Bauernjagd
- Piper
- Erschienen: Januar 2010
- 3
- München; Zürich: Piper, 2010, Seiten: 284, Originalsprache
Ohne Motiv findet keiner den Mörder
Unfälle oder Morde?
In einem Provinz-Kaff wie Erlenbrook-Kapelle, tief im katholischen Münsterland gelegen, ist das alljährliche Schützenfest das absolute gesellschaftliche Highlight. In diesem Jahr wird die bierselige Festivität brutal unterbrochen, als ein Nachbar den Bauern Ewald Tönnes tot in seiner Güllegrube findet. Dorfbewohner und Polizei gehen davon aus, dass der Mann versehentlich in seinen Gülle-Bunker gestürzt und ums Leben gekommen ist. Wenige Wochen später wird allerdings ein weiterer Bauer während einer Treib-Jagd erschossen. Eine Ladung mit grobem 5-Millimeter-Schrot trifft ihn mitten im Gesicht. Alle Teilnehmer der Jagd bezeugen gegenseitig nicht in der Nähe des Tatorts gewesen zu sein. Und da die Schrot-Größe für eine Niederwild-Jagd völlig untypisch ist, glaubt auch Kommissar Hambrock von der Kriminalpolizei Münster nicht an einen Unfall. Ein Team von Ermittlern beginnt mit Nachforschungen und stößt auf alte Familienfehden, betrogene Hoferben und die Folgen des um sich greifenden Höfesterbens.
Unbekannte Welt für Polizisten aus der Stadt
Hambrock will die Ermittlungen eigentlich seinen Kollegen überlassen, aber seine Tante aus der Bauernschaft von Erlenbrook-Kapelle setzt ihn moralisch unter Druck. Eine besondere Rolle spielt seine Großnichte Annika Horstkemper. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin bei der Lokalzeitung und träumt von einer beruflichen Karriere als Journalistin. Derzeit lebt sie noch zusammen mit Mutter, Tante, Schwester und deren Kinder auf dem Milchbauernhof in Erlenbrook-Kapelle. Holtkötter schildert ausführlich das Leben auf dem Land, die Probleme und Sorgen einiger Landwirte und das höchst komplizierte Dorfleben. Für Hambrock und seine Kollegen aus Münster ist das eine unbekannte Welt, was auch die Ermittlungen schwierig gestaltet. Es wird keine heiße Spur gefunden, obwohl weitere Morde und Mordversuche geschehen.
Spannung bis zum Ende
Der mögliche Täter und sein Motiv liegen für die Polizei und die Leser absolut im Dunkeln - und auch im Laufe der Geschichte wird die Lage eher noch verworrener. Hühner mit abgeschnittenem Kopf werden den Horstkempers vor die Tür gelegt, und andere Vorfälle komplizieren die Ermittlungen ebenfalls. So hat in der Nähe ein Banküberfall stattgefunden, und auch hier führen Spuren nach Erlenbrook-Kapelle. Stefan Holtkötter schafft einen Spannungsbogen, der den Leser bis zum außerordentlich überraschenden Ende festhält. Neben der sich stetig steigernden Spannung lebt die Geschichte vor allem von den teilweise verschrobenen Charakteren in der Familie Horstkemper – und in der gesamten Bauernschaft.
Saufkumpane, Eifersüchteleien und zerplatzte Träume
Hierbei werden allerdings auch hemmungslos einige Klischees bedient. So gibt es die "Dorf-Zeitung" auf zwei Beinen, einen alten Landwirt, der alle Höfe "zufällig" mit dem Fahrrad abklappert und Neuigkeiten befördert. Auf einem aufgegebenen Hof wohnen Künstler aus der Stadt – und die sind dem Landvolk ohnehin mehr als verdächtig. Dann gibt es den zurückgezogen und allein lebenden Witwer – ein Verlierer der Flurneuordnung und des Strukturwandels. Er baut Menschenfallen um seinen Hof herum auf, und braucht dringend Geld für die Behandlung seines schwer behinderten Sohnes. Er scheint in jeder Hinsicht verdächtig – und ist im Grunde nur einer von vielen Verlierern. Und dann gibt es da Seilschaften zwischen alten Saufkumpanen, Eifersüchteleien und zerplatzte Träume. Haupt-Protagonistin der flüssig und gut erzählten Geschichte ist die junge Annika. Nach etlichen Jahren leidet sie immer noch unter dem Unfalltod ihres Vaters, ist schüchtern gegenüber Männern, und im Grunde viel zu eng in die Dorfgemeinschaft eingebunden. Sie kann sich nicht für die Annahme eines angebotenen Volontariats entscheiden, oder für ein Studium der Medienwissenschaft, und droht so auf dem Hof bei Mutter und Tante zu versauern. Ein Schicksal, das sie mit vielen jungen Menschen in ländlichen Gegenden teilen dürfte.
Überzeugende und durchdachte Geschichte
Stefan Holtkötter vermeidet in seinem vierten Buch gekonnt das Abdriften ins allzu Provinzielle. Trotz des reichlich vorhandenen – und oftmals belächelten – Lokalkolorits ist dem Autor ein recht spannender Kriminalroman gelungen. Die durchdachte Geschichte wirkt überzeugend, die Charaktere sorgen für reichlich Abwechslung, und die Dialoge sind witzig und unterhaltsam. Neben einem Abbild des ländlichen Lebens sind Holtkötter interessante Charakterzeichnungen gelungen, die er allerdings noch etwas ausführlicher hätte betreiben können. Insgesamt hebt sich das Buch aber wohltuend von zahlreichen so genannten Regionalkrimis ab. Ein paar Seiten mehr, noch weiter ausgefeilte Charaktere, ein wenig mehr Action und Knalleffekte, und Holtkötter könnte der Aufstieg in die erste Liga durchaus gelingen.
Stefan Holtkötter, Piper
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