Die Erfindung des Abschieds
- Heyne
- Erschienen: Januar 1998
- 7
- München: Heyne, 1998, Seiten: 431, Originalsprache
- München: Droemer Knaur, 2001, Seiten: 462, Originalsprache
- München: Knaur, 2011, Seiten: 462, Originalsprache
Anis Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig
"Die Erfindung des Abschieds" - um Abschied geht es in dem Roman, eher noch um Einsamkeit. Mit der nicht nur der kleine Raphael seine Probleme hat, sondern auch die Männer, bei denen er Unterschlupf findet. Und ganz besonders die Mitarbeiter der Vermisstenstelle des Dezernat 11 der Münchner Polizei. Aber "erfinden" muß man weder Abschied noch Einsamkeit. Wie der Autor auf diesen Titel kommt, ist mir auch bis zum Ende des Buches nicht klar geworden. "Erkenntnis" oder "Entdeckung" wäre da wesentlich passender gewesen.
Doch erst mal der Reihe nach: Das Kommissariat K 114, zuständig für "Vermisste und unbekannte Tote" ist bereits bekannt aus anderen Romanen von Friedrich Ani. Sein Protagonist Tabor Süden aber spielt hier zunächst mal keine Rolle. Erst in der Mitte des Buches wird man mehr darüber erfahren, wo dieser steckt, und danach steht er doch wieder im Mittelpunkt.
Verschwunden ist der 9-jährige Raphael Vogel, aus zerrütteten Verhältnissen stammend. Raphael lebt bei seiner Mutter, die sich nicht um ihn kümmert und ihm auch nicht helfen kann, wenn er von seinem Vater verprügelt wird, denn auch sie selbst wird von ihrem Mann geschlagen. Hauptbezugsperson für Raphael war sein geliebter Großvater, mit dem er das Hobby Modelleisenbahn teilte. Doch sein Opa ist gestorben und am Tag der Beerdigung hat Raphael in aller Frühe das Haus verlassen.
Die Suche nach dem Kind gestaltet sich schwierig, da nicht nur Raphaels Vater mit seiner cholerischen Art, sondern auch die Presse die Ermittlungen behindert. Und das Hauptproblem scheinen wieder einmal die Ermittler der Vermisstenstelle mit sich selber zu haben. Man hat den Eindruck, es hier mit lauter durchgeknallten Typen zu tun zu haben: Einer hat den Todesfall einer Vermissten nicht verkraftet und lebt seitdem in einer Hütte im Wald, vor der er nachts nackt wilde Tänze aufführt. Auf einen anderen wird geschossen und er kommt seitdem nicht mehr mit seinem Leben zurecht und flüchtet sich zu Prostituierten. Der Rest hat Beziehungsprobleme oder Kompetenzstreitigkeiten.
Die Romane von Friedrich Ani polarisieren Kritiker und Leser. Mit seinem Schreibstil habe auch ich so meine Schwierigkeiten. Ich habe lange gebraucht, bis ich seine Texte flüssig lesen konnte. Zu Anfang des Buches ging das nur sehr holprig voran, was auch an grammatikalischen Verfehlungen wie z.B. "wegen" mit Dativ liegt.
Ani bewegt sich nicht im Mainstream der Kriminalliteratur. Manch einer mag seine Werke nicht mal als Krimi bezeichnen, denn er beschäftigt sich vornehmlich mit der Psyche seiner Opfer und seiner Ermittler, um Schuld und Lösungen geht es - wenn überhaupt - erst in zweiter Linie. Der Autor erzählt hier gleich mehrere Geschichten um Freundschaft und Trauer, die unabhängig voneinander sind und doch alle irgendwie Gemeinsamkeiten haben und ineinander verzahnt sind. Obwohl seine Protagonisten unbeherrscht und laut sind, erzählt Ani doch leise und gefühlvoll. Er zeigt Mißstände in unserer Gesellschaft auf, ohne Lösungsansätze zu bringen.
So langsam wie Tabor Süden seine Verhöre führt, erzählt auch sein Schreiber. Nach und nach lernt man die Personen kennen mit all ihren Schwächen und nur langsam wird Spannung aufgebaut. Aus ständig wechselnden Betrachtungsweisen erlebt der Leser die Gefühle der verschiedenen Charaktere mit und ist so von Anfang an den Ermittlern immer einen Schritt voraus. Spannung kommt oft so schnell auf wie sie auch wieder verschwindet, denn Ani wechselt ständig die Brennpunkte des Geschehens. Er vermeidet Klischees. Seine Bücher sind ungewohnt.
Ani ist ein Außenseiter der Kriminalliteratur, so wie auch seine Protagonisten ohne Ausnahme Außenseiter sind. Als Leser muß man erst einen Draht zu seinen Büchern finden. "Die Erfindung des Abschieds" ist mein zweiter Ani-Roman, und mit diesem bin ich wesentlich besser zurecht gekommen als mit dem ersten, weil ich in etwa wusste, was mich erwartet.
Friedrich Ani, Heyne
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