Von meinem Blut

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2010
  • 6
  • München: Goldmann, 2010, Seiten: 378, Übersetzt: Gunnar Kwisinski
  • New York: Dutton, 2009, Titel: 'Long Lost', Seiten: 374, Originalsprache
Von meinem Blut
Von meinem Blut
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Jürgen Priester
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2010

Der Thrillergott stürzt aus dem Olymp

Als Harlan Coben 1995 mit seiner Myron Bolitar-Reihe begann, hätte noch niemand gedacht, dass ihn Jahre später eine große deutsche Sonntagszeitung als den "Thrillergott" bezeichnen würde. Die Bolitar-Reihe, mit der er damals begann, orientiert sich sehr stark am amerikanischen Krimi-Geschmack und konnte in Deutschland nicht so recht punkten. Der Goldmann-Verlag stellte deshalb die Veröffentlichung nach drei Folgen ein.

Erst als Coben mit seinen zwischen 2001 und 2006 erschienenen Standalones reüssierte und plötzlich in aller Munde war, traute sich der Verlag, die Reihe fortzusetzen. Jetzt fehlen dem deutschen Fan zwar die Folgen 4 bis 7, aber es ist anzunehmen, dass er nicht viel verpasst hat. Harlan Coben selbst hatte eine Pause von 6 Jahren eingelegt, da er seinen Helden Bolitar für ausgereizt hielt. In 2006 ging es trotzdem mit Promise me (dt.: Ein verhängnisvolles Versprechen, 2007) weiter, doch Coben fehlt es, wie Wolfgang Weninger in seiner Rezension feststellt, am nötigen Esprit und Serienheld Myron Bolitar und sein Kumpan Win sind zu Karikaturen ihrer selbst verkommen. Eine Einschätzung, die der vorliegende neunte Band Von meinem Blut nur bestätigt.

Die eigentliche Geschichte beginnt in Paris. Doch zuvor müssen die Leser eine Vorgeschichte über sich ergehen lassen, in der die beiden Hauptprotagonisten vorgestellt werden sollen, damit man weiß, wes Geistes Kind sie sind.

Myron Bolitar, der einst so hoffnungsvolle Basketballstar, jetzt Besitzer einer Agentur für Sportler und Künstler, verfolgt ein nachmittägliches Basketballspiel des Sohnes seiner derzeitigen Flamme. Als der gegnerische Trainer eine abfällige Bemerkung über Sohnemanns Talent macht, beginnt Bolitar mit ihm einen Wortwechsel, der später zu einer handfesten Klopperei ausartet. Wo gerauft wird, ist Bolitars Freund und Kupferstecher Windsor Horne Lockwood III, kurz Win genannt, nicht fern. Win ist von Erbe aus Milliardär, Börsenspekulant, Sexist und unschlagbar. Immer wenn Bolitar in Bredouille gerät, haut Win ihn raus. In diesem Falle entpuppt sich der lädierte Gegner als Polizei-Captain. Bolitar und Win überlegen, ob es nicht besser wäre, für eine kurze Zeit aus der Schusslinie zu flüchten. Win schlägt ein Bumshotel in Thailand vor, doch Bolitar folgt lieber dem Hilferuf von Terese Collins, einer Bekannten, mit der er vor zehn Jahren vierzehn unvergessliche Tage im Bett verbracht hat. So lässt er seine aktuelle Freundin, seine Arbeit, seine Verpflichtungen zurück und besteigt einen Flieger nach Paris, in der Hoffnung auf.......?

Wenn man sich die Konversation der beiden Protagonisten auf der Zunge zergehen lässt, glaubt man nicht, es mit zwei erwachsenen, vierzigjährigen Männern zu tun zu haben. Wenn der smarte Win nur den Mund aufmacht, merkt man, dass er gerade mal den entwicklungspsychologischen Stand eines Fünfzehnjährigen erreicht hat. Bolitar, der uns seine Gedanken- und Gefühlswelt als Ich-Erzähler offenbart, hat kaum weniger Defizite in diesem Bereich aufzuweisen.Der große Junge, der bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr noch bei seinen Eltern wohnte, lässt ganz exklusiv für uns Leser seine vergangenen, gescheiterten Beziehungen Revue passieren. Man kann sich nicht des Eindruckes erwehren, dass da einer das Klopfen des Herzchens oder das Anschwellen der Hose mit tiefempfundener Zuneigung verwechselt. Aber egal! Das soll jetzt nicht zu weit führen. Die meisten Leser betrachten das Geplänkel der beiden "Ewigen Kinder" eh mit Humor und der Rezensent ist einer, der zum Lachen in den Keller geht.

Befassen wir uns lieber mit dem, was die Geschichte vor dem Abrutschen in den Bereich der momentanen Außentemperaturen gerettet hat..

.. denn mit Bolitars Ankunft in Paris ist action angesagt. Schon auf dem Flughafen wird Bolitar von der französischen Polizei argwöhnisch befragt. Er ahnt gleich, dass da etwas Größeres im Busch ist. Während eines kleinen Stadtbummels erfährt er von Terese, dass deren Mann verschwunden ist. Sie hatten sich hier in Paris verabredet, nun meldet er sich nicht mehr. Bolitar und Terese überlegen noch, was zu tun ist, da werden sie von der Polizei aufgeklärt, dass Rick Collins nicht verschwunden ist, sondern ermordet wurde und sie beide unter Verdacht stehen. Die Polizei glaubt an eine Beziehungstat. Neben Collins´ Leiche ist Fremdblut und ein blondes Haar gefunden worden. Eine kurzfristig anberaumte DNA-Analyse hatte ergeben, dass Blut und Haar von einer gemeinsamen Tochter der Collins stammen müsste. Doch das kann nicht sein, denn ihr einziges Kind Miriam ist vor Jahren bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen - oder nicht? Terese, die Unfallverursacherin, hat keine Erinnerung an das, was damals geschehen ist, denn sie hat lange Zeit im Koma gelegen. Sie ist davon ausgegangen, Miriam sei tot und begraben. Nun schöpft sie neue Hoffnung. Myron Bolitar will ihr helfen. Die Suche nach der Wahrheit scheint seine begrenzten Fähigkeiten nicht zu überfordern, außerdem gibt es ja noch Win, den Alleskönner. Dessen Unterstützung wird auch dringend gebraucht, denn Bolitar ist mit einer Gruppe feindseliger Araber aneinander geraten, die gar nicht begeistert ist, dass jemand ihre finsteren Machenschaften aufdecken will.

Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt wird natürlich nicht verraten. Neugierig, aber auch skeptisch könnten Schlagworte wie Mossad, Entführung, Waterboarding und Schläfer machen. Der Clou der Geschichte ist so extraordinär, dass man Harlan Coben alle Achtung zollen muss, sei es wegen seiner Phantasie oder seiner Chuzpe.

Der lockere Umgangston ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack und überschreitet des öfteren die Grenze des Erträglichen, doch passt er gut zu dieser leichtgewichtigen Story, über die man sich nicht all zu viele Gedanken machen sollte. Typen wie dieser Win und Myron Bolitar sind Relikte aus den frühen 1990er Jahren und seit dem Ende der Spaßgesellschaft nicht mehr zeitgemäß. Es ist mehr als fraglich, ob man mit solchen Dinosauriern immer weiter machen kann.

Wäre Coben nicht der routinierte Handwerker, der weiß, wie eine Handlung voranzutreiben ist und die wie man die richtigen Akzente setzt, wäre Von meinem Blut am unteren Ende der KC-Bewertungsskala gelandet.

Wie viele seiner Kollegen profitiert Harlan Coben auch nur von seinem guten Namen, der in der Vergangenheit, warum auch immer, entstanden ist. In seinen schablonenhaften Einzelromanen spielt er gerne den Retter der kleinbürgerlichen Familie – da darf´s auch ein bisschen Herz/Schmerz sein – für die Damenwelt. Die Bolitar-Reihe ist dann mehr für uns "richtige Kerle" gedacht. Ein bisschen macho, ein wenig chauvi, viel action und ab und zu ein Brüller. Nein, danke!

Von meinem Blut

Harlan Coben, Goldmann

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