Verschärftes Verhör

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2010
  • 2
  • Frankfurt: Fischer, 2010, Seiten: 311, Übersetzt: Susanne Goga-Klinkenberg
  • New York: Random House, 2008, Titel: 'The prince of Bagram prison', Seiten: 289, Originalsprache, Bemerkung: unter dem Pseudonym Alex Carr
Verschärftes Verhör
Verschärftes Verhör
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Wolfgang Franßen
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2010

Die Wahrheit und doch nicht ganz die Wahrheit

Wer kennt das nicht aus den Nachrichten? Die Demokratie fühlt sich berufen, Gericht zu halten, nachdem der erste Überschwang der Angst verebbt ist. Plötzlich erinnern sich die vormals gleichgeschalteten Medien an die ehernen Gesetze der Gerechtigkeit. Fotos gelangen in die Presse, zeigen die Auswüchse der Folter in den Internierungslagern, und man stellt die Schuldigen vor Gericht, enthebt sie zumindest ihres Amtes.

In Jenny Silers neuem Thriller Verschärftes Verhör gilt es, den Tod eines Häftlings in Bagram aufzuklären. Auf den ersten Blick. Unter der Oberfläche zeichnen sich die Machenschaften des amerikanischen Geheimdienstes in Afghanistan ab, der mit Hilfe der islamitischen, terroristischen MEK die Region zu destabilisieren sucht. Die eigentliche Verschleierung dient also weniger dem Tod eines Häftlings, als der Vertuschung von Realpolitik.

Die in Montana geborene Autorin wußte um die Brisanz ihres Plots und wählte für die Veröffentlichung in den USA ein Pseudonym: Alex Carr. Seit 9/11 schwankt ihre Heimat zwischen Hysterie und der wiederkehrenden Erkenntnis, dass Kriege nicht immer zu gewinnen sind. Vietnam, Afghanistan, Irak, womöglich eines Tages der Iran. Jenny Siler deutet das nur an, schafft für ihre Geschichte einen politischen Hintergrund der Vermutungen, von der zwar alle wissen, für die es aber keinen Beweis gibt.

Im Mittelpunkt steht das Schicksal des Araberjungen Jamal. Er wird, nachdem seine Mutter Manar wegen studentischer Proteste gegen Hassan II in Marokko ins Gefängnis gesteckt wird, seiner Mutter weggenommen und wächst in einem Waisenhaus auf, als Manrs Familie ihn wegen der Schande verleugnet. Über ein Lager der MEK gelangt er nach Bagram, in ein amerikanisches Internierungslager. In die Hölle.

 

Die Gefangenen waren härter, zorniger und weniger kooperativ als alle, denen sie in Kandahar begegnet war. Unter den Verhörenden herrschte eine unterschwellige Feindseligkeit, eine Rücksichtslosigkeit, [...] eine Bereitschaft, die Regeln nicht nur zurechtzubiegen, sondern zu brechen.

 

Jamals Naivität wird ausgenutzt, um ihn als Informant nach Madrid zu schleusen. Was nie hätte stattfinden dürfen, wenn sich die Amerikaner ans Gesetz gehalten hätten. Das besagt, dass unter Verdacht geratene Kinder unter Sechzehn nicht gefangen gehalten werden dürfen, sondern in ihre Heimat zurückgeschickt werden müssen. Doch wo ist Jamals Heimat? Er hat nicht mal eine Familie.

Jamal ist nicht das einzige, schlichte Gemüt in der Geschichte. Auch Katherin Caldwell, die als Dolmetscherin in Bagram arbeitet und ihren Bruder am 9/11 verloren hat, glaubt, Gutes zu tun, als sie sich seiner annimmt, um ihn vor der Abschiebung zu bewahren. Sie will ihn retten und sorgt doch nur dafür, dass der Geheimdienst ihn für ihre Zwecke einspannt.

Jahre später ist sie Arabisch-Expertin an einer Militärhochschule und muss sich auf Geheiß ihrer Vorgesetzten auf die Suche nach ihrem ehemaligen Schützling begeben, als Jamal in Madrid untertaucht, nachdem er behauptet hat, den mit Hilfe der Amerikaner aus Bagram geflüchteten Terrorverdächtigen Bagheri in Madrid gesehen zu haben. Eine Lüge mit fatalen Folgen.

Jamals Mutter Manar hat ihr Kind seit damals nie wieder gesehen. Kaum auf freiem Fuß begibt sie sich auf der Suche nach einem Jungen, von dem die Mutter weder Gesicht noch Namen kennt.

Nicht nur die Schauplätze wechseln, auch die Jahre und manchmal muss man sich vergewissern, wo man sich gerade befindet, um das Puzzle zusammenzusetzen. Fast drängt sich einem der Eindruck auf, die Autorin unterziehe ihre Figuren einem eigenen Verhör, zwinge sie durch geschicktes Nachfragen, zur Entblätterung von Lebenslügen.

Jenny Siler gelang in Deutschland mit dem fulminanten Thriller Ticket nach Tanger der Durchbruch. In Verschärftes Verhör sterben Menschen, die allesamt über den tragischen Tod eines asthmakranken Häftlings im Internierungslager Bagram unterrichtet sind, und dessen Tod allein der Vernebelung dient.

Jenny Siler steht in der besten Tradition des frühen John le Carrés. Was bei le Carré die bleiernen Fünfziger waren, sind bei ihr unsere hysterischen Zeiten im Kampf der Kulturen, durch die nicht nur Amerikaner wanken.

Verschärftes Verhör

Jenny Siler, Fischer

Verschärftes Verhör

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