Blackhouse
- Kindler
- Erschienen: Januar 2011
- 7
- Berlin: Kindler, 2011, Seiten: 464, Übersetzt: Eberhard Kreutzer
Die Geister der Vergangenheit
"Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah! - sagte ein Geist der deutschen Vergangenheit. Vom Schotten Peter May lagen dem deutschen Publikum bisher nur drei seiner China-Thriller in Übersetzung vor. Jetzt stellt der Kindler-Verlag mit Blackhouse den Schotten in heimischen Gefilden vor. Der Klappentext verspricht einen grausamen Mord auf einer kleinen,von Sturm und Regen gepeitschten Insel, doch die Isle of Lewis – nordwestlich des schottischen Festlandes gelegen - ist nun leider die größte Insel Schottlands. Ihr Hauptort Stornoway hat immerhin 8.000 Einwohner und über die Insel ziehen sich die Straßendörfer wie Perlen an einer Kette. Da kann eine intime Inselstimmung nicht so recht aufkommen und die Mordsache rückt schnell in den Hintergrund. Wenn ein Autor falsche Spuren legt, dann entspricht er damit den Wünschen des Krimilesers. Wenn ein Verlag das tut, indem er im Klappentext falsche Akzente setzt, führt das nur zu Irritationen beim Leser. Wenn daraufhin ein Vielleser in seiner Arroganz glaubt, den Plot zu erahnen, und dann auf ein ganz anderes Konzept trifft, kann er sich schon wie in einem falschen Film fühlen.
Die Geschichte beginnt mit einem ruhigen, fast melancholischen Intro. Detective Inspector Finley Macleod hat sich nach dem Unfalltod seines Sohnes eine Auszeit von seinem Job bei der Kripo Edinburgh genommen. Er hadert mit seinem bisherigen Leben. Seine Ehe steht vor dem Scheitern. Da kommt es ihm ganz recht, dass er zu einem Mordfall auf seiner Heimatinsel beordert wird. Im kleinen Küstenort Port of Ness ist die zur Schau gestellte Leiche eines Mannes entdeckt worden. Der Modus Operandi der Tat weist deutliche Parallelen zu einem Fall auf, den DI Macleod seit zwei Monaten in Edinburgh bisher erfolglos untersucht. Diese Vorgeschichte und seine Kenntnis der Lokalitäten prädestinieren ihn, die Ermittlungen zu übernehmen. In Stornoway angekommen muss er feststellen, dass sich hier schon ein ganzer Tross an Ermittlern eingefunden hat, die extra aus Glasgow eingeflogen wurden. Fünf Detectives und siebzehn Constables sind ein ziemlicher Aufwand für einen einzelnen Mord, dessen Aufklärung nach Dünken des Ermittlungsleiters schon kurz bevor steht, denn er hat sich schon auf einen Täter festgelegt.
Fin Macleod kann der Argumentation seines Chefs nicht folgen und schlägt ein anderen Weg ein. Dieser wird für ihn zu einer Reise in die Vergangenheit. Die vertrauten Örtlichkeiten, die Begegnung mit Marsaili, seiner ersten und wahrscheinlich auch einzigen Liebe, mit den Schulkameraden, mit Freunden und Bekannten, mit Menschen, an die er sich gar nicht so gerne erinnern mag – all diese Geister seiner Vergangenheit glaubte er, vor siebzehn Jahren zurück gelassen zu haben. Im Taumel seiner Erinnerungen wird der Mordfall zur Nebensache.
Peter May startet sein Blackhouse, fast thrillermäßig, mit großem Getöse: ein blutgetränkter, vollgekotzter Tatort, eine fast ausgeweidete Leiche, eine nicht minder eklige, bis ins kleinste Detail beschriebene Autopsie und das erwähnte Riesenaufgebot an Ermittlern. Doch dann macht May eine Zäsur und konzentriert sich auf die Lebensgeschichte seines Helden Finley Macleod. In ausführlichen Kapiteln, in denen May die Perspektive von der dritten Person in die erste wechselt, und mit immer wieder in die Gegenwartshandlung eingestreuten Anekdötchen lässt er seinen Helden von seiner Kindheit und Jugendzeit erzählen. Die Trivialität mancher Episoden ist für den Leser kaum erträglich, auch wenn sie letztendlich für ein stimmiges Bild vom Helden dienen und einiges sogar für den späteren Mordfall von Bedeutung ist.
Erst im weiteren Verlauf nimmt die Geschichte endlich an Fahrt auf. Je mehr Puzzleteile aus der Vergangenheit zusammen gebracht werden, desto enger wird der Kreis der Verdächtigen. Von besonderer Bedeutung ist dabei ist da ein Ritus, den die Insulaner alljährlich begehen. Jeden August macht sich eine Meute von 12 Männern auf, um auf An Sgeir , einem von Menschen unbewohnten, aber von Abertausenden von Seevögeln besiedelten Eiland im tiefen Grau des Atlantiks einer Jahrhunderte alten Tradition zu frönen. Innerhalb von 14 Tagen schlachten die "Guga-Jäger" 2000 Jungtiere des herrlichen Bass-Tölpels (Guga) ab. Das nach Fisch schmeckende Fleisch des Gugas gilt auf der Insel als eine Delikatesse und das Treiben auf An Sgeir ist für die jüngeren Inselbewohner eine Art Initiation bei der Mannwerdung. Für Außenstehende wirkt es eher wie ein Akt der Barbarei. Die einzige Fahrt, die Finley als Jugendlicher mitgemacht hat, legt den Grundstein für den Mord in der Gegenwart. Ein zweiter Besuch wird jetzt nötig, um das Rätsel zu lösen, und der wird zum dramatischen Höhepunkt der Geschichte.
Wenn man sich damit abgefunden hat, dass der reißerische Auftakt nur ein Strohfeuer war, das die Erwartungen des Lesers in eine falsche Richtung lenkt, muss man sich auf eine längere Durststrecke einstellen, die den Rezensenten fast zur Verzweiflung gebracht hätte. Erst wenn das Portrait des jungen Macleod Konturen annimmt, seine Unsicherheit, seine Fragilität und seine Feigheit deutlich werden, gewinnt die Story an Ausstrahlung, aber auf einer ganz anderen Ebene als anfangs erwartet. Der frühe Verlust seiner Eltern und die kühle Distanziertheit seiner Tante, bei der Finley untergekommen war, haben ihn isoliert. Sein Bedürfnis nach Zuneigung hat ihn seltsame Entscheidungen treffen lassen. Erst in der Rückschau wird ihm bewusst, wie viele Chancen er verpasst hat, wie anders hätte sein Leben verlaufen können. Das Ende der Geschichte birgt die Möglichkeit eines Neuanfangs.
Peter May hat ab Mitte seiner Story viel verlorenen Boden wiedergutgemacht. Bei der Charakterisierung der Hauptprotagonisten zeigt er eine gute Menschenkenntnis. Die verborgenen Tugenden und Abgründe, die nach und nach aufgedeckt werden, sorgen für einige Überraschungen. Besonders gelungen ist das bei der Darstellung der Motive des Täters, bei der viele von Mays Autorenkollegen versagen.
Die Blackhouses sind typisch für die Isle of Lewis, gehören aber der Vergangenheit an. Heute wohnen die Inselbewohner in Whitehouses. Ob aber mit dem äußerlichen Umzug auch der Wandel im Inneren einhergegangen ist, erzählt Mays Geschichte.
Peter May, Kindler
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