Sechs Gräber bis München
- Edition Phantasia
- Erschienen: Januar 2011
- 0
- ?: ?, 1967, Titel: 'Six graves to Munich', Originalsprache, Bemerkung: unter dem Pseudonym Mario Cleri
- London: McLehose, 2009, Titel: 'Six graves to Munich', Seiten: 200, Originalsprache
- Bellheim: Edition Phantasia, 2011, Seiten: 220, Übersetzt: Joachim Körber
Rache ist Blutwurst
1985 gehörte ich zu dem, vorsichtig geschätzten, dreckigen Dutzend, das sich ein filmisches Machwerk namens "Eine Zeit zu sterben" ("A time to die") im Kino anschaute. Regisseur Matt Cimber, bekannt als letzter Ehemann Jayne Mansfields, hatte nahezu gleichzeitig schon James M. Cains The Butterfly (Blutiger Schmetterling) in den Sand gesetzt. Ein müdes Star-Vehikel für die gänzlich unbegabte (naja, nicht komplett talentlos: In "Die nackte Kanone 33 1/3" hatte sie einen starken Auftritt) Pia Zadora , hilflos agierend immerhin neben Stacy Keach, Orson Welles und Stuart Whitman.
"A Time To Die" war die so schwülstige wie brutal vorgetragene Mär des Michael Rogan, der sich auf einen gnadenlosen Rachefeldzug durch Europa begibt, um sieben Männer zu töten. Ehemalige Nazischergen von ganz unterschiedlichem Rang, Benehmen und Ansehen. Allesamt beteiligt an der Ermordung von Rogans Frau und beider ungeborenem Kind. Während der amerikanische Agent, gedemütigt, gefoltert und lebensgefährlich verletzt, seine eigene Hinrichtung überlebt. Eddie Albert jr. in der Rolle des Michael Rogan killt sich wenig zimperlich durch Italien, Ungarn und Deutschland, um am Ende in München Rex Harrison in seinem letzten Filmauftritt gegenüber zu stehen. Graphisch höchst drastische Gewaltexzesse, Pathos satt und eine Romanze ohne Bestand, ergaben einen wüsten, bordellbunten und wenig erquicklichen Film, dem weder die Musik von Ennio Morricone zum Erfolg verhelfen konnte, noch der Umstand, dass die literarische Vorlage von Mario Puzo, veröffentlicht unter dem Pseudonym "Mario Cleri", stammte. Nicht nur das. Sechs Gräber bis München ist zwar die wildeste Kolportage, die man sich vorstellen kann, aber zugleich ein bemerkenswertes Buch. Sebastian Fitzek würde vermutlich sagen: "Spannend, emotional und atmosphärisch dicht".
Wie später beim Welterfolg Der Pate, ist Puzo alles andere als ein filigraner Autor, fein ziselierte psychologische Studien und Charakteristika sind seine Sache nicht, sprachlich wird derart aus dem Vollen geschöpft, dass eine Trunkenheitsfahrt nachts auf der Route 66 bei Vollgas nichts dagegen ist.
Die Welt ging unter, als sie eine vierzehnjährige Jungfer mit Tagträumen und Flausen im Kopf war. Der Drache des Krieges hatte sie entführt.
Und doch mischen sich in die gnadenlose Übertreibung vermehrt Zwischentöne, Doppelbödigkeiten und Nachdenkliches, die aus einem scheinbar hingerotzten Rachethriller den kleinen, fiesen Bruder machen, den große Literatur so gerne im Schlepptau hat. Zwar entsprechen die ersten Opfer Rogans noch dem Klischee, das man von gewissenlosen Nazivollstreckern hat, aber spätestens mit der Liquidation des todkranken Genco Bari wird der Sinn von Michael Rogans wütendem Aktionismus in Frage gestellt. Ein Moment des Innehaltens, der bitteren Erkenntnis, dass Rache vielleicht doch nicht die Befriedigung mit sich bringt, die ihre Planung verspricht. Später, bei der Begegnung mit Klaus von Osteen wird es sich wiederholen. Osteen, der mitleidlose Anführer des Tribunals scheint facettenreicher zu sein, als Michael wahrnehmen möchte. Perspektiven verschieben sich, auf einmal sind Grautöne dort, wo vorher alles Schwarz und Weiß war. Offiziell sind sowieso ehemalige Feinde mittlerweile die besten Freunde, von Osteen ist nicht nur hoch angesehener Richter mit einfühlsamem Urteilen, sondern auch Kanzlerkandidat in spe; protegiert – nicht nur – vom amerikanischen Geheimdienst. Der Michael Rogan bis zu einem gewissen Grad gewähren lässt. Das Genie, den Meister im Dechiffrieren ausgefeiltester Codes, der nach seiner beschwerlichen körperlichen Genesung Bill Gates Karriere vorzeichnet. Doch spätestens bei von Osteen soll Schluss sein mit der Kulanz. Um Gerechtigkeit geht es schon lange nicht mehr. Selbst Michael zweifelt, vor allem, da sich die Chance auf einen Neuanfang abzeichnet. Rosalie, die ihn auf seiner Hetzjagd durch Europa begleitet, und deren Biographie kaum weniger traumatisierend verlief, würde ihn jedenfalls wagen. An Michaels Seite. Er muss nur die richtigen Prioritäten setzen …
Atemlos und spannend durch die Nacht. Puzo macht – wie sein Protagonist – keine Gefangenen. Sechs Gräber bis München birst über vor Superlativen, hier sind die Gesten groß, die Schluchzer laut, die Intelligenz überbordend bis zum Wahnsinn, und Menschen tun sich Schreckliches an; nur aus einem einzigen Grund: weil sie es können und weil es ihren jeweiligen Zielen dient. Das ist vielleicht das erschütterndste an Puzos kleinem, fiesen Buch: es wird gar nicht in Frage gestellt, das Rogans siebenköpfige Nemesis Kriegsverbrecher, Folterknechte und faschistische Menschenschinder sind. Sie sind lediglich eine von vielen möglichen Varianten des Versagens der Menschlichkeit.
Der Agent Arthur Bailey, immerhin vereidigter Stellvertreter amerikanischer Interessen, nimmt gelassen hin, dass die ehemaligen Nazis einfach weitermachen, sich auf einmal als aufrechte Demokraten durch´s Leben schmuggeln. Sie können sie sogar Kanzler werden, so lange klar ist, dass der neue Feind im Osten sitzt. Und niemand, nicht einmal Michael selbst, macht einen Hehl daraus, dass sich alle männlichen Beteiligten unter den entsprechenden Umständen genauso verhalten würden, wie Klaus von Osteen und seine Handlanger. Wenn kaltschnäuzige Gesinnung regiert, wird sich Humanität keinen Weg bahnen können. Ein frühes Beispiel der kommenden Globalisierung: Die Welt ist ein schmutziger und dunkler Ort, ganz egal, wo man sich gerade aufhält. Und wenn jemand wie Michael Rogan eine blutige Schneise zieht, bleibt offen, ob er jenseits der Aufmerksamkeit einiger Eingeweihter, mehr herbeiführen wird als einen weiteren Untergang. Die persönliche Apokalypse auf einem Schlachtfeld, auf dem bereits ganz andere Kriege geführt werden. Opfer ist nicht nur die Liebe.
Ganz nebenbei gelingen Puzo auch einige wunderbar klischeetriefende und doch treffende Bemerkungen zu(m) deutschen Wesen, an dem und an denen die Welt garantiert nicht genesen wird. Humor, der ist wie das ganze Buch: Brachial, aber gut. Eine fette Scheibe davon ist allen derzeit angesagten Hoppelhäschen-aus-dem-Allgäuer-See-und-Wiesengrund-Krimi-Komödianten ans schwachbrüstige Herz gelegt.
Mario Puzo, Edition Phantasia
Deine Meinung zu »Sechs Gräber bis München«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!