Regungslos
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2011
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- Bedlinog: Accent, 2008, Titel: 'A well-deserved murder', Seiten: 314, Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011, Seiten: 320, Übersetzt: Bettina Zeller
Nichts ist wirklich so, wie es scheint
In den Vorstädten kleiner Orte in Großbritannien lebt es sich normalerweise gemütlich und angenehm. Kacy Howell hat es dagegen geschafft, ihrer Nachbarschaft das Leben zur Hölle zu machen. Sie fällt Bäume auf fremdem Grund, bespitzelt und bestiehlt die Nachbarn – und hat Sex mit nahezu jedem fremden Mann der das Haus betritt. Die 50-jährige Beamtin ist mit einem schwulen Kollegen verheiratet, und kaschiert so notdürftig ihre wüste Promiskuität. Eines Tages wird sie erschlagen vor ihrem Gartenhaus gefunden, die Axt steckt noch im Kopf. Für das Ermittlerteam um Trevor Joseph beginnt ein Fall, der die Kriminalisten fast zur Weißglut treibt. Denn es gibt zahlreiche DNA-Spuren, jede Menge Hinweise und schließlich auch mehrere Verdächtige. Als es schließlich weitere Morde gibt, spitzt sich die Entwicklung dramatisch zu.
Katherine John braucht einigen Anlauf, bis sie mit ihrer interessanten Geschichte den Leser wirklich fesselt. Dabei ist das erste Drittel nicht unbedingt langweilig, aber die Schilderung der persönlichen Verhältnisse der Ermittler und ihrer akribischen Arbeitsweise ist vielleicht dem einen oder anderen Leser zu langatmig. Wer diesen eher bedächtigen Teil allerdings überstanden hat, wird belohnt, denn der Roman nimmt plötzlich mächtig Fahrt auf. Es dauert zwar ein wenig, aber dann baut die Autorin außerordentlich geschickt einen stets ansteigenden Spannungsbogen auf, der im Finale den Leser total fesselt.
Die Charaktere des Buches haben es von Anfang an in sich, da zeigt Katherine John, dass sie in dieser Hinsicht eine gute Erzählerin ist. Allein das Mordopfer, von Zeugen und Kollegen im Rückblick geschildert, ist eine überaus skurrile Figur. Nach Aussage ihres Bruders bereits in der Schule Sex-süchtig, scham- und hemmungslos und offensichtlich psychisch gestört, hat sich Kacy Howell bei Nachbarn und Kollegen einen absolut schlechten Namen gemacht. Fremdes Land bewirtschaften, in der Hoffnung, so das Eigentum daran zu erwerben, ist neben der ausufernden Sexualität ein weiteres Kennzeichen dieser geradezu kruden Persönlichkeit. Angesichts der Lebensgeschichte von Kacy Howell ist es für die Ermittler wirklich schwierig, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen.
Überaus köstlich ist die eingeschobene Episode rund um die Kirchenältesten, zu denen der Vater des Mordopfers gehört. Ich darf und will hier nicht mehr verraten, aber allein diese Nebenhandlung hat mich für den eher zögerlichen Beginn des Buches mehr als entschädigt. Fast schon genial, dass dadurch die Spannung hochgehalten und sogar gesteigert wird, gleichzeitig die quasi eingeschobene Geschichte aber einen hohen Unterhaltungswert hat.
Nahezu perfekt gezeichnet sind auch weitere Figuren. So etwa der Journalist Alan Piper. Top-informiert, kritisch, und doch nicht komplett alltagstauglich. Er rutscht in die Sache hinein, weil er die Tote nicht nur findet, sondern auch etliche Indizien zu ihm hinführen. Er ist ein smarter Bursche, zudem noch der Cousin eines Polizisten - da traut man ihm einen so brutalen Mord kaum zu. Und dann ist da die behinderte alte Dame, die das Geschehen in der Nachbarschaft pedantisch protokolliert. Natürlich hat sie einen leicht behinderten Sohn, der sich um alles kümmert und von der alten Frau auch noch herumkommandieren lässt.
Also eigentlich alles klar - aber hier setzt das erzählerische Können von Katherine John ein. Denn nichts ist so, wie es zunächst scheint. Sie bringt schließlich doch noch ein wenig Action ein, aber vor allem die überraschenden Wendungen durch immer neue Indizien und Zeugenaussagen machen die Geschichte in der zweiten Hälfte ungemein dynamisch. Das Finale hat mich sogar so gepackt, dass ich das letzte Drittel in einem Rutsch lesen "musste". Insgesamt ein wirklich lesenswertes Buch. Wenn die Autorin noch an einem etwas flüssigeren und spannenderen Einstieg arbeitet, kann man sich auf ihre weiteren Romane wirklich freuen – und dann gibt es unter Umständen auch eine höhere Bewertung.
Katherine John, Rowohlt
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