Clockers
- Bertelsmann
- Erschienen: Januar 1992
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- München: Bertelsmann, 1992, Titel: 'Söhne der Nacht', Seiten: 601, Übersetzt: Peter Torberg
- München: Goldmann, 1994, Titel: 'Söhne der Nacht', Seiten: 601, Übersetzt: Peter Torberg
- Frankfurt am Main: Fischer, 2011, Seiten: 800, Übersetzt: Peter Torberg
Strike!
Unter dem reichlich irreführenden Titel Söhne der Nacht bereits 1992 auf Deutsch veröffentlich und eher unbeachtet geblieben, erscheint Richard Price` voluminöses Werk jetzt erneut unter seinem Originaltitel "Clockers". Immer noch (oder wieder?) in der ansprechenden Übersetzung Peter Torbergs.
Ob es am, schon etwas zurückliegenden, Deutschlandstart der innovativen TV-Serie "The Wire" liegen mag, die Clockers und sein Autor massiv beeinflussten, oder am Erfolg des vor kurzem veröffentlichten Romans Cash, darüber kann man gern und gut spekulieren. Zu wünschen wäre aber, dass der in vorliegender Form 798 Seiten starke Roman beim zweiten Anlauf seine Leser findet.
Denn nicht nur vom Umfang her ist Clockers ein großes Werk. Dabei beschreibt Price keine Auswüchse der Weltgeschichte wie Dennis Lehane in seinem Magnum Opus Im Aufruhr jener Tage, oder James Ellroy in seinen selbsternannten "big historic novels". Stattdessen Straßenalltag in Dempsy, am Rande New Yorks. Eine Parkbank und ihre nähere Umgebung. Ein Viertel, zwischen heruntergekommenem Slum und der Sehnsucht, es bald hinter sich lassen zu können. Die treibt jedenfalls Ronald "Strike" Dunham um. Der Chef der Bank, von deren Lehne der 19-jährige seine Schäfchen beobachtet. Eben jene Clockers des Titels, die rund um die Uhr mehr oder weniger verschnittenen Stoff an die Bedürftigen verscherbeln, die sich das Drogengemisch meist umgehend zu Gemüte führen.
Regelmäßige Razzien der immer gleichen Cops schrecken niemand ab, auch wenn die akribischen Leibesvisitationen das Ego ziemlich ankratzen. Kein neues Problem für Strike, der ständig über das Leben vor, um und in ihm räsoniert und eigentlich nur Geld dafür spart, irgendwann ausbrechen zu können. Denn der leicht stotternde Junge ist eigentlich zu sensibel, nachdenklich und weich für den harten Alltag im gewaltgeschwängerten Drogenmilieu. Das wird ihm besonders bewusst, als sein Boss Rodney Little ihn auffordert, den Bartender und aufstrebenden Dealer Darryl aus dem Weg zu räumen, der Little angeblich hintergangen hat.
Strike kennt und mag Darryl eigentlich, aber sich Rodneys Wünschen zu widersetzen ist einfach nicht drin. Also macht er sich zaudernd auf den Weg…
… und ist ziemlich überrascht, als Darryl tatsächlich erschossen in der Gosse liegt. Schlimmer noch trifft ihn das Geständnis des angeblichen Todesschützen. Sein älterer Bruder Victor, der in zwei legalen Jobs, abseits der Drogenszene arbeitende Bruder, stellt sich freiwillig der Polizei.
Eine Täterschaft, die ihm der ermittelnde Detective Rocco Klein nicht abnimmt. Desillusioniert, doch besessen von einem verschrobenen Verantwortungsgefühl, macht Klein den Fall Victor Dunham zu seiner "Mission". Denn er hält den kleinen Bruder Strike für den wahren Mörder. Das sich entwickelnde Duell wird am Ende keine Sieger kennen. Sonden nur bittere Erkenntnisse, Verluste und ein klein bisschen Hoffnung.
Obwohl Strike und Rocco Klein im Zentrum des Romans stehen, sind sie doch alles andere als typische Identifikationsfiguren. Vielmehr sind sie die Fixpunkte, um die die zahlreichen anderen Charaktere kreisen.
Sowie Strike kein großmäuliger Original Gangster ist, ist Rocco kein Dirty Harry, der die Straßen vom Abschaum reinigen möchte. Was in Richard Price literarischem Universum eh ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Denn er zeigt Lebenswelten, die eng miteinander verflochten sind, deren Beziehungen filigran sein können, unausgewogen, aber auch platt, schnörkellos, einfach. So wie die des Cops mit dunkler Vergangenheit, Thumper, der an Strike regelmäßig die entwürdigende "Schwanzkontrolle" durchführt, trotzdem er sich sicher ist, dass er kein Rauschgift an Strikes Genitalien, ja nicht mal in seiner Nähe finden wird. Doch dieser Polizist, der Strike regelmäßig demütigt, bietet ihm auch eine Chance zum Ausstieg an. Das mag eine perfide Finte sein, eine Verlockung, ein weiteres höhnisches Lächeln; aber Price lässt auch die Möglichkeit zu, dass Thumpers Angebot, Strike einen legalen Job zu verschaffen, durchaus rechtschaffen gemeint sein könnte.
Wahrscheinlich ist dies nicht, aber immerhin möglich. Und so gibt es kein Schwarz und Weiß, sondern eine Welt voller blasser Farben und gelegentlichen mit breitem Pinselstrich gezogenen Zäsuren.
Jeder belauert jeden, und trotz der vielen geschliffenen und wortreichen Mono- und Dialoge zählt vielfach das, was nicht ausgesprochen wird. Price ist perfekt darin, Verbrechen und seine Verfolgung als alltägliches Geschäft darzustellen. Dabei biedert er sich nicht einem pseudorealistischen Straßenjargon an. Er begibt sich mitten hinein ins Geschehen, doch bewahrt die Distanz eines nachdenklichen Beobachters. Das geht manchmal auf Kosten der Spannung, sorgt aber gleichzeitig für eine Tiefe, die auch noch der kleinsten Nebenfigur Raum gibt, Persönlichkeit zu entwickeln. Dabei verzettelt sich Richard Price aber nicht, sondern setzt Stückchen für Stückchen zusammen, sodass sich am Ende ein umfassendes Bild ergibt, hinter dem das Puzzle kaum noch zu erkennen ist.
Clockers ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Seine ausgefeilte Sprache, die komplexen und nachvollziehbaren Charaktere, die präzise eingesetzten Momente der Gewalt und das latente Gefühl der Bedrohung, das selbst die raren komischen Momente beherrscht, machen diese Anstrengung zu einem nachhaltigen Lesevergnügen.
In den zwanzig Jahren seit seiner Erstveröffentlichung ist "Clockers" kaum gealtert. Die Drogen und ihre Zusammensetzung mögen sich geändert haben, die Menschen auf den Straßen sind sich immer noch ähnlich.
1995 wurde Clockers für’s Kino von Spike Lee inszeniert und Martin Scorsese produziert. Obwohl Price selbst am Drehbuch mitarbeitete, und die Besetzung sehr illuster war (Harvey Keitel als Rocco Klein, John Turturro als sein Partner, Mekhi Phifer (wohlbekannt aus ER. und aktuell "Lie To Me" und "Torchwood") als Strike und Delroy Lindo als Rodney Little) versank der Film erst in der Versenkung, dann in Vergessenheit. Nicht ganz zu Unrecht, denn von der fiebrigen Intensität des Romans blieb nicht viel übrig.
Erst mit der Fernsehserie "The Wire" gelang es, die vielschichtigen gesellschaftlichen Verstrickungen, die der umfangreiche Roman behandelt, einigermaßen adäquat in ein anderes Medium zu transponieren.
Nach Jagdzeit von David Osborn eine weitere essenzielle Wiederveröffentlichung.
Richard Price, Bertelsmann
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