Mimikry
- Eichborn
- Erschienen: Januar 1999
- 10
- Frankfurt am Main: Eichborn, 1999, Seiten: 373, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Fischer, 2001, Seiten: 373, Originalsprache
Mehr Psychogramm als Krimi
Nachdem ich in letzter Zeit mehrmals von deutschen Krimis positiv überrascht worden bin, greife ich verstärkt auch zu heimischem Spannungslesestoff. Wenn dann auch noch ein hochgelobter Krimi in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main spielt, ist das förmlich ein Muss.
Als ich den Namen Astrid Paprotta las, kam er mir sofort sehr bekannt vor. Doch ich konnte ihm auf Anhieb kein Buch zuordnen. Und das ist auch kein Wunder, weil ich in die ganz falsche Richtung gedacht habe. Denn bekannt wurde die studierte Psychologin, die dann als Journalistin gearbeitet hat mit einem Buch namens "Aldidente"; einem Kochbuch für Aldi-Artikel.
Eine junge Frau wird erschlagen in ihrer Wohnung aufgefunden. Im Laufe der Ermittlung finden die junge Kommissarin Ina Henkel und ihr Kollege Stocker heraus, dass die junge Frau sehr zurückgezogen gelebt hat und keine Freunde hatte. Dass sie relativ schnell nach ihrem Tod gefunden wurde, ist eher Zufall, da sie eine entfernte Bekannte gebeten hatte, während ihres Urlaubs die Blumen zu gießen. Einziges Highlight in ihrem Leben war scheinbar der Auftritt in einer nachmittäglichen Fernsehtalkshow namens "Menschen bei Mosebach". Ihre Tagebucheintragungen erwecken den Eindruck, als ob sie eine Beziehung mit dem Moderator der Sendung hatte. Daher konzentrieren sich die Ermittlungen erst einmal auf ihn. Die Person, die die Leiche gefunden hat, arbeitet außerdem auch noch für die Talkshow.
Kurze Zeit später wird aufgrund eines Hinweises eine weitere Leiche gefunden, die schon mehrere Monate unbemerkt in ihrer Wohnung gelegen hat. Auch dieser Mann lebte sehr zurückgezogen, hatte keine Freunde und scheinbar sehr viele Komplexe. Und auch er war einmal Gast in der besagten Talkshow. Was die Kommissarin nicht bemerkt ist die Tatsache, das auch sie scheinbar ins Visier des Täters gerät...
Ziehen wir doch mal eine Buchkritik komplett anders auf und zählen erst einmal auf, was das Buch nicht ist:
Zuerst einmal ist es kein Frankfurt-Krimi. Es gibt keinerlei Lokalkolorit, keine bekannten Handlungsorte. Der Roman könnte in jeder beliebigen deutschen Großstadt spielen. Somit für mich eine kleine Enttäuschung, da dies ja einer der Gründe war, warum ich das Buch gekauft habe.
Zum Zweiten ist das Buch auch kein Krimi im herkömmlichen Sinne. Zumindest in der Form, in der ich Krimis erwarte. Denn die eigentliche Aufklärung der Morde ist relativ einfach gestrickt und auch nicht Mittelpunkt des Buches. Nach etwa einem Drittel des Buches wusste ich schon, wer der Täter ist.
Worauf hier viel mehr Wert gelegt wird ist das "Warum" der Tat und wie der Weg dort hin geführt hat. Daher empfand ich die fehlende Spannung nach der Auflösung gar nicht als Verlust, weil zum einen genügend andere Spannungsmomente vorhanden waren und weil das Buch eigentlich viel mehr eine spannende Beschreibung der Psyche mehrerer Beteiligter ist.
Dies beginnt schon mit der Person der Ermittlerin. Die Kommissarin Ina Henkel ist vordergründig ein junge, dynamische und modebewusste Frau und unterscheidet sich damit von den Opfern. Doch man bekommt sehr bald ihre Probleme mit ihrem Job mit. Sie kann sich schwer von dem Anblick der Leichen lösen, hat Alpträume, im Beruf klappt auch nicht alles wie sie will, sie hat Problem mit vergangenen Partnerschaften. Und momentan eine "nicht ganz standeshafte" Beziehung zu einem Vorbestraften, den sie schon selbst vernommen hat. Auch die nach außen getragene Selbstsicherheit ist nicht so stark, wie sie scheint. All diese Zwiespälte werden wunderbar einfühlsam und glaubhaft geschildert.
Dem wird immer wieder als Gegenbild die Situation aus Sicht des Täters geschildert. Die Annäherung der beiden tragenden Charaktere des Buches und der unvermeidliche Showdown sind das eigentliche Thema des Buches.
Aber nicht nur diese beiden Figuren sind sehr gut herausgearbeitet, insgesamt vermitteln fast alle Personen, sympathisch oder unsympathisch, einen sehr realistischen Eindruck. Gerade die Polizei wird zum einen nicht als strahlende Helden, aber auch nicht in Schimanski-Manier dargestellt.
Was das Buch besonders macht, aber mir mit meiner Erwartungshandlung "Frankfurt-Krimi" den Einstieg etwas schwer gemacht hat, ist der besondere Stil. Das Buch besteht sehr stark aus Dialogen oder Monologen, die auch nicht schön brav mit "... sagt XY", "...warf Z ein..." oder Ähnlichem drapiert werden, damit man den jeweiligen Sprecher erkennt. Man muss manchmal sehr aufmerksam lesen. Dazu kommt ein knapper Sprachstil, im Film würde man dies als harte Schnitte bezeichnen. Manchmal wird auch eine Situation mehrmals aus verschiedenen Sichten geschildert; z.B. erst die Kommissarin und dann die gleiche Situation noch einmal aus Sicht des Streifenbeamten, der die Leiche gefunden hat.
Der Schreibstil trägt auch sehr zum Aufbau der Spannung trotz mehr oder weniger leicht zu erratendem Ausgang bei.
Natürlich muss ich auch noch einige Worte zum Thema Talkshows, das ja hier der Aufhänger für die Handlung ist verlieren. Auch hier beweist die Autorin sehr genaue Beobachtungsgabe und zeichnet mit den verschiedenen Ansichten von aalglatten, ehemaligen Theologiestudenten als Talkmaster über den durch die Shows mit allerlei unterschiedlichen Geschichten tingelnden Zeugen, der damit Geld verdient, bis hin zu den Opfern, die ihrer ganze Hoffnung in den Auftritt in der Talkshow gesetzt haben ein sehr treffendes und sarkastisches Bild der Talkshow-Szene ohne es ins Lächerliche oder Witzige zu ziehen.
Mal eine ganz andere Art von Krimi, der mehr Wert auf die Profile der Menschen als auf die Klärung der Tat legt. Vom Stil etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann um so faszinierender.
Astrid Paprotta, Eichborn
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