Das finstere Tal
- Liebeskind
- Erschienen: Januar 2010
- 24
- München: Liebeskind, 2010, Seiten: 314, Originalsprache
- Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Matthias Brandt, Bemerkung: gekürzt
- Berlin: Ullstein, 2013, Seiten: 314, Originalsprache
Alpen-Django
So beginnen Klassiker: ein Fremder in einem langen Mantel reitet mit seinem Muli in ein gottverlassenes Kaff. Noch vor dem Ortseingang empfängt in eine Bande großmäuliger Kerle, die ihn gleich zur Umkehr bewegen wollen. Die fürchterlichen Fünf sind natürlich die Söhne des örtlichen Großgrundbesitzers, und sie wollen ihren Machtbereich, jenes namenlose Dorf im titelgebeneden finsteren Tal, geschützt wissen.
Was macht der Fremde? Packt er sein Maschinengewehr aus und mäht sie alle nieder, kickboxt er sie ohne Umschweife bis zum anderen Ende der Ortschaft? Gott bewahre, er ist das Zuvorkommen in Person, lockt mit Geld und guten Worten und wird natürlich eingelassen. Nicht höflich, aber mit gebührendem Respekt. Greider heißt er, Maler sei er, behauptet der Fremde und wird im Hof einer verwitweten Bäuerin samt Tochter untergebracht.
Fortan malt er, beobachtet und wartet ab. Fast einen Winter lang betrachtet er genau die Geschicke des Dorfes, das keine Musik und nur wenig Freude kennt. Greider wird Zeuge rätselhafter Todesfälle, begutachtet den Gift und Galle spuckenden Pfarrer Breiser und erlebt die wachsende Liebe der Tochter seiner Gastwirtin zu einem jungen Bauernsohn mit. Am Tag der Hochzeit schließlich fällt die Maske des freundlichen Malers und unauffälligen Chronisten. Die Sippschaft des Großbauern Brenner sieht sich einem ebenso finsteren wie konsequenten Racheengel gegenüber. Showdown.
Ein wenig einfach macht es Thomas Willmann seinen Lesern, wenn er Das finstere Tal ausdrücklich den "Schutzheiligen" Sergio Leone und Ludwig Ganghofer anempfiehlt. Denn er nimmt den vergnüglichen Schluss, den man der Lektüre seines Romans selbst gerne entnehmen möchte, vorweg.
Vergisst dabei aber Sergio Corbucci, dessen Django eine weiterer Patron ist, der über dem Roman schwebt, ebenso wie dass Setting an den im Schneeweiß spielenden, nachtschwarzen "Leichen pflastern seinen Weg" ( "Il grande silenzio") erinnert.
Dabei bedient sich Willmann einer Sprache, die sich dem archaischen Sujet bestens anpasst. Kräftig, bildreich, gelegentlich ins Mundartliche abgleitend, umreißt er gerade im gemächlichen Anfangsteil die klaustrophobische, lebensfeindliche Stimmung, die in dem abgeschiedenen Alpendorf herrscht. "Ein Dorf ohne Musik" heißt es an einer Stelle, und damit fasst Greider präzise zusammen, was falsch läuft. Menschen fügen sich in ihr karges Dasein ohne Lebensfreude, weil es die Kirche – in Gestalt des unnachgiebigen und unerfreulich sadomasochistischen Pfarrers Breiser – so will, weil der Status Quo – der Brenner-Bauer herrscht mit ehernen Gesetzen übers Tal – es seit Jahr und Tag vorschreibt.
Da braucht es einen wie Greider, der vom stillen und genauen Beobachter zum Handelnden wird, der sich über eherne Gesetze und Richtlinien hinwegsetzt, um den Weg für einen Hauch von Glück und Freiheit vorzubereiten.
Dass dieser Akt nicht ohne Gewalt, und gelegentlichem Abscheu vor dem eigenen Selbst, vonstatten gehen kann, daran lässt Das finstere Tal keinen Zweifel. Gnadenlos, schlau und mit ein bisschen Glück verfolgt Greider seine Mission, ein kleiner Bruder des "Fremden ohne Namen" ("High Plains Drifter"), dem Clint Eastwood in seiner bitterbösen Fußnote zum Wesen des Italo-Westerns ein Denkmal setzte.
Dabei lässt Willmann sich Zeit, bevor seine Rachegeschichte ins Rollen kommt. Mit seinem Protagonisten streift er durch einen freudlosen Ort vor atemberaubender Kulisse. Entgegen gängigen Standards des Heimatromans kommen keine amtlichen Jäger vor und keine Wilderer. Wie auch?
Die Brenner-Sippe ist das Maß der Dinge, und niemand würde sich einem Brenner in den Weg stellen, der ein Wild seiner Wahl erlegen möchte. Wer es doch tut, muss mit mehr als lindem Ungemach rechnen. Doch wie das manchmal ist mit bösen Taten – sie können einen Fluch besitzen. Und der heißt: Rache.
Thomas Willmann führt die Auswirkungen dieses Fluchs plastisch und drastisch vor. Sein Greider entfesselt einen Sturm, der umso nachhaltiger wirkt, da er aus der Ruhe davor entsteht, und selbst während seines Wütens von einem planvollen Kalkül bestimmt ist, das dem Leser neben einiger Befriedigung, durchaus Magengrimmen bescheren kann. Denn Greider handelt nicht aus der Not des Augenblicks, sondern geht derart planvoll vor, dass er unweigerlich zum Spiegel für das Versagen einer Gemeinschaft wird, die sich ihrem Unterdrücker ohne ernsthafte Gegenwehr unterworfen hat. Selbst die wenigen Menschen reinen Herzens lässt Greider in Angst und Schrecken ausharren, bevor er zum Befreiungsschlag ausholt.
Bezeichnenderweise ist der Dank dafür Verlegenheit und einmal mehr das Gefühl ein Ausgestoßener zu sein. Niemand möchte sein eigenes Versagen derart exemplarisch vorgeführt bekommen.
Wer nach all den großen Stadtromanen der letzten Zeit die Sehnsucht nach einem ländlichen literarischen Umfeld hat, das nicht nach "echt regional" bestempeltem Instantgericht riecht, dem sei Das finstere Tal wärmstens ans schwarze Herz gelegt. Derart kräftig angerührt, zubereitet und mit Wonne und Können serviert, wird der ländliche Eintopf, der sich seine Zutaten aus aller Welt holt, zur Gourmet-Küche.
Dass der Roman im 19. Jahrhundert spielt, ist eher eine Hommage an seine geistigen Väter als zwingende Notwendigkeit. Das finstere Tal ist im besten Sinne zeitlos.
Der Autor ist sicherlich und sichtlich gut befreundet mit:
Django
Dem Fremden ohne Namen
Nevada Smith
Chato
Yojimbo
Dem Neuen Testament
Dem Alten
Dem Schweigen im Walde
Sowie der naheliegendsten Inspirationsquelle:
Terence Hill, der als Mario Girotti den "Ruf der Wälder" hörte. Zwar keine reine Rachegeschichte, aber vermutlich das erste Mal, dass sich Django mit einem Gewehr in den Alpen wiederfand.
Willmann baut all diese Einflüsse (und noch mehr) stimmig ein, ohne dass sein Roman zur bloßen Zitatenschau zerfließt. Eine gelungene Gratwanderung zwischen Eklektizismus und Innovation. Tiefe Verbeugung dafür und gleichzeitig den langen Mantel zurückgeschlagen, damit der Colt immer griffbereit ist. Von irgendwoher erklingt eine Mundharmonika... oder doch ein Alphorn?
Thomas Willmann, Liebeskind
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