Auf Godot wartet keiner
- Conte
- Erschienen: Januar 2010
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- Paris: Gallimard, 1956, Titel: 'Sans attendre Godot', Seiten: 189, Originalsprache
- Saarbrücken: Conte, 2010, Seiten: 200, Übersetzt: Helm S. Germer
Zwischen Verbrechen und Versicherungen
Jean Amila war kein Serienschreiber. Lediglich Die Abreibung, dieses zukunftsweisende Crossover (lakonische Gangsterballade trifft auf sarkastische Krankenhaus-Soap), hat eine Fortsetzung erfahren.
Der Geist des "Comte", des nahezu unzerstörbaren Gangsterbosses, schwebt über Keiner wartet auf Godot. Denn jener Godot ist sein Nachfolger, sowohl als Chef einer Bande ausgekochter Gangster, aber auch an der Seite seiner Lebensgefährtin Angéle Maine. Und die schätzt Godot eher als Leichtgewicht ein. Weswegen sie ihm auch gerne lautstark Paroli bietet und überhaupt an entscheidenden Punkten die Geschicke der Männerwelt tatkräftig leitet, mindestens aber nachhaltig beeinflusst.
Als da sind: Ein Konflikt mit einer verfeindeten Gang, die den eigentlich recht diplomatischen Riton Godot zu raueren Methoden greifen lassen sowie der erste Ehemann Angéles. Der rechtschaffene Bahnbeamte Felix, der sich mit brütendem Hass an dem reichen Coudert rächen will, der seines Ermessens nach den Tod seiner zweiten Frau zu verantworten hat.
Godot erklärt sich bereit zu helfen, kocht aber gleichzeitig sein eigenes Süppchen. Und übernimmt sich. Genau wie Felix, der die Konsequenzen seiner dumpfen Gelüste gar nicht ermessen kann. Zum Glück gibt es Maine. Die jetzige Lebensgefährtin des Einen und Ex- des Anderen wird es schon richten. Derweil das siebzehnjährige Töchterchen Colette nicht nur Pariser Luft schnuppert, sondern auch den adretten Gangster Jo durchaus gerne an sich schnuppern lassen würde. Mutter hat aber alles im Blick und Griff.
Jean Amila ist ein Unikum. Seine Romane pflegen einen höchst eigenwilligen Stil, der zwischen schulterzuckender Abgeklärtheit und dem beinahe unschuldigen Erstaunen, was da draußen in der feindseligen Welt so alles möglich scheint, hin und her pendeln. Und das ansatzlos und trotzdem glaubwürdig.
Da wartet die junge Colette auf ihren scheinbar schüchternen Galan Jo, mit dem sie ein Himbeereis verspeisen möchte, während der mal eben zwei Konkurrenten höchst lustlos erschießt. Das Eis mit Colette wäre ihm wichtiger gewesen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Colette hat eine Ahnung vom dunklen Treiben Jos. Doch das erschüttert die aufkeimende Liebschaft nicht, im Gegenteil, lässt es den einsilbigen und unbeholfen ruppigen Mann doch gleich viel begehrenswerter erscheinen.
Schwarz-Weiß ist nicht Sache des Jean Amila. In seinem Universum treiben Grautöne ein buntes Spiel. Da sitzen Gangster, die sich eigentlich eliminieren sollen beisammen und räsonieren darüber, wie bescheuert es ist, sich gegenseitig umzubringen, obwohl man sich eigentlich gut leiden kann. Nur weil irgendwelche selbst ernannten Bosse meinen, es ist Zeit für Krieg. Wird er halt unterbrochen und man geht seines Weges.
Gleichzeitig stoßen jene Bosse an ihre Grenzen, wenn sie versuchen Wirtschaftskriminelle auf´s Kreuz zu legen. Die hohen Herren aus Industrie und Handel verspeisen einen Vorort-Capone mit Haut und Haaren. Würden sie zumindest gerne, aber da legt die moderne Frau ein donnerndes Veto ein, um ihren überforderten Lebensgefährdeten aus der Schusszone zu halten. Und auch das eigentlich rechtschaffene Landei Felix muss seine Lektionen lernen. Die wichtigste heißt, dass von Rache zu träumen etwas anderes ist, als sie auch konsequent auszuführen. Und so erfahren wir: Während Männer sich in großspurigen Träumereien und prahlerischen Posen ergehen, haben Frauen längst reagiert und die Initiative ergriffen. In a man´s world keine unbedingt populäre Ansicht…
Ganz erreicht Keiner wartet auf Godot die Qualität seines Vorgängers nicht. Dafür fehlt ihm der außergewöhnliche und gleichwohl stilsichere Unterbau, der Die Abreibung auszeichnete. Trotzdem hat der Roman eine Menge absurd-komischer Einfälle, ironische Spitzen und bittere Untertöne zu bieten. So sind die Passagen um den Sinn im Ganovendasein und der Liebe suchenden Jo einfallsreiche Mixturen aus komödiantischen Spitzen und der tief verwurzelten Sehnsucht nach rationalem Handeln. Wo findet man schon verfeindete Gangster aus der Kaste des gemeinen Fußvolks, die sich lieber zusammen setzen und die Torheit ihres Tuns diskutieren, als sich in Fetzen zu schießen? Und so viel sei gespoilert: dieser Ansatz wird konsequent durchgehalten.
Höchst hellsichtig und von resignativer Erkenntnis beseelt ist der Erzählstrang um Mme. Raines ersten Ehemann Felix, der keine Zweifel zulässt: gegen das, was an krimineller Energie aus den Reihen von Politik und (Finanz)-Wirtschaft kommt, ist die organisierte Straßenkriminalität ein Bagatelldelikt.
Leider verkauft sich die Jean Amila-Reihe nicht so, wie es ihr zu wünschen wäre. Amila ist ein origineller Autor, gerne unbequem, präsentiert er doch kaum heldenhafte Identifikationsfiguren, handelt Gewalt, obwohl äußerst präsent, eher beiläufig ab, verzichtet auf das große Rätselraten und lässt auch schon mal die Spannungskurve zugunsten eines Techtelmechtels am scheinbaren Rand schleifen. Doch er hat seine Figuren im Blick und die Handlung im Griff. Und er weiß etwas zu vermitteln, das aktuelle Bestsellerautoren mit all ihren krachledernen Protagonistinnen nicht begriffen haben: dass ein nachhaltig wirkender Kriminalroman mehr zu bieten hat als atemlose Spannung, unglaubliche Sensationen, kitschige Beziehungsdramen und ein bisschen Wühlen im Gekröse. Deshalb - kaufen gehen, damit uns solche Entdeckungen und Neubearbeitungen abseits des Mainstreams erhalten bleiben. Dank ihrer Stärken, aber auch inklusive ihrer Schwächen.
Jean Amila, Conte
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