine andere Richtung einschlägt, die freilich - erneut orientiert McBain sich an den Klassikern - zuvor behutsam angedeutet wurde.
Polizisten als Menschen
Ein zweiter und unabhängiger Handlungsstrang greift eine brisante Frage auf: Wie reagiert ein Polizist, der fest an das Gesetz glaubt, wenn die Liebe seines Lebens von ihrer kriminellen Vergangenheit eingeholt wird? McBain lässt Harold Willis und Marilyn Hollis keinen Ausweg. Entweder die Polizei greift ein, wodurch Hollis im Gefängnis landen würde, oder Willis missbraucht sein Amt, um das Problem widerrechtlich zu klären. Da McBain selbst keine Lösung hat bzw. es keine Lösung gibt, treibt er diesen Gewissenskonflikt zu einem tragischen, aber konsequenten Höhepunkt.
1990 ermittelten die Beamten des 87. Reviers seit mehr als drei Jahrzehnten. Dass die Serie so lange laufen würde, bescherte McBain ein Problem, dem sich schon viele ebenso erfolgreiche Autoren stellen mussten: Ließ er seine Figuren altern, ließen sie irgendwann ihre Rollen hinter sich. McBain setzte den Alterungsprozess aus, doch die Zeit schritt trotzdem weiter. Daraus entstand ein Zwiespalt: Wie konnten dieselben Personen über die Jahre aktiv sein, aber jung bleiben?
Mit dem für ihn typischen Witz brachte McBain dies nicht nur zur Sprache, sondern fand eine Lösung, die er Steve Carella so in Worte fassen ließ: „Manchmal kam ihm die Zeit elastisch vor, ein Medium, das willkürlich gestreckt und verdreht werden konnte, um es sich den ständig ändernden Erfordernissen anzupassen. Wer konnte sagen, dass die Zwillinge jetzt nicht dreißig Jahre alt statt elf waren? Wer konnte sagen, dass er und Teddy nicht noch immer die Jungvermählten von damals waren?“ (S. 124/25)
Fazit
Der 42. Band der Serie um das 87. Polizeirevier ist ein Kriminalroman auf der Höhe seiner Zeit. Der Fall ist glaubhaft in ein komplexes gesellschaftliches Umfeld eingebettet und wird zügig vorangetrieben, während Verdächtige und Opfer ständig die Rollen tauschen. Klare Worte und ein Hauch Zynismus runden das Werk ab.
Ed McBain, Ullstein
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